Zinsloses Geld - Reloaded

Die Utopie vom Freigeld nach Silvio Gesell wird von einem aktuellen Politthriller aufgegriffen

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In Zeiten der Wirtschaftskrise wird erstaunlich selten auf das Werk des Finanztheoretikers Silvio Gesell hingewiesen, der mit einem zinslosen Währungsmodell viele Nachteile der gegenwärtigen Wirtschaftssysteme vermeiden wollte. Im Wirtschaftskrimi "Zero" von John S. Cooper wird das Thema einer zinsbefreiten Währung auf originelle Weise aufgegriffen.

Dass in unserem Geldsystem der Wurm drin ist, illustriert unterhaltsam wie eindrucksvoll die Doku "10 Punkte-Plan zur effizienten Ausbeutung eines Planeten mit halbintelligenten Lebensformen". Die unsichtbare Macht des Zinses ließe sich noch um allerhand ergänzen, etwa die Tatsache, dass selbst gewöhnliche Produktpreise Zinsen für Kredite der Produzenten enthalten. Die wundersame Geldvermehrung des Buchgelds führt zwangsläufig zur Verschuldung der Mehrheit zulasten einer Elite von Superreichen. Welches Ausmaß der Wahnsinn der Neuverschuldung auf Staatsebene angenommen hat, erkennt man (nicht) an der geheimnisvollen Bundesfinanzagentur, welche diskret den Staat zugunsten von Privatbanken schröpft.

Das gesellschaftspolitische Problem des Zinses, dem Geschäfts mit dem Geschäft, hatte viele Politreformer der Weltgeschichte beschäftigt, so schon Aristoteles, Moses, Thomas von Aquin, Luther, Zwingli, Marx, ...

Silvio Gesells Freigeld

Doch erst der deutsche Argentinienauswanderer Silvio Gesell (1862 bis 1930) zeigte in seinem Werk "Die natürliche Wirtschaftsordnung" einen Lösungsweg auf, wie das Währungssystem vom kontraproduktiven Zins befreit werden könnte, dabei gleichzeitig Konjunktur-Anreize bietet sowie eine stabile Währung garantiert. Um die Spekulation mit dem Geld zu vermeiden, sollte es wieder den Waren ähnlich werden - künstlich Lagerkosten bzw. eine Benutzungsgebühr verursachen. Sparen sollte nicht mit Zinsen belohnt, sondern im Gegenteil mit Abwertung "bestraft" werden.

Silvio Gesell 1895

Damit Geld etwa nicht unproduktiv gehortet wird, wertete es Gesell automatisch in Zeitintervallen ab, zum Beispiel zum Monatsersten um 1%. Auf diese Weise ist jeder daran interessiert, das Geld schnell wieder gegen Güter und Dienstleistungen loszuwerden, was die Konjunktur fördert. Der abgewertete Betrag sollte (ähnlich der Mehrwertsteuer) der Allgemeinheit zugute kommen. Bürokratisch wurde dies durch Marken dokumentiert, die der unglückliche Besitzer am Monatsersten für seine Geldscheine erwerben musste, da diese andernfalls verfielen.

Zu den Bewunderern von Gesells revolutionären - eigentlich sogar evolutionären - Thesen gehörten keine Geringeren als Albert Einstein und der Konjunkturpolitiker John Maynard Keynes, der Gesells Thesen für bedeutsamer als die von Marx hielt.

Wörgler Schwundgeld

Nachdem in der Weltwirtschaftskrise von 1928 insbesondere das Vertrauen in Papierwährungen und Wirtschaftssyteme gesunken war, griff Michael Unterguggenberger, der sozialdemokratische Bürgermeister des Städtchens Wörgl in Österreich, Gesells Vorschläge auf. In Wörgl startete man 1932 einen Aufsehen erregenden Feldversuch, in dem man "Arbeitswertscheine" ausgab, auch bekannt als "Wörgler Schillinge", die neben dem offiziellen Schilling freiwillig akzeptiert werden konnte. Auf diese Weise konnte Wörgl das ohnehin geringe Vermögen im Ort halten und die Konjunktur ankurbeln. Jeder "Wörgler" war nach einem Jahr durchschnittlich 463 mal umgelaufen. Anders als im übrigen Österreich ging die Arbeitslosigkeit in dem Ort zurück.

Wörgler Freigeld

War das Schwundgeld anfangs belächelt worden, regte sich nun mit dem Erfolg der Argwohn. Auf Druck der Finanzministeriums und der Nationalbank, die von der konventionellen Währung abhängig waren, wurde das visionäre Experiment beendet. Während der Erfolg des Versuchs von der österreichischen Politik als "Unfug" geschmäht wurde, machte sich der französische Ministerpräsident persönlich nach Wörgl auf, um sich von Unterguggenbauer über den Test unterrichten zu lassen. Auch Liechtenstein und Monaco zeigten sich interessiert, während die für das Bunkern von Devisen stets offene Schweiz sicherheitshalber Unterguggenberger die Einreiseerlaubnis verweigerte.

Stamp Scrip

Auch in den USA, die von der großen Depression gezeichnet waren, wurde das Wörgl-Experiment aufmerksam verfolgt. Viele Gemeinden und sogar große Städte begeisterten sich für das Stamp Scrip Movement. Trotz Interesse der Ministerien und prominenter Fürsprecher wie dem späteren Innenminister Dean Acheson war das zinsfreie Geld politisch insbesondere gegen Präsident Roosevelt nicht durchsetzbar.

Neutrales Geld

Die Architekturprofessorin Margrit Kennedy griff 1984 Gesells Vorschläge in ihrem Buch ,,Geld ohne Zinsen und Inflation" auf, das in etliche Sprachen übersetzt wurde. Das Werk ist kostenlos (und zinsfrei!) herunterladbar. Statt der überholten Abwertung durch Marken schlug Prof. Kennedy computergestützte Verwaltungsverfahren vor. Elektronische Informationsnetze standen damals rudimentär zur Verfügung. Politisch erfuhr ihr Buch allerdings kaum Aufmerksamkeit.

Regionale Komplementärwährungen

In den letzten Jahren haben sich in einer rechtlichen Grauzone mehrere regionale Initiativen gebildet, die alternative Zahlungsmittel herausgegeben. So kann man in Sachsen-Anhalt mit dem Urstromtaler bezahlen, in Chiemgau wird der Chiemgauer angeboten, in Potsdam und Brandenburg breitet sich die Havelblüteaus. Wie schon zu Guggenbergers Zeiten melden sich Skeptiker zu Wort. Bislang genießt das Regiogeld noch eher den Charme des Sektierertums.

"Zero"

Die Utopie vom zinslosen Geld wurde nun einem aktuellen Wirtschaftsthriller aufgegriffen, in dem eine ökologische Hippie-Community in Kalifornien den elektronischen "Zero" als Tauschmittel einführt. Da sich im Roman die neue Währung als überzeugender erweist als die marode Kreditwirtschaft und der durch nichts gestützte Dollar, versucht eine Clique einflussreicher Wirtschaftsbarone das Konzept zu stehlen und mit einer manipulierten Version die künftige Leitwährung unter ihre Kontrolle zu bringen.

"Zero" ist der Nachfolger des konspirologischen Politthrillers "Das fünfte Flugzeug". Autor John S. Cooper hatte 2008 seinen Helden Max Fuller, einen abgetakelten Enthüllungsjournalisten, voller Selbstironie auf die Spur der Drahtzieher des 9/11-Komplotts gesetzt, der die Hintermänner des Jahrhundertverbrechens schließlich in Bedrängnis bringt. Im Amerika des Barack Obama betreibt Fuller nun mit seinen schrulligen Freunden die Whistleblower-Website "Invisible Academy". Dort geht ein Hinweis über einen seltsamen Mord am Gründer der Zero-Kommune ein, bei dem es sich um den Sohn des Milliardärs Cutler handelt. Während seiner Ermittlungen gerät Fuller nicht nur in brenzlige Situationen und zwischen changierende Fronten, sondern auch in ein Dilemma, wie man es in griechischen Tragödien findet.