Blut für Boden

Schimpansen töten anscheinend gezielt Artgenossen, um das Territorium ihrer Gruppe zu vergrößern

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Die Angreifer kommen leise. Vorsichtig wittern sie nach allen Seiten, nutzen dabei eventuelle Deckung. Wenn sich Schimpansen-Männchen so art-untypisch verhalten, wenn sie weder nach Futter suchen noch soziale Kontakte untereinander aufnehmen, dann sind sie auf einer Mission: Die Affen-Patrouille sucht nach Anzeichen von Artgenossen. Und wenn sich dabei zeigt, dass sie zahlenmäßig deutlich überlegen ist, dann schreckt sie nicht davor zurück, die Fremden anzugreifen und zu töten.

Bild: Thomas Lersch. Lizenz: CC-BY-SA-3.0

Dass Schimpansen - ähnlich wie Menschen - Krieg führen, ist den Primatenforschern schon länger bekannt. Ebenso klar ist, dass jede Vermenschlichung fehlschlagen muss - wenn es um die Motivsuche für den Mord an Artgenossen geht, sind moralische Kategorien nicht gefragt. Vielmehr muss es einen Grund geben, der den Affen evolutionäre Vorteile verschafft. Denn allein der Aufwand, den eine Patrouille als lang andauernde und körperlich anstrengende Aktivität bedeutet, muss sich irgendwie wieder auszahlen. Es stand deshalb schon länger die Vermutung im Raum, dass eine Vergrößerung des Territoriums der eigenen Gruppe das gesuchte Motiv sein könnte.

Genau dafür haben nun drei US-Forscher auf den ersten Blick einleuchtende Belege gefunden. Die Wissenschaftler veröffentlichen ihre in den letzten zehn Jahren gewonnenen Zahlen im Fachmagazin Current Biology. Die Angriffe, die sie hier schildern, kommen von einer ungewöhnlich großen Schimpansengruppe im Kibale National Park in Uganda, die aus etwa 150 Individuen besteht. Seit Juni 2009 hält sich diese Gruppe zu etwa einem Drittel der Zeit in einem rund 6,4 Quadratkilometer großen Gebiet auf, das ursprünglich zu einer benachbarten Gruppe gehörte. Den Schimpansen ist es damit offenbar gelungen, ihr Territorium um etwa 22 Prozent zu erweitern.

Allerdings nicht ohne eine bittere Vorgeschichte: In der Dekade davor hatten die Primaten 21 Individuen benachbarter Gruppen getötet. 17 Fälle sind dabei eindeutig einer Patrouille zuzuordnen, drei weitere Fälle konnten die Forscher nicht selbst beobachten. Immerhin 13 der Opfer gehörten zu der Schimpansengruppe, die zuvor im nun neu erworbenen Territorium zu Hause gewesen war. Vier der Toten waren erwachsene Schimpansen-Männchen, der Rest Jungtiere. Für die Forscher um John Mitani von der University of Michigan ist das ein eindeutiger Beleg, dass die territoriale Ausdehnung das dahinter stehende Motiv bildet.

Was die Schimpansen damit jedoch bezwecken, kann noch immer nicht als geklärt gelten. Geht es nur darum, eine erweiterte Nahrungsversorgung für die eigene Gruppe zu sichern, die den reproduktiven Erfolg verstärkt? Oder ergibt sich auch der erwünschte Nebeneffekt, dass Weibchen anderer Schimpansengruppen zu der offenbar erfolgreichen Formation stoßen? Ebenso wenig eigne sich das vorliegende Material, so die Forscher, um Rückschlüsse auf die Ursachen der Kriegführung beim Menschen zu ziehen. Vielmehr müsse man sich die weit interessantere Frage stellen, warum der Mensch ein derart kooperatives Wesen geworden sei. Übersteigt der Nutzen des Einfügens in eine Gruppe die evolutionären Kosten dieses Prozesses tatsächlich so deutlich?