Blockade des Gaza-Streifens

Die israelische Regierung arbeitet an einer neuen Verbotsliste, mit der Situation im eingeschlossenen Gaza-Streifen setzt sich ein Computerspiel auseinander

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Für die israelische Regierung gilt die Blockade des Gaza-Streifens als Notwendigkeit, um sich vor palästinensischen Terroristen zu schützen, die den Judenstaat vernichten wollen. Für Menschenrechtsaktivisten bedeutet die Blockade eine inhumane kollektive Bestrafung der Bevölkerung. Die neuerdings gelockerten Einfuhrbestimmungen sind für sie nur Augenwischerei. Noch immer wird die Ökonomie Gazas stranguliert und die Bewohner können sich nicht frei bewegen, wie auch ein neues Videospiel einer israelischen NGO zeigt.

Israelische Mauer am Gaza-Streifen. Screenshot: Google Earth

Mittlerweile sind im Gaza-Streifen wieder Koriander, Pulverkaffe, Marmelade, Säfte, Rasiercreme, Kartoffelchips, Kekse oder auch Süßigkeiten ganz offiziell erhältlich. Nach drei Jahren strikter Blockade erlaubt Israel in Zukunft mehr Nahrungsmittelimporte. Bisher waren rund 100 Produkte erlaubt (von den insgesamt 4.000 vor Beginn der Blockade). Ein israelischer Supermarkt bietet im Vergleich zwischen 10.000-15.000 Produkte an.

Die israelische Regierung arbeitet zurzeit an einer Verbotsliste von etwa 100 Gütern, die rechtzeitig zum Besuch von Premierminister Benjamin Netanjahu am 6. Juli im Weißen Haus mit US-Präsident Barak Obama fertig sein soll. Zu den nicht erlaubten Importen zählen dann unter anderem Fernrohre, Feuerwerkskörper, verschiedene Düngemittel und Schwefel. Was auch weiterhin verboten bleibt, sind Materialien zum Wiederaufbau.

Bei der 22 Tage dauernden Invasion der israelischen Armee im Winter 2008/2009 wurden insgesamt 189 Gebäude, darunter 11 Fabriken, acht Lagerhäuser, 170 Wohnhäuser total zerstört sowie tausende zum Teil schwer beschädigt. Ingesamt werden nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Gisha für den Wiederaufbau etwa vier Millionen Tonnen Zement, 653 Tonnen Stahl und 129 Millionen Meter Elektrokabel benötigt. Das sind Mengen, die in den Schmugglertunneln unter der Grenze zu Ägypten hindurch unmöglich nach Gaza transportiert werden können. Zudem sind die Preise dafür horrend. Die Tunnelbetreiben lassen sich den Schmuggel verbotener Waren sehr gut bezahlen. Gerade, nachdem sie durch die Öffnung der Grenze für neue Güter einen großen Teil ihres lukrativen Geschäfts verloren haben. Tag und Nacht wurde unter der Erde für 25 Dollar pro 12 Stunden-Schicht gearbeitet.

Obwohl der unterirdische Schmuggel sehr gefährlich ist - manche Tunnel brechen ein, von ägyptischer Seite werden diese Transportwege auch vergast und jeden Moment können israelische Kampfflugzeuge bombardieren -, sind Jobs in diesem Geschäft sehr gefragt. Von der 1,5 Millionen Bevölkerung des Gaza-Streifens sind 40 Prozent arbeitslos. „Ich habe im Tunnel täglich gearbeitet“, sagt Ahmed, einer der Schmuggler. „300 ägyptische Pfund (ca. 50 Dollar) habe ich dafür bekommen. Jetzt gibt es keine Arbeit mehr. Seit die Grenze geöffnet wurde, habe ich nur zweimal gearbeitet.“

Am 1. Juni, nur einen Tag nach dem Angriff auf den Hilfskonvoi der israelischen Marine, bei dem neun türkische Staatsangehörige getötet worden waren, hatte die ägyptische Regierung Grenzübergang Rafah geöffnet. Zum ersten Mal nach drei Jahren der Kollaboration mit Israels Blockade-Politik steht die Grenze zu Gaza für unbestimmte Zeit offen. Zwar nur für humanitäre Hilfe und streng kontrolliert, aber immerhin. Mittlerweile sind 16.500 Palästinenser nach Ägypten gereist, um sich ärztlich behandeln zu lassen. „Ägypten ist dasjenige Land, das die Blockade gebrochen hat“, sagte Hossam Zaki, der Sprecher des ägyptischen Außenministeriums. „Wir entlassen die Okkupationsmacht (Israel) nicht aus ihrer Verantwortung.“ Eine Meinung, mit der das Außenministerium weitgehend alleine steht. Sowohl in Ägypten als auch in anderen arabischen Ländern war es in den letzten Jahren immer wieder zu Protesten gegen die Schließung der ägyptischen Grenze zu Gaza gekommen. Insbesondere während des Gaza-Kriegs 2008/2009 hatte eine breite arabische Öffentlichkeit gegen Ägypten „als Handlanger Israels“ protestiert.

Alle neuen Produkte will die Hamas im Gaza/Streifen jedoch nicht hereinlassen. Wie das Nationale Wirtschaftsministerium der islamistischen Organisation verlautbarte, müssen alle in Israel produzierten Kekse, Säfte, Soft Drinks und Salate draußen bleiben. Diese Produkte wurden früher im Gaza-Streifen für den israelischen Markt produziert. Heute werden nur mehr Orangesaft andere Soft Drinks hergestellt und das, aufgrund der Blockade, ausschließlich für den lokalen Markt. Die Palestine Food Cooperation hatte in den letzten drei Jahren das Monopol auf die Herstellung von Orangensaft und anderer Getränke. Sie steigerten sich ihre Erlöse von 145.780 Dollar 2006 auf 1,8 Millionen Dollar 2009. Mit den qualitativ besseren Säften aus Israel wäre es mit dem wachsenden Profit vorbei. Gleichzeitig auch mit den Arbeitsplätzen, die sich in den vergangenen drei Jahren auf 65 vervierfacht haben. Die Palestine Food Firma ist eine der sehr wenigen ökonomischen Erfolgsgeschichten aus Gaza. Durch die Blockade mussten 90 Prozent aller anderen palästinensischen Fabriken schließen.

Seit 2007, als Hamas die Kontrolle Gazas übernahm und die israelische Blockade begann, verließen 300 LKWs mit Exportgütern den Gaza-Streifen. Das ist die gleiche Anzahl an LKWs wie vor Beginn der Blockade an nur vier Tagen. Durch die neuen, liberaleren Importregeln Israels wird sich an dieser wirtschaftlichen Misere nichts ändern. Nach wie vor bleiben alle Rohstoffe, die man für eine industrielle Produktion, ob für Kleidung, Konserven oder Salate benötigt, verboten. Der Regierung des israelischen Premierministers Benjamin Netanjahu geht es primär nicht um die Verhinderung des Waffenschmuggels, sondern um die Zerstörung der Wirtschaft Gazas und einer gleichzeitigen Diskreditierung der „Mördertruppe“ der Hamas. Bisher hat Netanjahu jedoch nur das Gegenteil erreicht. Hamas (und nicht die Palästinensische Autonomiebehörde der Westbank) kassiert alle Importsteuern. Die Tunnelwirtschaft ist fest in den Händen der islamistischen Organisation, die daraus lukrative Profite erzielt. Neuester Renner in Gaza sind chinesische Motorräder, eingeschmuggelt über die Tunnel nach Ägypten, an denen die Hamas selbstverständlich auch mitverdient. Die Gruppe soll heute finanziell besser dastehen, als noch vor Beginn der Blockade.

Der Mangel an Produkten hat Hamas erfinderisch gemacht. Ohne chemische Düngermittel ist man beispielsweise auf natürlichen Kompost und Abwässer ausgewichen, die sonst ins Meer gingen. Ein 10-Jahresplan soll Gaza in eine große biologische Agrarzone verwandeln. Wirklich betroffen von der Blockade sind die Hamas- Funktionäre kaum. Wen es am meisten trifft, das ist die Bevölkerung, die nicht für die herrschende islamistische Partei arbeitet und ohne jede soziale Absicherung ihr Leben bestreiten muss. Eingesperrt auf 365 Quadratkilometern, ohne Recht das Gebiet zu verlassen. Weder, um anderswo eine Arbeit anzunehmen, noch eine neue Wohnung zu mieten, zu heiraten, Freunde, Familie zu besuchen oder ein Studium an einer Universität ihrer Wahl anzutreten. Arztbesuche und ausreichend Medikamente sind nach der unerwarteten ägyptischen Grenzöffnung eine ganz neue Erfahrung.

Screenshot aus Safe Passage

Ein Spiel, bei dem man nicht gewinnen kann

Einblick und Information über die Beschränkungen, denen die Palästinenser in Gaza unterworfen sind, gibt Safe Passage, ein neues Videospiel der israelischen NGO Gisha, das von der Europäischen Union finanziert wurde. „Wir konzentrieren uns auf zwei Aspekte der Blockade, die sich nicht verändert haben und worüber es auch keine Diskussion gibt, sie zu verändern“, erklärte Sari Bashi von Gisha. „Das sind der Export und die persönliche Bewegungsfreiheit.“

Das Spiel zeige, dass die israelische Politik der Trennung von Westbank und Gaza unumstößlich und langfristig ist. Wer Safe Passage spielen möchte, muss zuerst eine Spielfigur wählen. Man hat die Wahl zwischen einer Studentin, die an einer Universität in der Westbank studieren will, einem Eishersteller, der die Idee hat, in der Westbank eine Eisfabrik zu eröffnen, und einem Familienvater, der von den Israelis nach Gaza deportiert wird und zurück zu seiner Frau und den Kindern in der West Bank möchte.

Screenshot aus Safe Passage

Gewinnen kann man bei diesem Spiel nicht. Alle drei Charaktere scheitern dabei, sich ihren Wunsch zu erfüllen. Egal, welche Wege der Spieler auch wählt, um seine Figur in die West Bank zu bringen. Immer verhindern das bürokratische Vorschriften und Verbote der israelischen Behörden. Das Spiel ist dokumentarisch angelegt. Die Spielfiguren basieren auf realen Personen, zudem werden während des Spiels immer wieder israelische Originaldokumente eingeblendet. Informationen, die man unter normalen Umständen nicht zu Gesicht bekommen würde. "Eine familiäre Beziehung an und für sich ist kein humanitärer Grund für eine Ansiedlung in der Westbank". "Die Wirtschaft des Feindes zu schädigen ist ein legitimes Mittel der Kriegsführung". „Keine Person darf das Gebiet betreten oder verlassen, außer mit meiner Erlaubnis oder die einer von mir schriftlich autorisierten Person, oder in Übereinstimmung einer generellen Erlaubnis, die ich ausgestellt habe“ (Kommandeur der israelischen Armee, Gaza-Streifen.

Die Bezeichnung Computerspiel ist für „Safe Passage“ etwas unangebracht, da relativ wenig gespielt werden kann. Dafür geht es mehr um sachliche Aufklärung und Information. Mal etwas anderes im Vergleich zu den meist schießwütigen War Games, die es von Israel, den USA oder auch der libanesischen Hisbollah gibt.