Die Urbanisierung Chinas

Schanghai. Bild: Jakob Montrasio. Lizenz: CC-BY-SA-2.0

Mit dem Wachstum der Städte, so die Devise der kommunistischen Führung, wachsen auch Wirtschaft und Wohlstand

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China hat in den letzten Jahrzehnten eine von der Regierung geförderte Urbanisierungswelle sondergleichen erlebt. Und wenn es nach der Regierung geht, für die Verstädterung gleich Fortschritt und Modernisierung ist, soll dieser Prozess ebenso schnell weitergehen. Gewünscht wird, dass bis 2050 zwei Drittel der Chinesen in Städten leben, damit müsste die Urbanisierungsrate um 20 Prozent wachsen, um 300 weitere Millionen in die Städte zu schaufeln. Noch sind nur 48 Prozent der Chinesen Städter, weltweit lebt bereits mehr als die Hälfte der Menschen in Städten.

Der Planet wird urbanisiert, die dominante Lebenswelt ist nicht mehr das Land und wird nicht mehr geprägt durch das dörfliche Leben, wie das bislang in der Menschheitsgeschichte immer der Fall war. Weil Kulturentwicklung mit dem Beginn der Städte vor mehr als 10.000 Jahren in eine rasante, sich immer noch weiter steigernde Dynamik eingetreten ist und die Zukunft alternativenlos der Stadt zu gehören scheint, setzte auch die kommunistische Führung auf den Weg der Urbanisierung, der in den Ländern mit der Industrialisierung begonnen hat, die damit auch mächtig und reich wurden – und in denen jetzt bereits 70-90 Prozent der Menschen in Städten leben.

Der Grad der Urbanisierung entspricht dem wirtschaftlichen, technischen und wissenschaftlichen Fortschritt. Städte scheinen aus sich heraus durch die Verdichtung der Räume, das schnelle Ineinandergreifen der Prozesse und die Anbindung an das weltweite Netzwerk der Städte eine Dynamik der Modernisierung zu entfalten, die man nur anstoßen muss, um sie nutzen zu können. Es scheint diese Formel zu sein, die man in China von Staats oder der Partei wegen zu kopieren schien, um das Land weiter voranzubringen, das sich sowieso schon in einem überhitzten Wachstum befindet (Urbanisierung ist Modernisierung), das auch die ökologischen Grundlagen des Lebens gefährdet. Mehr Menschen in der Stadt, so die Devise, soll den Konsum steigern und die Nachfrage nach Immobilien, was den Markt vorwärts treibt, wenn sich das Wachstum in den Städten und in der Wirtschaft nicht als Blase erweist.

So basiert ein guter Teil des Wirtschaftswachstums auf den Wanderarbeitern, die irgendwie zwischen Stadt und Land leben und deren Existenz wohl auch die Entstehung von Slums verhindert hat. Fast 250 Millionen Menschen haben eine solche prekäre Zwischenexistenz, mehr als ein Drittel der Stadtbevölkerung. Würden sie ganz in die Städte ziehen, könnte dies zu wachsenden Problemen führen, da sie zwar in den Städten ihre Steuern zahlen müssen, aber nicht von den sozialen Sicherheitssystemen profitieren. Allerdings würde sich auch die Ungleichheit zwischen Stadt und Land weiter vergrößern, weil die Wanderarbeiter in aller Regel ihre Familien auf dem Land mit dem Geld, das sie in den Städten oft unter miserablen Umständen verdienen, unterstützen (Auch in China wächst die Kluft zwischen Arm und Reich weiter). Wie China dieses Problem lösen will, lässt sich noch nicht erkennen, so lange eine Lösung verschoben wird, bleiben die Wanderarbeiter ein Pulverfass.

Schon jetzt wächst auch die Angst vor unkontrollierbaren Unruhen und Streiks in den Städten, denen man u.a. durch technische Überwachungssysteme und einer verschärften Kontrolle der Kommunikationsmedien begegnen will. Wenn das Wirtschaftswachstum nachlässt, etwa von den bei uns unvorstellbaren 10 Prozent auf 5, 6 oder 7 Prozent zurückfällt, dürften sich die Konflikte verschärfen, die sich in Städten auch viel leichter entzünden und um sich greifen. Aber die Abwanderung aus dem Land führt auch dazu, dass in den Dörfern mehr und mehr nur noch Kinder und Alte leben. Das vertieft das Ungleichgewicht weiter.

Peking

Ende 2007 lebten 590 Millionen Menschen in China in Städten, nach Li Bin, dem Direktor der Kommission für Bevölkerungs- und Familienplanung, werden es bis 2015 bereits 700 Millionen sein, die Gesamtbevölkerung soll dann bei 1,39 Milliarden liegen. Damit hätte China zwar noch lange nicht an den Urbanisierungsgrad der alten Industrieländer angeschlossen, aber der Exodus von weiteren 110 Millionen Menschen aus den Dörfern in die Städte innerhalb von weniger Jahren dürfte das Land vor gewaltige Probleme stellen, denn der Prozess läuft in China – und auch in vielen anderen Schwellen- und Entwicklungsländern - viel schneller und viel gewaltiger ab als in der Zeit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert. In den letzten 30 Jahren hat sich die Stadtbevölkerung von 200 Millionen auf nun fast 600 Millionen verdreifacht.

Li Bin sagte allerdings, dass das Wachstum der Städte weniger auf die bislang durchaus gewollte Zuwanderung aus dem Land erfolgen würde, sondern aus dem weiteren Bevölkerungswachstum, das erst ab 2015 zurückgehen soll. Seit 1949 ist die Bevölkerung rasant um das 2,5-Fache gewachsen – trotz der in China in den 1970er Jahren eingeführten Ein-Kind-Politik. Allerdings hat diese das explosive Wachstum gebremst. Während sich die Bevölkerung von 1949 bis 1978 fast verdoppelte habe, so Li Bin, sei sie seitdem nur noch um 40 Prozent gewachsen. Auch wenn das Bevölkerungswachstum zurückgeht, so findet in China wie in allen anderen Ländern die Zunahme der älteren Menschen statt. Bis 2015 wird es im Land 200 Millionen Menschen geben, die über 60 Jahre alt sind, jedes Jahr kommen 8 Millionen Menschen dazu. China, so versichert Li Bin, werde aber weiterhin gut mit einer arbeitsfähigen Bevölkerung ausgestattet sind. Das dürfte auch heißen, dass es auch weiterhin genügend billige Arbeitskräfte geben soll, die das Wirtschaftswachstum anschieben.