125 Sportarten, die ich nie betrieben habe

Oder wie ich zufällig zum Skateboard-Pionier Deutschlands wurde

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Erst unlängst fragte mich mein Enkel, in diesen Tagen zehn Jahre alt und ein absoluter Skateboard-Fanatiker, ob ich jemals in meinem Leben irgendeine Art von Sport getrieben hätte.

Er fragte mich das rein interessehalber, verstehen wir uns richtig. Nicht etwa, weil ich 200 Kilo wöge oder total "unsportlich" aussähe.

Und ich stand kurz davor, ihm die falsche Antwort zu geben. Sie hätte gelautet: "Was? Sport? Ich? Nie!" Eine Art Auto-Hupen-Akkord. Dah-da-DI-daah! Die Antwort wäre faktisch richtig gewesen. Taktisch wäre sie falsch gewesen. Denn obwohl es wahr ist, dass es 125 Sportarten gibt, die ich nie betrieben habe, obwohl es wahr ist, dass ich die Sportseiten bei jeder Zeitung ungelesen in den Papierkorb stecke und obwohl es ebenso wahr ist, dass ich bei Sportveranstaltungen immer ein Buch dabei habe, so stimmt es andererseits auch wieder nicht, dass ich nie irgendeinen Sport betrieben hätte. Ich bin sogar der Erfinder des ersten Skateboards in Deutschland gewesen. Wofür ich dokumentarische Beweise habe!

Und ich habe gelegentlich sogar ein bisschen Fußball gespielt!

Doch hört Freunde. Lasst mich den Zeiger an der Uhr ein paar Jahre zurück drehen. Als ich selber zehn Jahre alt war, so alt wie mein Enkel jetzt, kam ich aus Persien nach Deutschland. Ein alter Freund aus Teheran bestätigt mir, dass Fußball im Iran seit 1932 dokumentarisch belegt sei. Trotzdem sah ich dort nie einen Fußball. Und obwohl ich drei Jahre lang die Deutsche Schule in Teheran besuchte - sah ich auch dort nie einen Fußball.

Stattdessen sah ich Jungens zu, die mit Murmeln spielten - eher eine Form von Glücksspiel als eine Sportart. Gelegentlich spielte man auch "Fangen", "Räuber und Schandi" bzw. "Wer hat Angst vorm Schwarzen Mann" (oder war es "vorm Bösen Wolf"?) - wo man immerhin auch mal mit den Mädchen zusammen spielen konnte. Im Sportunterricht wurde weiter gerannt - 50-Meter-Schnell-Rennen, Staffellauf, und dergleichen mehr. Manchmal wurde auch geturnt. Ich hatte kein Problem, meine Zehen bei gestreckten Knien zu berühren. Ich kann es heute noch. Zuweilen musste man auf dem Boden sitzen und mit jemandem anderen irgendwas machen, zum Beispiel, sich gegenseitig schwere Bälle zuwerfen. Ich erinnere mich heute noch an das Wort "Medizinball".

Aber "Fußball"? Fehlanzeige!

Die persischen Kids auf der Straße kickten auch nie ersatzweise an einem Tennisball oder an einer Konservendose herum. Nicht mal an einem alten Turnschuh oder einem liegengebliebenen Schafsknochen. Fußball war mir als Konzept und als Realität völlig unbekannt.

Fußball

Dann kam ich nach Königstein im Taunus in ein Schülerheim der Inneren Mission, und alle 150 Insassen, Kinder und Jugendliche unterschiedlichen Alters und variabler Intelligenz, spielten in jeder freien Minute - Fußball.

Sie traten die Bälle mit brachialer Gewalt gegen die Sandstein-Wände und schweren Holztore dieses ehemaligen Schlosses, das sich ein Frankfurter Bankier namens Andreae einst hatte erbauen lassen, später bekannt als die Villa des Hochstaplers Schneider, und rannten in ihren Straßenschuhen oder Sandalen über den sandigen und steinigen Hof, den Ball dribbelnd und kickend und sich gegenseitig das Bein stellend.

Mich forderten sie auf, mitzuspielen. Und wenn ich mal mitspielte, forderten sie mich auf, "nach Hause" zu gehen. Ich traf nie den Ball oder stolperte beim Rennen über ihn, und wenn ich ihn traf, flog er nie dort hin, wo er meiner Absicht nach hätte hinfliegen sollen. Ich kannte keine einzige Regel, und wenn ich endlich gegen einen anderen Spieler ausgetauscht wurde, war ich erleichtert und dankbar, statt knurrig und sauer.

Roller-Fahren

In Persien hatte es alle möglichen Sportarten gegeben, die ich quasi mit der Atemluft aufsog. Dass sie in meiner unmittelbaren Nähe praktiziert wurden, hatte vornehmlich damit zu tun, dass wir an einer abschüssigen Straße lebten.

Im luxuriösen Teheraner Vorort Shemiran gab es zur Schah-Zeit nämlich neben ausgemachten Millionären und gehobenen Staatsbeamten auch ganz arme Leute, und ihre Kinder besuchten die ziemlich heruntergekommene Volksschule am Baghe Ferdous, dem "Garten des Paradieses". Wegen der argen Verlausung hatten alle diese Kinder kahlgeschorene Köpfe, und ich, mit meinem europäischen Fasson-Haarschnitt, hatte immer den Kopf voller Läuse, weil ich mit ihnen spielte.

Wir wohnten praktisch Wand and Wand mit dieser Schule, in der Tus-Gasse, denn Ferdousi, der persische Nationaldichter, stammte aus dem Ort Tus, und es hatte den namensgebenden Stadtvätern wohl so gefallen, neben der Schule, die an Ferdousi gemahnte, eine Straße nach seinem Geburtsort zu benennen. Sie war glatt asphaltiert, führte ziemlich steil bergab, und täglich rollten ganze Horden von Kindern auf ihren selbstgebastelten Tretrollern (heute würde man Scooter sagen) den Hang hinab.

Diese Roller hießen Rou-Ro-Ak [Rou (gesprochen wie das englische Wort row - rudern - bedeutet (Imperativ) "geh"; Ak als Nachsilbe bildet die Verkleinerung eines Substantivs; also: "Geh-Geh-chen"]. Sie bestanden aus zwei Brettern, an denen jeweils ein metallenes Rad - ein Kugellager aus irgendeinem mechanischen Wrack - hineinmontiert war. Die Bretter wurden dann so miteinander verbunden, dass sie einem Tretroller ähnlich sahen. Mit viel Geräusch, und auch mit rostigem Quietschen, sauste man mit diesen Geräten auf abschüssigen Straßen ins Glück, bis die Räder irgendwann einmal den Geist aufgaben und die kleinen rostigen Murmeln über den Asphalt davon kullerten.

Springen

Ich hatte keinen Roller, aber ein nie zu stillendes Bedürfnis nach Rädern - und so fuhr ich auf dem Bären meines Bruders. Meine Eltern hatten auf dem Weihnachtsbasar der deutschen Botschaft einen gebrauchten Bären auf Rädern erstanden. Er besaß zwischen den Schultern einen Ring mit Zug, und brummte, wenn man an ihm zog, recht lautstark. An den Pfoten hatte er tiefrote, solide Blechräder mit schwarzen Hartgummireifen, auf denen er jedem Rou-Ro-Ak locker davon sauste. Natürlich knickte der Bär irgendwann einmal ein, denn er war schon alt und nur für einen Drei-oder-Vierjährigen in einem braven deutschen Wohnzimmer gedacht, nicht für einen soliden Siebenjährigen auf einer persischen Rennpiste.

Als nächstes ging ich daran, die importierten Chesterfield-Zigaretten meiner Mutter packungsweise gegen jeweils eine einstündige Benützungsdauer eines Rennrads einzutauschen. Ich musste das Rad an einen Chausseebaum stellen und erst einmal hinauf klettern. Danach war an ein Absteigen nicht mehr zu denken, bis ich an einen weiteren Baum gelangte. Ich habe mir vor ein paar Jahren die Straßen wieder angesehen, die ich damals hinunter sauste. Sie führen unverändert senkrecht bergab.

Nein, nicht senkrecht. Aber doch, wenn ich mich an meine Schulgeometrie erinnere, in einem Winkel, den ich atemberaubend finde.

Um noch etliche Grade steiler ging es die Wände des "V" hinab, das von dem ausgetrockneten Flussbett neben der Tus-Gasse gebildet wurde.

Das Flussbett war ausgetrocknet - normalerweise! Ganz unten floss noch ein Bach von etwa zwei Meter Breite. Aber ein plötzlicher Wolkenbruch konnte den Himmel im Sommer um 4 Uhr Nachmittags dunkel wie in tiefster Nacht einschwärzen. Der große Platz vor dem Basar von Tajrish konnte einen Meter unter Wasser stehen. Der Verkehr konnte komplett zum Erliegen kommen. Im ausgetrockneten Flussbett wütete dann ein reißender Gebirgsstrom.

Dieser Fluss diente als Müll-und Schutthalde, und der Sport, den wir uns machten, war, den Abhang in möglichst großen Sprüngen abwärts zu hasten, verfolgt von aufgewirbelten Stein- und Müllkaskaden. Am kaspischen Meer verfeinerte ich diesen Sport. Senkrecht zur Achse der großen Sanddünen rannte ich mit riesigen Schritten barfuss hinab.

Ich träumte davon, besondere Prothesen zu tragen, um noch längere Beine zu haben, und dann - unten angekommen - Otto Lilienthal-Flügel auszubreiten und mich in die Lüfte zu erheben. Im Film "Avatar" haben 50 Jahre später Andere endlich dieses Bild realisiert.

Wenn ich damals von sportlichen Aktivitäten träumte, ging es dabei gewöhnlich ums Fliegen, mit Hubschraubern, Düsenjägern, Wasserflugzeugen, Raumschiffen. Oder ich träumte von Rennwagen mit unbeschreiblichen Geschwindigkeiten.

Skifahren

Aber nie hechtete ich mich - wie später im Taunus - mit einer ledernen Schultasche an der Brust irgendwelche Rodelpisten hinab, als lebender Einer-Bob. Die persischen Winter waren einfach zu kalt dazu. Der Wasserfall, der sommers wie winters unseren Garten speiste, erfror im Flug zur Eisfontäne. Die Tannenbäume verwandelten sich im Eisregen zu gläsernen Riesenkegeln. Die ganze Szenerie wurde zu einer schimmernden Eiswelt, die man nur bestaunen konnte.

Aber für Sport taugte sie wenig. Die Ski-Orte befanden sich nordöstlich von Teheran, zuerst Laschgarak, 30 km, und weiter oben im hohen Gebirge Schemschak, 50 km entfernt.

Nicht einmal der Schah verstand etwas vom Schifahren. Dazu gibt es ein berühmtes Foto von LIFE. Die amerikanische Star-Illustrierte behandelte den Schah und die Kaiserin, Soraya, die der amerikanischen Schauspielerin Ava Gardner wie aus dem Gesicht geschnitten wirkte, als "amerikanisches" Traumpaar, als Vorläuferpaar von Jack und Jackie Kennedy.

Auf dem LIFE-Foto steht der Schah in einer weißen Schneelandschaft, gekleidet wie ein amerikanischer "Preppie" oder wie ein britischer Cricket-Spieler, mit weißen Hosen und einem weißen Pulli mit grün-weiß-rotem Kragen, auf seinen Schiern. Neben ihm sitzt Soraya im Pelzmantel auf einem Thonet Stuhl, die im Iran als "Sandali-e Lahestaani", als "polnische Stühle" bezeichnet werden.

Der Grund lag darin, dass nach dem 2. Weltkrieg tausende von Polen nach dem Iran auswanderten und in Teheran Handwerksbetriebe einrichteten, in denen sie die nachgeahmten klassischen Thonet-Stühle produzierten. Wenn man heute ältere Leute nach österreichischen Thonet Stühlen fragt, weiß niemand, was gemeint ist. ABER - wenn man von Sandali-e Lahestaani redet, weiß jeder sofort Bescheid! Man findet sie angeblich noch ab und zu auf den Freitagsbasaren in der Altstadt, im Süden Teherans.

Zurück zu dem Foto: Irgendwo weitab steht ein Sicherheitsbeamter, der wie ein europäischer Fahrkartenschaffner gekleidet ist. (Zufällig hat das Internet nach 60 Jahren seinen Namen herausapern lassen: Masoud Pour-Rastegar.)

Soraya wendet sich ganz offenbar dem Fotografen zu und sagt gerade so etwas wie: "Beachten Sie ihn einfach gar nicht. Er ist ja so was von kindisch!" Und der Schah scheint zu sagen: "Aber wieso? Wenn ich hier oben im Schnee stehe, denke ich nur an dich." Und tatsächlich zeichnet sich in seiner weißen Hose überdeutlich ab, woran er denkt. Beim Schifahren.

Ringen

Persische Sportarten waren irgendwie eher vom Sommer abhängig, körperbetont, körper-kontakt-betont, schweißtreibend. So zum Beispiel der Ringkampf Koschti-yeh Baastaani (der "antike" Ringkampf). Warsesche-e Baastaani sind die althergebrachten, antiken Leibesübungen (oder Turnen). Baastaan heißt alt, antik, daher etwa Iraane-e-Bastaan (das alte oder antike Iran).

Meine Eltern unterzogen sich auf Reisen beliebigen Strapazen, aber bei Sportereignissen taugten sie nicht einmal als Zuschauer. Und das obwohl - wie ich später sehr zu meiner Verwunderung erfuhr - mein Onkel, der Bruder meines Vaters, zehn Jahre lang in Deutschland als Fußballprofi Dienst getan hatte. Aber in Persien gab es als Zuschauersport nur Ringkämpfe - und obwohl die persischen Catcher nicht unbedingt versuchten, sich die Arme auszukugeln, die Beine auszureißen oder die Augen auszustechen, so war das doch kein Sport für die Ladies. Für Kinder war es aber offenbar ganz okay. Jedenfalls ging ich ein paar Mal, an Stelle meiner Mutter, als Begleitung zu hochoffiziellen Anlässen, mit meinem Vater ins Zoor Khaneh, oder, Deutsch geschrieben, Sur Chaaneh, übersetzt: Das Haus der Kraft. Eine wahrhaft altrömische Angelegenheit!

Die Billigversionen dieser Ringkämpfe gab es, samt Tanzbären und Akrobaten, auf dem Basar von Tajrish zu sehen. Manchmal stellten sich auch professionelle Ringkämpfer beliebigen Herausforderern aus dem Publikum. Dann wieder gab es reine Zurschaustellungen purer Kraft, wenn um Geld darum gewettet wurde, wer nun diesen schweren Stein in die Höhe hieven könnte. Oder wenn beispielsweise ein Muskelprotz sich auf den Rücken legte und sich einen großen Stein auf den Brustkorb legen ließ. Als nächstes stieg dann noch ein Hundert-Kilo-Mann auf den Stein.

Andere legten sich auf zerbrochene Flaschenscherben oder wanderten über glühende Kohlen. Diese Kraftmeier wurden vom Volk Pahlawaan (persisch) oder (türkisch/arabisch) Gharemaan genannt. Der Tatbestand, bei dem diese Operationen durchgeführt und auch manchmal zwischendurch von "Zaubereien" begleitet wurden, heißt auf arabisch (und im Persischen, das den Ausdruck übernahm) sehr umständlich: Amaliaat e mohayyer al Oghul (auf deutsch ausgesprochen). Amaliaat ist der Plural von Amal und bedeutet Operation/en. Mohayyer al Oghul bedeutet im übertragenen Sinne: "die Sinne raubend / staunend." Mohayyer kommt vom arabischen Heyrat: Verwunderung. Oghul ist der Plural von Aghl (der Verstand). Also: "Akte und Operationen, die mit dem Verstand nicht vereinbar" waren.

Diesen komplizierten Begriff kannten und verstanden die einfachen Leute auf der Straße (Mardom-e Kutscheh wa Basar), ja, sogar die Analphabeten. Heute kennen selbst Abiturienten und Studierende diesen Begriff nicht mehr. Sie können sich darunter nichts vorstellen, weil sie solche Veranstaltungen auf der Straße nie kennen gelernt haben. Ältere Leute wissen natürlich, worum es geht.

Werfen

Im Iran der Fünfzigerjahre war man der Steinzeit noch recht nahe. Die oben erwähnten Akrobaten führten oft eine menschliche Schubkarre vor. Der eine ergriff den anderen bei den Füßen, und schob ihn weiter, während dieser mit den Händen voran tappte. Nicht selten saß ihm dabei ein Dritter auf dem Rücken und vollführte einen Handstand. Gelegentlich hielt der Zweite auch ein Rad oder einen Stein zwischen den Händen. Es war also leicht zu erkennen, wie das Rad früher einmal erfunden worden war.

An der V-förmigen Müllkippe rollten wir auch oft Steine hinunter, wobei wir darauf achteten, möglichst rollfreudige Steine zu finden. Und natürlich steckten wir uns ebensolche, kleinere Steine, also flache, runde Steine, in die Taschen, um damit nach Straßenhunden zu werfen. Die Hunde trieben sich in ausgehungerten Rudeln herum, manchmal in Konkurrenz zu den Schakalen. Bei der damals hohen Kindersterblichkeit wurden Babys und kleine Kinder gewöhnlich, nur in ein weißes Tuch gewickelt, in flachen, also ca 60 cm tiefen, Gräbern beerdigt. Bei Nacht wühlten die Hunde, vom Leichengeruch angelockt, die Toten wieder aus. Es gehörte also zur Etikette, sie mit Steinwürfen von menschlichen Besiedlungen fern zu halten.

Wir hatten bei uns im Garten freilich immer fünf oder sechs Spitze, ich bin also als Hund unter Hunden aufgewachsen - habe mich allerdings seitdem, auf vielfach gewundenen Schlangenlinien zum Katzenliebhaber gemausert.

Wie auch immer: so ein Rudel Straßenkinder hätte auch einen Goliath niedergestreckt. Ich selber lernte zielgenau jeden Telegrafenmast zu treffen. Es war eine Fertigkeit, für die ich später, im Königsteiner Schülerheim, gute Verwendung fand. Die Kids pflegten sich in den Aufenthaltsräumen Pantoffelschlachten zu liefern. Die Pantoffeln wurden dabei wie Tomahawks jeweils einem Angehörigen der Gegenseite ans Hirn geschleudert.

Ich galt dabei als besonders "feiger Hund" weil ich die Pantoffeln gezielt an die Köpfe warf - und traf. Dafür durfte ich der späteren Rache gewiss sein. Und wenn ich dann im Ringkampf niedergerungen auf dem Rücken lag und jemand schmerzhaft auf den Muskeln meiner Oberarme "ritt" - hieß es "Ägieptisch!" Ich verstand bald, dass das "Ergieb dich!" bedeuten sollte, trotzdem antworte ich meistens: "Nein. Römisch!"

Alak Dolak

Mit einem Stein und zwei Stöcken hatten die persischen Kinder auf der Straße übrigens auch eine Art Steinzeit-Baseball gespielt.

Das Spiel hieß Alak Dolak: der Ursprung dieses Namens ist mir nicht bekannt. Man legte einen kleinen Stock schräg über einen Stein, und schlug ihn mit einem längeren Stock so, dass er in die Luft wirbelte. Dann musste man ihn noch einmal treffen, damit er davonflog. Der Gegner musste den fliegenden Stock in einiger Entfernung aus der Luft fangen, um zu gewinnen. Dann durfte man als Sieger selber den kurzen Stock mit dem längeren in die Luft schlagen und der Verlierer musste versuchen, ihn zu fangen. So ging es hin und her.

Es versteht sich von selbst, dass ich Sportarten betrieben habe, die kein Mensch kennt, und jedem normalen Sport aus dem Weg gegangen bin. Judo? Fehlanzeige. Völkerball? Nie. Wasserpolo? Aber nicht doch. Dafür erfand ich eine Methode, alte Autoreifen mit einem Stock durch die Gegend zu treiben. Klar, dass ich Bumerang werfen lernte. Dass ich Quoits werfen und fangen lernte. Dass ich Seilhüpfen lernte. Dass ich auf dem Rücken schwimmen lernte - stundenlang, fast ohne mich zu bewegen. Dass ich, wie "Lola rennt", bei jedem verpassten Bus oder jeder nach Mitternacht nicht mehr erwischten Straßenbahn, einfach 10 km nach Hause rannte. Dass ich Drachen steigen ließ. Dass ich Tischtennis spielen lernte, bis ich, mit Siebzehn, eine Brille bekam und bei dem Parallaxenfehler am Brillenrand jeden Ball um eine Hundertstelsekunde und einen Hundertstelmillimeter verpasste. Und es versteht sich von selbst, dass ich das Skateboard erfinden musste.

Skateboard

Ende 1964 oder Anfang 1965 fragte mich meine Freundin Ginny in Heidelberg, ob ich jemals Rollschuhlaufen gelernt hätte. Natürlich, sagte ich. Sie hätte da nämlich einen einzelnen Rollschuh gefunden, in irgendeiner Kiste, sagte sie. Der zweite sei einfach nicht aufzuinden. Wir versuchten es, auf einem einzigen Rollschuh. Aber nein. Es war ein amerikanischer Rollschuh mit Gummireifen, statt den metallenen deutschen Rädern, aber es war trotzdem unmöglich, damit zu fahren.

Die Idee war nahe liegend, nach all meinen vorausgegangenen Erfahrungen mit rollenden Bären und Rou-Ro-Aks, den Rollschuh auseinanderzunehmen und die Räder vorne und hinten an ein Brett zu nageln. Ich erinnere mich nicht mehr, ob wir damals schon von amerikanischen Skateboards gehört hatten. Ich fand (jetzt!) im Internet ein Foto von einem der frühen Skateboards in Amerika, 1964. Es sah fast genau so aus wie das Ding, das wir damals konstruierten. Anschließend probierten wir es aus.

April 1965, meine Freundin Ginny rollt auf unserem selbstgebastelten Skateboard in Heidelberg eine abschüssige Straße hinab. Ich bin so aufgeregt, dass ich ihren halben Arm nicht mit aufs Foto bringe. Die Heidelbergerinnen im Hintergrund sind des Staunens voll. Bild: Archiv Appleton

Auf dieser abschüssigen Straße in Heidelberg rollte Ginny auf unserer Erfindung die Straße hinab. Das sportliche Talent war ihr angeboren. Ihr Vater, heute fast 90, hat das Windsurfen mittlerweile eingestellt. Aber er hat überhaupt erst mit 60 damit begonnen. Es war also nur natürlich, dass Ginny zur Skateboard-Pionierin Deutschlands werden sollte.

Der Erfinder präsentiert stolz aber bescheiden sein neues Fahrgerät, selber weniger am Sport als an der journalistischen Dokumentation (Foto, Schreibpapier in der Hemdtasche) interessiert. Ginnys Freundin Helen lächelt voller Bewunderung. Der 64er Opel Rekord und die fehlenden Blätter an den Bäumen, sowie das Alter der Beteiligten datieren die Fotos auf Herbst 64, Frühjahr 65. Bild: Archiv Appleton

Auf den Fotos, die wir machten, erkennt man deutlich, dass die Heidelberger Bürgerinnen im Hintergrund so etwas noch nie gesehen hatten, und sie staunten nicht schlecht. An dem 64er Opel Rekord erkennt man eine deutliche zeitliche Zuordnung, die kahlen Bäume deuten für mich auf Frühjahr 65, aber wir sind schon aus den warmen Jacken heraus, also circa April. Ich trage ein Hemd, wie ich es heute auch trage, wie immer ein Schreibpapier in der Tasche, keine Brille, also knapp 17, und ich stelle stolz meine Erfindung zur Schau. Die Miene verrät, "dem Ingeniör ist nichts zu schwör", und Ginnys Freundin Helen lächelt mich bewundernd an.

Da habt ihr es Freunde. Wenn irgendjemand ein noch früheres Foto von einem Skateboard in Deutschland finden kann, werde ich mich geschlagen geben. Bis dahin werdet ihr es akzeptieren müssen. Ich bin der Skateboard Pionier Deutschlands.

Ich weiß. Mein Enkel war auch beeindruckt. Ungefähr 5 Minuten lang.