Naturparks: Schutz für die Natur oder Gewalt gegen Indigene?

Im guatemaltekischen Naturpark "Rio Dulce" verdrängen Luxusbauten und Yachthäfen die alteingesessene Bevölkerung unter dem Deckmantel "Naturschutz". Bild: Mario Estuardo Lopez Barrientos

Mit dem Klimaschutz sollen auch Naturschutzgebiete "gerettet" werden, in denen aber oft Indigene leben

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Wenn sich im Oktober die Regierenden im Oktober im japanischen Nagoya zur nächsten Vertragsstaatenkonferenz ("UN-Weltklimagipfel") treffen, dann werden besonders die Vertreter der europäischen Gebernationen einige Milliarden US-Dollar im Koffer mitbringen, die sie in Naturschutzparks in Asien, Afrika und Lateinamerika investieren wollen. Die Kritik an diesem "Naturschutz"-Ansatz wird indes lauter, indigene Bevölkerungen wehren sich dagegen, dass sie dabei ignoriert werden. Schlimmer: Auf der ganzen Welt müssen sie sich gegen Vertreibung aus ihren angestammten Gebieten wehren, weil die nationalen Regierungen dort Schutzgebiete einrichteten.

Der Fall Livingston in Guatemala

Auf dem und um den Rio Dulce gibt es viel Aktivität. Hier bemerkt man zunächst nicht, dass man sich in einem Schutzgebiet befindet. Touristen werden auf Booten mit potenten Außenbordmotoren transportiert. Das einst verschlafene Fischerdorf Rio Dulce am Flussufer ist zu einem Touristenort mit unzähligen Hotels und Restaurants geworden. Die Anleger ringsumher sind zu Yachthäfen geworden, die Mäste der Boote ragen wie ein toter Wald in die Höhe. Und damit ist nicht genug: Für Reiche ist es zur Mode geworden inmitten des Schutzgebietes am Flussufer Luxushäuser zu bauen, einige davon werden auch als Hotels genutzt. Und an keinem Anleger fehlt die luxuriöse Motoryacht.

Fast ein Drittel des Territoriums von Guatemala ist ein Schutzgebiet. Eines der ersten war der Nationalpark Río Dulce im Nordosten des Landes, gegründet im Jahr 1950. Wie in vielen Ländern Lateinamerikas wurde auch in diesem Fall die Urbevölkerung nicht zur Kenntnis genommen. Im Departement (Regierungsbezirk) Izabal bestehen mehr als 150 Gemeinden der q'eqchi'-Indígenas, von denen sich zahlreiche bedroht fühlen durch staatlich Naturschutzbehörden und private Stiftungen, die vom Erhalt der Unwelt profitieren.

Livingston ist einer der fünf Gemeinden des Departements und gehört zum nördlichen Flachland Guatemalas. Hier leben 48.588 Einwohner, 78 Prozent davon im ländlichen Raum. In der Verwaltungshauptstadt Livingston dominieren die Garifunas, mit denen die q'eqchi' eine freundschaftliche Beziehung unterhalten, aber bisher keine gemeinsamen sozialen Kämpfe geführt haben. Auf die gesamte Gemeinde bezogen leben 52% q'eqchi', 47% Mestizen und 4% Garifuna.

Die Luxusvillen, Hotels, Restaurants und Yachthäfen im angeblichen Schutzgebiet wurden vor der Nase der Umweltschutzorganisationen gebaut. Keines davon verfügt über eine Studie ihrer Auswirkung auf die Umwelt. Für uns ein Beweis, dass Naturschutz ein hohles Versprechen ist.

Santiago, Vertreter der q'eqchi'-Organisation "Encuentro Campesino"

In seinem seit 1992 betriebenen Geo-Mapping-Projekt bewies der US-amerikanische Umweltexperte Arthur Mc Chapin, dass die gesündesten und tiefsten Wälder sich in Zentralamerika dort befinden, wo die Indigenen leben. Als Grund dafür nennen diese den von den Vorfahren überlieferten, respektvollen Umgang, den sie pflegen. Sie leben in Harmonie mit dem Wald zwischen den Bäumen und fällen diese nicht in großem Stil.

Indigener, Mojanda (Ecuador). Bild: Torge Löding

Bedroht werden Natur und indigene Bevölkerung von Projekten wie Goldminen und Ölbohrungen. Für etwa 16% des Territoriums von Izabal liegen Förderlizenzen für Minen. Vor und im Schutzgebiet Rio Sarstun beginnt zurzeit eine Ölbohrung. Zudem führt eine Ölpipeline nicht nur durch das Schutzgebiet, sondern auch durch einige Orte. Anwohner berichten von Lecks in der Pipeline und er Vergiftung des Trinkwassers dadurch.

Die Provinz Izabal hatte immer einen festen Platz in den Hegemonieprojekten der Kolonialmächte, denn es ist der einzige natürliche Zugang Guatemalas zum Atlantik. Außerdem gibt es hier viele Bodenschätze.

Mario López vom guatemaltekischen Studienzentrum AVANCSO

.

Rassistische Ideologie

Mit den internationalen Diskussionen, geführt u.a. auf den Weltkonferenzen in Stockholm (1972) und Rio de Janeiro (1992), rückte der Naturschutz ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Der Nationalpark Rio Dulce wurde geschaffen beim Gründungsakt der ersten Naturschutzgebiete Guatemalas im Jahr 1950. Seit den 1980iger Jahren werden Naturschutzgebiete wichtiger, mit dem Dekret 4-89 tritt 1989 das Naturschutzgesetz in Kraft und damit werden auch der Nationale Rat für Naturschutzgebiete (CONAP) und das Nationale System für Naturschutzgebiete (SIGAP) geschaffen. Eine wichtige Rolle bei der Schaffung dieses Gesetzes spielte einer Gruppe bekannter Biologen, die technische und finanzielle Unterstützung von Organisationen internationaler Entwicklungszusammenarbeit erhielt. Diese "Bewegung" war indes von vorneherein eng mit der damaligen Regierungspartei, den Christdemokraten, verbunden.

Indigener, Mojanda (Ecuador). Bild: Torge Löding

Eindeutig haben die "Erfinder" dieser Umweltgesetzgebung beim Zeitpunkt der Schaffung der Naturschutzgebiete die dort lebenden indigenen Gemeinden nicht zur Kenntnis genommen. Sie erklärten nach der Erhebung technischer Daten und Satellitenbilder schlicht die "grünsten" Gebiete zu Naturschutzgebieten. Aber genau dort, wo die Wälder noch intakt waren, befinden die indigenen Gemeinden und somit wird ihnen jeden Möglichkeit genommen, einen Landtitel zu erwerben.

Wie auch beim Rest der Schutzgebiete wurde es im Fall Alta Verapaz auf Basis von Studien am grünen Tisch geschaffen, ohne das Gebiet auch nur besucht zu haben und ohne die dort lebende Bevölkerung zu berücksichtigen. (…) Mit anderen Worten: Die Definition der Schutzgebiete ignorierte die Präsenz der indigenen q'eqchi'-Gemeinden und schuf somit die Grundlage für spätere staatliche Diskriminierung.

Laura Hurtado Laura in "Dinámicas agrarias y reproducción campesina en la globalización. El caso de Alta Verapaz, 1970 – 2007", F&G editors, (Guatemala 2008)

Kritiker nennen als Grund für das Problem den Rassismus, der in der guatemaltekischen Gesellschaft fest verankert ist und auch von der Naturschutzbewegung nicht Halt macht. Mit der Gesetzgebung für Schutzgebiete wurde eine "Superposition" geschaffen, welche die teilweise begonnene Vergabe von Landtiteln an Gemeinden durch das Nationale Agrartransformationsinstitut (INTA) wieder zurück nahm und gleichzeitig Fincas zugunsten des Staates (CONAP) und nationaler NROs (Defensores de la Naturaleza, FUNDAECO) , etc.) vergaben. Im theoretischen Diskurs wurden die Schutzgebiete geschaffen, um die Ausweitung der Landwirtschaft zu verhindern, faktisch wurde aber ein Werkzeug im Disput um Territorien, deren Kontrolle sowie Nutzung der natürlichen Ressourcen geschaffen.

Der Fall Mojanda in Ecuador

In Ecuador in Südamerika sind rund 70% der Bevölkerung Indigene, der Rest sind Mestizen und einige andere ethnische Minderheiten wie Afroamerikaner. Auch in der Provinz Imbabura ist die Bevölkerung mehrheitlich indigen. Die Region Mojanda umfasst etwa 10.000 Hektar des Gebirges Mojanda-Cajas, ab 3.000 Höhenmetern bis zu den höchsten Gipfeln. Sie befindet sich in der Provinz Imbabura im gebirgigen Norden von Ecuador. Das Gebiet mit der wichtigen Laguna von Mojanda teilen sich verschiedene Kantone, darunter Eugenio Espejo, Pedro Moncayo, Tabacundo und Otavalo. Einer von vielen Konflikten in der Region ist jener um das per Verordnung der Kantone Otavalo und Pedro Moncayo geschaffene "Schutzgebiet Mojanda".

In der Kultur der Kichwa - wie auch in den anderen indigenen Völkern der Region - wird die Verbindung von Erde und Menschen als untrennbar verstanden. Das kommt u.a. in der Sprache Kichwa zum Ausdruck, in welcher das Wort "Llacta” sowohl "Territorium" bedeutet, als auch die Menschen, die in einem Territorium leben.

Llacata impliziert das Land, wo ich lebe, als auch die Beziehung in der ich dazu stehe, welchen Einfluss mein Dasein auf die Umwelt hat und sie auf mich, dass wir eins sind und nicht getrennt. In der Sprache wird die Weltanschauung – oder Philsophie – reflektiert: Ohne "Mutter Natur" könnte niemand leben. Unsere Lebensphilsophie besagt, dass alles um uns herum lebt und heilig ist: Das Wasser, die Steine, die Hügel, das Bäche, Wasserfälle, Bäume und Tiere, alles. Auf diese Art setzten wir uns untereinander auch in Beziehung; aber als die spanische Konquista kam, wurde diese Verständnis des Lebens verdrängt von einem anderen, welche die ökonomische Macht in den Mittelpunkt stellte und unsere Sichtweise zurück drängte.

Benjamin Inuca, ehemaliger Vorsitzender der "Förderation der Indigenen und Campesinos von Imbabura", welche die Kichwa-Völker im nördlichen Gebirge von Ecuador organisiert

Ausgehend vom Begriff "Llacta" impliziert die indigene Vorstellung vom Territorium, dass diesem keine Grenzen gesetzt werden können. In diese Territorialvorstellung passt die Logik von Staaten nicht hinein, die beinhaltet, dass Grenzen gezogen werden, welche die freie Zirkulation von Völkern behindern, die immer zusammen gelebt haben. Mit dem Begriff "Llacta" verbinden sie eine integrale Vorstellung, denn "Llacta" ist gleichzeitig menschlich und territorial, genau wie der Raum, in dem sie sich entwickeln können

Die indigen Völker in der Provinz Imbabura fühlen sich von verschiedenen Faktoren bedroht. Dazu gehören die Unternehmen, welche interessiert daran sind, sich das Land anzueignen, um Zugriff auf Wasser und Bodenschätze zu haben. Dabei ist das Wasserproblem von zentraler Bedeutung, auch aufgrund des demographischen Wachstums.

Die Mojanda-Lagune und der Paramo versorgen die gesamte Region mit Wasser. Das lange Gras des Paramo filtert den Regen und die lockere Erde speichert Wasser wie ein Schwamm, welches dann die Bäche speist. Das Wasserproblem wird zu einem strategischen und das aufgrund nicht nachhaltiger Bewirtschaftung des Paramo, Abholzung, Verbrennung des Grases und anderer Faktoren. Und je weiter sich die landwirtschaftlich bewirtschaftete Fläche bergauf ausdehnt, desto mehr gehen Wasserquellen verloren.

Aufgrund des immer drängender werdenden Wassermangels haben einige Gemeinden begonnen sich ihr Wasser direkt aus der Laguna zu holen und nicht aus den Sturzbächen, wie bisher. Andererseits hat sich auch das Bewusstsein verstärkt, dass etwas getan werden muss und viele Gemeinden haben mit Aufforstungsprogrammen und dem besseren Schutz des Territoriums begonnen.

Rund 70 Prozent des Landbesitzes ist nicht mit formalen Landtiteln dokumentiert. In den meisten Gemeinden gibt es damit aber kein Problem, denn unter den Familien ist bekannt und wird akzeptiert, wer welches Land bewirtschaftet und es gibt darum keinen Konflikt. Aber die Gemeindeverwaltung lehnt diese Art der Eigentumsverwaltung ab und da die meisten Indigenen keine Landtitel haben, kommt es immer wieder vor, dass sie Titel an Leute von außerhalb vergibt und dann kommt es zum Konflikt.

In einer gemeinsamen Anordnung der Kantone Pedro Moncayo und Otavalo wurde in Mojanda ein Schutzgebiet geschaffen. Damit sind FICI und zahlreiche andere indigene Organisationen indes nicht einverstanden, denn die Anordnung schafft ein von staatlichen Organen verwaltetes Schutzgebiete, ohne die örtlichen Vertreter einzubeziehen. In diesem Schutzgebiet ist es nicht erlaubt zu siedeln, dabei ignoriert die Verordnung aber die Tatsache, dass die betroffene Zone teilweise bevölkert ist.

Viele von uns haben das den Paramo schon immer verteidigt, ohne jedes Gesetz. Wir kennen die richtigen Praktiken zur nachhaltigen Bewirtschaftung des Paramo. Man müsste diejenigen, welche seinen Reichtum nutzen zum verantwortlichen Umgang damit anhalten, sprich wenn jemand einen Baum fällt, müsste er wieder aufforsten, damit die Wasserquelle weiterhin durch den Wald geschützt wird.

Benjamin Inuca

Die Schutzgebiet-Verordnung der Kantone Otavalo und Pedro Moncayo vom 4. März 2004 verlangt die Einrichtung eines Schutzgebietes unter direkter Verwaltung der kantonalen Regierungen. Im Originaltext der Verordnung steht noch immer geschrieben, dass das gesamte Gebiet ab 3.000 Höhenmetern unter Schutz steht und dort auch keine Siedlungen bestehen dürfen. Nach massiven Protesten änderten die kantonalen Verwaltungen diese Grenze auf eine Höhe von 3.200 Metern, denn zwischen 3.000 und 3.200 befinden sich zahlreiche Ortschaften. Aber auch darüber gibt es noch kleine Gemeinden, einzelne Höfe finden sich sogar noch auf knapp unter 4.000 Metern.

In der Konstitution von 2008 werden die kollektiven Rechte der indigenen Bevölkerung indes festgeschrieben und ihr gemeinschaftliches Land darf laut Verfassungstext niemand anderes für sich beanspruchen, denn sie bleiben in Händen der indigenen Gemeinden. Das ist bis heute aber nur graue Theorie, denn es gibt kein nationales Gesetz, welches diesen Verfassungsartikel umsetzt. Die nationale Koordinierung der Indigenen arbeitet derzeit an einem Gesetzesvorschlag der diese Gesetzeslücke schließen soll; ein Gesetz zu den sogenannten "Circunscripciones territorial de los pueblos indígenas” (CTI).

Diese CTI könnten dann in Zukunft Konflikte zwischen indigener Bevölkerung und dem Nationalen System der Schutzgebiete (SINAP) zu vermeiden helfen.

Es formiert sich Widerstand

Für Mojand schlägt etwa die Union der indigenen Gemeinden von Tabacundo (Kanton Pedro Moncayo) ein eigenes Konzept für ein selbstverwaltetes Schutzgebiet vor. Seit drei Jahren organisieren sie sich, um dafür zu sorgen, dass die landwirtschaftlich genutzte Fläche sich nicht in Richtung Paramo ausdehnt. Acht Gemeinden - organisiert in der Union der indigenen Gemeinden von Tabacundo - haben die Schaffung einer 30 Meter breiten Schneise als Limit beschlossen, bis wohin Landwirtschaft betrieben werden darf.

Acht Gemeinden - organisiert in der Union der indigenen Gemeinden von Tabacundo - haben die Schaffung einer 30 Meter breiten Schneise beschlossen als Limit bis wohin Landwirtschaft betrieben werden darf. " (Illustration der Union der indigenen Gemeinden von Tabacundo)

In Guatemala haben die Indigenen vom "Encuentro Campesino" radikalere Forderungen. Am Anfang ging es ihnen vor allem um die Forderung zur Legalisierung ihrer Ländereien durch Landtitel. Nach einigen Erfahrungen mit staatlicher Repression konzentrieren sie sich jetzt mehr auf die Verteidigung der Gemeinden gegen die Gründung weiterer Schutzgebiete und ihrer Mitglieder gegen staatliche Verfolgung.

Ein Beispiel dafür ist der Fall von Ramiro Choc. Er war einer von vielen Aktivisten, die heute "Encuentro Campesino" angehören und sich im Jahr 2007 am gewaltlosen Widerstand gegen die Vertreibung der Gemeinde Buena Vista wehrten. Als Vermittler gelang es Choc, die Polizeiaktion erfolgreich zu beenden und die Vertreibung zu verhindern. Wenige Monate später verhaftete ihn die Polizei im Ort Rio Dulce.

Fast hätte man ihn getötet. Polizisten fingen ihn in Rio Dulce ab und wollten ihn nach Puerto Barrios bringen, um ihn unterwegs zu töten. Denn sie wollten ihn nicht vor das Gericht bringen. Zum Glück rettete er sein Leben, weil er zwei Telefonate führen uns damit andere Gemeindemitglieder von der Verhaftung informieren konnte.

Santiago

Der Aktivist wäre nicht das erste Todesopfer gewesen, das die indigene Bevölkerung zu beklagen hat. In den letzten Jahren sind immer wieder Aktivisten verschwunden oder bei Polizei-, bzw. Militäraktionen getötet worden. Ramiro Choc ist immer noch in Haft und "Encuentro Campesino" bemüht sich um seine Freilassung.

Torge Löding arbeitet für das unabhängige Kommunikationszentrum Voces Nuestras in San José, Costa Rica