Nazivergangenheit unter Verschluss

Berliner Kanzleramt verweigert Freigabe von Eichmann-Akten. Ehemalige Fluchthelfer im BND werden geschützt. Kritik von Bundesverwaltungsgericht

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Hätten zwischen beiden Terminen nicht nur wenige Wochen gelegen – kaum jemand könnte auf böse Gedanken kommen. Mitte März berichtete die Frankfurter Allgemeine Zeitung in einem ausführlichen Autorenbeitrag über die Beschäftigung von Nazis im westdeutschen Geheimdienst nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Die Akten über die Anwerbung von faschistischen Kriegsverbrechern in der "Organisation Gehlen", aus der 1956 der Bundesnachrichtendienst (BND) hervorging, wurden einst unter Verschluss gehalten, beschrieb FAZ-Redakteur Peter Carstens in seinem Artikel über die "Organisationseinheit 85", die Nazis im Dienst nachspürte – ohne dass dies personelle Folgen hatte.

Nun endlich wolle der amtierende BND-Chef Ernst Uhrlau diese Akten der Öffentlichkeit zugängig machen. Die Dokumente könne auf Antrag einsehen, "wer Forschungs- oder journalistisches Interesse nachweist", bestätigte auch die Frankfurter Rundschau.

Wie selektiv der BND dennoch mit seiner Nazivergangenheit umgeht, merkte Gaby Weber nur wenige Wochen später. Die Journalistin befasst sich von Deutschland und Argentinien aus seit Jahren mit der "Rattenlinie", der Flucht unzähliger Hitlerfaschisten nach Südamerika. Ein besonders heikler Fall ist der von Adolf Eichmann. Der hochrangige SS-Mann war im "Reichssicherheitshauptamt" maßgeblich für die Organisation der Judenvernichtung zuständig. Nach 1945 flüchtete er mit Hilfe der katholischen Kirche nach Argentinien, wo er unter anderem für Daimler-Benz arbeitete.

Schon Mitte 2006 gab der Journalist Scott Shane in der New York Times unter Berufung auf CIA-Akten bekannt, dass der westdeutsche Geheimdienst den US-Kollegen bereits 1958 von dem Verbleib Eichmanns in Argentinien berichtete. Tätig wurde keiner der beiden Dienste. Der offiziellen Version zufolge wurde Eichmann 1960 von einem Kommando des israelischen Mossads in Buenos Aires festgenommen und nach Tel Aviv verbracht. 1962 wurde der Organisator des Holocausts dort nach einem Gerichtsverfahren hingerichtet.

Weber will den Fall nun aufarbeiten. Wenn die westlichen Dienste schon Ende der 1950er Jahre von dem Verbleib des Naziverbrechers wussten, wer hat ihn dann gedeckt? Weber fragte nach den Eichmann-Akten an. Über 3.000 Unterlagen finden sich in den Archiven, erfuhr sie aus dem Hause Uhrlaus. Danach aber herrschte Schweigen. Die Dossiers seien geheim, teilt man ihr in Pullach mit. Später erließ das Bundeskanzleramt von Angela Merkel als oberste Aufsichtsbehörde des Geheimdienstes eine pauschale Sperrerklärung über die Bestände. Zuviel Offenheit war doch nicht gewünscht (Bundeskanzleramt sperrt Eichmann-Akte des BND). Doch Weber klagte gegen den Sperrentscheid.

Dass der politische Wunsch der in Berlin amtierenden rechtsliberalen Regierung mit dem Rechtsstaat nicht immer im Einklang steht, stellte Ende April das Bundesverwaltungsgericht fest. Es könne nicht einfach erklärt werden, dass die Offenlegung von Archivunterlagen "über abgeschlossene Vorgänge der Zeitgeschichte dem Wohl des Bundes Nachteile bereiten würde", stellten die Richter fest. Dies hatte das Kanzleramt behauptet. Das Gericht verlangte im Falle einer Verweigerung der Aktenherausgabe eine "nachvollziehbare und verständliche Darlegung". Dabei müsse auch die verstrichene Zeit beachtet werden. Das Berliner Amt hatte zuvor schließlich auch mit Informantenschutz argumentiert. Dabei ist es unwahrscheinlich, dass die Akteure noch leben oder dass ihnen, wenn dies der Fall sein sollte, ein Nachteil entsteht. Wahrscheinlicher ist, dass die politische Kontinuität vom Naziregime in die Berliner Republik weiterhin gedeckelt werden soll.

In ihrem Kampf um Aufklärung bekommt Gaby Weber nun Hilfe von politischer Seite. Der Bundestagsabgeordnete der Linkspartei Jan Korte forderte die Bundesregierung im Nachgang zum Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes auf, "sowohl die BND-Akten zum Fall Eichmann vollständig freizugeben, als auch die NS-Verstrickung des BND-Personals wissenschaftlich aufzuarbeiten". Auch in anderen Bundestagsfraktionen ist man auf den Fall aufmerksam geworden.

Doch ist man in Merkels Kanzleramt zu einem Umdenken bereit? Nach Ablauf der Zwei-Wochen-Frist des Gerichtes war weder bei dem Berliner Rechtsanwalt Remo Klinger noch bei seiner Mandantin Gaby Weber eine Reaktion eingegangen. Dann beantragte der BND eine Fristverlängerung bis Ende August. "Wir gehen dennoch davon aus, dass die meisten Akten nun freigegeben werden", sagte Klinger auf Nachfrage. Wenn das Kanzleramt aber auf die Idee komme, eine neue Sperrerklärung abzugeben, dann werde man eben erneut klagen. "Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass eine so dumme Entscheidung tatsächlich getroffen wird", sagte Klinger.

Inzwischen sei ja bekannt, dass die CIA Ende der 1950er Jahre vom Aufenthaltsort wusste, sagt Weber. Dass sie der Frankfurter Staatsanwaltschaft, die Haftbefehl gegen ihn erlassen hatte, davon kein Wort gesagt hat, sei natürlich peinlich. "Noch peinlicher ist es aber, wenn die Bundesregierung dieses Material nach 50 bis 60 Jahren immer noch geheim hält", so Weber weiter. Gegenüber diesem Umgang mit historischen Materialien müssten Journalisten entschiedener vorgehen, so ihr Wunsch.