"Verstörend und verrohend"

Die Abscheu gegen Crackdown

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Jugendmedienschutz in Deutschland ist streng. Besonders, so scheint es, was Spiele betrifft. Fast monatlich wird ein Titel geschnitten oder indiziert. Mancher erscheint erst gar nicht. Kein Spiel also, das dem aufwendigen Jugendschutzsystem aus USK, BpjM und Strafrecht durchs Netz geht. Jetzt erwischte es „Crackdown 2“, einer von Microsofts Top-Titeln für Xbox 360, der in europäischen Ländern wie Frankreich, Österreich oder Großbritannien aufgrund anderer Wertungssysteme ab 15 bzw. 18 Jahren zugelassen wurde.

Es ist keine Überraschung: Der Sommerhit des Jahres für Xbox 360-Spieler, das Open World-Action-Adventure „Crackdown 2“, wird nicht auf den deutschen Markt kommen. Doch Grund dafür ist weder die USK (Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle, die für die Prüfung und Alterskennzeichnung von Computerspielen und für deren staatlich anerkannte Freigabe zuständig ist), noch die BPjM (Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien in Bonn, an deren Indizierungskriterien sich die USK beim Prüfungsverfahren orientiert und die fragwürdige Titel einem Abschlusstest unterziehen kann). Zumindest nicht direkt: Vielmehr hat Hersteller Microsoft „Crackdown 2“ der USK nicht vorgelegt. Ganz einfach, weil ein Versuch zum Scheitern verurteilt gewesen wäre. Denn wie bereits seinem Vorgänger, der 2007 von der BPjM indiziert wurde (Entscheidung Nr. VA 1 /07 vom 19.03.2007; veröffentlicht im Bundesanzeiger Nr. 63 vom 30.03.2007 und bestätigt im BAnz. Nr. 99 vom 31.05.2007), drohte auch „Crackdown 2“ ein Verbot, das verhindert, dass das Produkt beworben, ausgestellt, öffentlich verkauft oder über den Versandhandel vertrieben werden darf.

Der Index als finanzielles Risiko

Schon zu Beginn seines Eintritts ins Konsolengeschäft hat sich Microsoft dazu entschlossen, Spiele nicht zu veröffentlichen, die einerseits von der USK keine Einstufung erhalten und andererseits nur schwer entschärft werden können – obwohl es rechtlich erlaubt wäre. Eine nachträglich mögliche Indizierung bedeutet allerdings auch stets ein finanzielles Risiko und so kann sich Microsoft als „verantwortliches Unternehmen“ darstellen, das „im Jugendschutz gesellschaftliche Interessen fördert und unterstützt“ – ganz gleich, wie viele Titel der Hersteller mit ähnlichem oder höherem Gewaltgehalt parallel in Entwicklung hat und im Internet bewirbt. Dass es auch anders geht, bewies Sony mit der Veröffentlichung von „God of War“ für PlayStation 2. Das Fantasy-Action-Adventure erhielt nach der ersten USK-Prüfung vor seiner EU-Veröffentlichung im Juli 2005 die Einstufung 'keine Jugendfreigabe gemäß § 14 JuSchG', was die BPjM auf den Plan rief. Die wiederum sah in ihm keinen Verstoß gegen die eigenen Indizierungskriterien und mit einer Verzögerung von knapp einem Jahr konnte der Titel, abgesehen von einem minimalen Szenenschnitt, auch in Deutschland erscheinen.

Zwischen Comic-Spaß und Gewaltanreiz

Diskussionswürdig bleibt weiterhin, mit welchen Begründungen die verschiedenen Abstufungen gewalthaltiger Inhalte vom staatlich akzeptierten Entscheidungsgremium bemängelt werden. Im Falle von „Crackdown 2“ war im Vorfeld klar, was die Spieler erwartet. Erneut ist die offene Welt von Pacific City Schauplatz der Handlung. Wie in Teil eins, das sich an der Grand Theft Auto-Reihe inspiriert, spielt der Spieler einen Super-Polizisten, der Gangster jagt und dabei Nahkampfangriffe sowie Schusswaffen nutzt. Seine übermenschlichen Kräfte gleichen denen eines Comic-Superhelden, der auf Hausdächer springt, Autos hochhebt und faktisch nicht sterben kann. Teil zwei ist eine Weiterführung der Story und des Gameplays von Teil eins, der mit folgender Begründung von der BPjM in die Liste A jugendgefährdender Medien eingetragen wurde:

... der Inhalt des Computerspiels ist offensichtlich geeignet (§ 23 Abs. 1 JuSchG), Kinder und Jugendliche sozialethisch zu desorientieren, wie das Tatbestandsmerkmal „Gefährdung der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen oder ihrer Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit“ in § 18 Abs. 1 Satz 1 JuSchG nach ständiger Spruchpraxis der Bundesprüfstelle sowie höchstrichterlicher Rechtsprechung auszulegen ist. ...
Zu den nach § 18 Abs. 1 JuSchG jugendgefährdenden Medien zählen vor allem unsittliche, verrohend wirkende, zu Gewalttätigkeit, Verbrechen oder Rassenhass anreizende Medien.

BPjM, Offizielle Indizierungsentscheidung zu „Crackdown“

Pazifistische Werte contra Action-Spiel

Da der Spieler zur Vernichtung menschlicher bzw. menschenähnlicher Wesen aufgefordert und dies im Detail dargestellt wird, gilt „Crackdown“ als „verrohend“: Neben Beeinträchtigungen wie Hemmungen, Störungen oder Schädigungen, wie z.B. Alpträume, länger anhaltende Ängste oder seelische Verstörungen, kann der Konsum des Spiels bei Jugendlichen auch Abstumpfung gegen Gewalt und Verlust des Mitgefühls für Opfer von Gewalt verursachen. Als weitere Beispiele für eine Indizierung nennt das Gremium der BPjM das falsche Bild, das dem Spieler von der Polizei suggeriert wird. Die geforderte Vorgehensweise im Auftrag einer vermeintlichen Polizei könne vom jugendlichen Spieler als normal und rechtskonform erachtet werden und daher desorientierend wirken. „Kindern und Jugendlichen werden falsche Vorbilder und Werte vermittelt, die sich unbewusst in der Persönlichkeit festsetzen können“, so Lidia Grashof, Dipl.-Pädagogin und Ständige Vertreterin der Obersten Landesjugendbehörden (OLJB) bei der USK. Dazu zählten z. B. sozialschädliche Männer- und Frauenbilder, das Akzeptieren und Tolerieren von Gewalt und Krieg als Mittel, um Konflikte zu lösen oder sich und seine Interessen durchzusetzen u. v. a.

Im Falle von „Crackdown“ und seinem Nachfolger führte der Gesamteindruck zum Entschluss des Entscheidungsgremiums das Spiel vom öffentlichen Markt fern zu halten: Weniger die einzelnen Kampfaktionen, in denen schreiende Gegner erschossen oder in Brand gesetzt werden können, als die Gesamtheit der Ereignisse stellte sich als psychische Gefährdung für Minderjährige dar.

Durch die Verknüpfung der optischen und akustischen Inhalte entstehen teilweise bedrückend wirkende Situationen, wenn beispielsweise eine brennende Spielfigur vor Schmerzen und in Panik schreit. Besonders grotesk und unmenschlich mutet außerdem die Option an, Leichen wie Gegenstände aufnehmen und werfen zu können. Die Möglichkeit, Leichen als Waffe zu verwenden und diese wie andere Gegenstände auf Spielfiguren werfen zu können, wertete das Gremium als in besonderem Maße verrohend.

BPjM, Offizielle Indizierungsentscheidung zu „Crackdown“

Ob eine „ab 18“-Wertung für Liste A-Titel wie „Crackdown 2“ reichen würde oder ob solche Spiele tatsächlich eine Gefahr für die jugendliche Psyche sind, bleibt Forschungsgegenstand für Pädagogen und Psychologen. Gleichsam sollte untersucht und beobachtet werden, ob zu scharfe Indizierungen die gewollte Wirkung nicht vielleicht ins Gegenteil kehren. Fakt ist nämlich, dass gerade indizierte Kommerztitel, die Jugendliche vor Veröffentlichung monatelang verfolgen und erwarten, noch mal den Reiz des Verbotenen bekommen und dadurch verstärkt attraktiv wirken. Der Erwerb via Internet stellt selbst für Minderjährige mit etwas Geschick kein großes Hindernis dar.

Letztlich sind es deshalb immer nur die Eltern, die für ihre Kinder bis zu deren Erwachsenenalter voll verantwortlich sind. Die ganze Vorarbeit des Jugendschutzsystems ist kein Ersatz für detaillierte Erziehungspraxis. „Grundsätzlich regelt der Staat mit seinen Alterskennzeichen nicht, wie und welche Medieninhalte Eltern zu Hause ihren Kindern zugänglich machen. Eltern wird jedoch empfohlen ihren Kindern nur solche Spiele zu geben, die eine entsprechende Altersfreigabe haben“, so Lidia Grashof. Und so lange sie dieser Pflicht nicht oder nur oberflächlich nachkommen, haben Spiele wie „Crackdown 2“ hierzulande keine Chance.

Informationen zur pädagogischen Eignung eines Spiels finden sich im Internet unter: www.spieleratgeber-nrw.de, www.spielbar.de oder www.internet-abc.de