Wann geht Sarko k.o.?

Jetzt fährt die Regierung auch noch einen schlecht bemäntelten harten Sparkurs - Frankreich kommt aus den Krisen nicht mehr heraus

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Frankreich hat bislang den Ruf, im Kontext der Wirtschaftskrise keinen harten Sparkurs wie etwa die deutsche Bundesregierung zu verfolgen. Auch in Telepolis war kürzlich zu lesen: „In Frankreich hat sich großer Unmut angestaut, obwohl dort von harten Sparplänen bisher nichts zu hören ist. … Auch Frankreichs Staatschef hat die deutschen Sparpläne kritisiert.“ Im eigenen Land stellt auch der französische Präsident Nicolas Sarkozy es oft so dar, als segele er nicht auf einem vergleichbaren Sparkurs wie die deutsche Bundeskanzlerin. Doch der Schein könnte trügen: Nicht nur dort, wo „Sparpolitik“ draufsteht, ist Sozialabbau drinnen.

Aus Sicht des Karikaturisten der liberalen Pariser Abendzeitung Le Monde, „Plantu“, stellt sich die Situation so dar: „Auf Deutsch sagt man „Sparpaket“. Englisch, „Austerity“. Französisch heißt es „Rigueur“, aber das ist ein Unwort.“ Die Karikatur, die Mitte Juni erschien, zeigt nacheinander: einen Deutschen mit Tirolerhut und Lederhose, der die leeren Taschen selbiger Hose nach außen stülpt; einen Briten mit Regenschirm, Melone und ebenso leeren Taschen; und schließlich einen Franzosen in Arbeiterkluft, der einen Einkaufswagen vor sich her schiebt.

Der Wagen ist zwar ohne Einkaufswaren, dafür sitzen darin Präsident Nicolas Sarkozy und Premierminister François Fillon, mit Weingläsern in der Hand und Musiknoten um sich herum. Das Ambiente ist also ein anderes - aber voller wird der Einkaufswagen des Geringverdieners dadurch nicht.

Ein Teil der bürgerlichen Öffentlichkeit in Frankreich wirft der Regierung vor, Begriffe wie “Austérité“ oder „Rigueur“ nicht oder kaum in den Mund zu nehmen. Das demonstriert auch das Le Monde-Schaubild der "Sparpläne in Europa" , auf dem Frankreich als weißer Fleck erscheint.

Doch in Wirklichkeit hat die konservativ-wirtschaftsliberale Regierung, der in anderthalb Jahren Neuwahlen sowohl zur Präsidentschaft als auch zum Parlament bevor stehen, sich lediglich darauf geeinigt, nicht explizit von Austeritätspolitik zu sprechen. Es wäre auch schwer, den Tonfall noch zu steigern, der bereits zwischendurch erreicht worden war, nachdem Premierminister Fillon schon 2007 - kurz nach seinem Amtsantritt, und noch deutlich bevor die Wirtschaftskrise Frankreich erreicht hatte - in dramatischem Tonfall beschworen, der französische Staat stehe "vor dem Bankrott".

Hinwendung zur offenen Austeritätspolitik

Und doch haben führende Regierungspolitiker die Sprachsperre bezüglich der Verwendung des Begriffs Rigueur (Austerität) seit kurzem auch explizit überwunden. Präsident Nicolas Sarkozy, der schon intensiv an die Vorbereitung seiner Kandidatur zu einer Wiederwahl in anderthalb Jahren denkt, möchte davon offiziell nichts wissen. Seine Wirtschaftsministerin Christine Lagarde spricht vorsichtig von einer Rilance, einer neuen Wortschöpfung, die die Worte rigueur (Sparpolitik) und relance („Ankurbelung“, durch gezielte Staatsausgaben) miteinander kombiniert.

Sarkozys Generalsekretär im Elyséepalast Claude Guéant, einer seiner engsten Berater, sagte unterdessen schon Ende Juni eine Politik der rigueur und „deutliche Einschnitte in den Ausgaben“ an. Diese Ankündigung tätigte er freilich nicht zu Hause, sondern über ein Interview in der britischen Financial Times .

Premierminister François Fillon seinerseits kündigte am Freitag voriger Woche in Japan - vor potenziellen Investoren - die ‚Rigueur’ an. Und versprach, alle Haushaltsposten „außer Forschung und Universitätslehre“ würden reduziert. Am diesem Montag bekräftigte er diese Aussage dann auf französischem Territorium, wenngleich er sich zu dem Zeitpunkt in Nouméa - im westfranzösischen „Überseeterritorium“ Neukaledonien, im Westpazifik - befand. Noch gibt es unterdessen Streit um die Wortwahl, denn die Regierungspartei UMP zieht dem Substantiv ,Rigueur’ das Adjektiv ,rigueureux’ („rigoros“, bei den Staatsausgaben) vor.

Dies ist freilich nur noch ein Etikettenstreit und die Botschaft ist längst auch in Frankreich angekommen. Folgerichtig machte die Tageszeitung ,Le Parisien’ am Dienstag dieser Woche ihre Print-Ausgabe mit dem Titel „Austerität made in France“ auf. Die sozialdemokratische Parlamentsopposition spricht inzwischen ihrerseits davon, man bereite „uns den brutalsten Sparplan in (ganz) Europa vor“.

Konkrete Maßnahmen

Anfang Mai dieses Jahres kündigte die Regierung Fillon eine Ausgabensperre an, die über mehrere Jahre hindurch greifen soll. Dazu gehört ein dreijähriges Haushaltsgesetz, das für die Jahre 2011 bis 2013 ein Einfrieren der Staatsausgaben auf ihrem absoluten Niveau im Haushaltsjahr 2010 vorsieht. Ohne Inflationsausgleich, und ohne Berücksichtigung des bevorstehenden Abrutschens von Hunderttausenden, die seit 2008 arbeitslos wurden, in die Sozialhilfe. Dies bedeutet einen enormen Druck auf die Sozialhaushalte.

Staatsbedienstete und Schuldienst besonders stark betroffen

Hinzu kommt, dass absehbar für die Dauer der Amtszeit von Präsident Nicolas Sarkozy, 2007-2012, insgesamt rund 200.000 Stellen von Staatsbediensteten gestrichen werden. Im Jahr 2009 waren es etwa 31.000, und für jedes der vier Jahre 2010, 2011, 2012 und 2013 sind bereits 34.000 Stellenstreichungen einprogrammiert.

Von diesen Streichungen ist besonders das öffentliche Schulwesen betroffen: Im kommenden Jahr, 2011, werden vom geplanten Abbau von 34.000 Stellen allein 16.000 den Schuldienst betreffen. Ziel der konservativ-wirtschaftsliberalen Regierung dürfte es letzlich sein, das katholische - und kostenpflichtige - Privatschulwesen faktisch stark zu fördern.

Kernstück der Sparpolitik: „Reform“ der Renten

Einen zentralen Stellenwert in den „Reform“plänen der Regierung nimmt dabei freilich die so genannte Rentenreform ein. Das französische Kabinett verabschiedete die Vorlage dazu am vergangenen Dienstag, das Parlament wird in einer dreiwöchigen Sondersitzung im September darüber debattieren.

Diese „Reform“ ist ausgesprochen unpopulär, 67 Prozent erklären sie für "ungerecht". Am 24. Juni demonstrierten bereits anderthalb bis zwei Millionen Menschen dagegen, für den September werden noch stärkere Proteste erwartet. Kernbestandteil der Reform ist die Anhebung der Zahl obligatorischer Beitragsjahre zur Pensionskasse von derzeit 40 auf 41,5 bis im Jahr 2018. Vor wenigen Jahren waren es noch 37,5 gewesen, bis zur bisher letzten „Reform“.

Auch wird das gesetzliche Mindestalter für den Eintritt in die Rente von 60 auf 62 angehoben. Dieses Mindestalter aber gilt ausschließlich für jene, die die erforderlichen Beitragsjahre zusammen haben - was mit jeder Anhebung immer schwieriger wird. Die anderen müssen entweder hohe Extra-Strafbeträge und Abzüge akzeptieren, für zwei fehlende Beitragsjahre machen sie bereits zehn Prozent der Rente aus, oder aber bis zum gesetzlichen Eintrittsalter warten. Dieses lag bislang bei 65 Jahren. Bis 2023 soll es nun auf 67 angehoben werden. Auch dann wird noch bestraft, wem Beitragsjahre fehlen - zwar nicht durch Extra-Abzüge, wohl aber fällt die Rente durch ein geringeres Gesamtvolumen der Beiträge doch kleiner aus.

Durchsetzungsprobleme und angeschlagener Minister

Der zuständige Minister für Arbeit und Soziales, Eric Woerth, dürfte jedoch in naher Zukunft erhebliche Probleme dabei bekommen, diese „Reform“ politisch durchzusetzen. Denn der Amtsinhaber ist schwer angeschlagen, nachdem seit seit Ende Juni immer neue Details über Woerths innige Beziehungen zu Schwerreichen ans Tageslicht kamen. Insbesondere zu der Milliardärin Liliane Bettencourt, die mutmaßlich Steuerhinterziehung in dreistelliger Millionenhöhe betrieb, während sie die Ehefrau des damaligen Haushaltsministers Woerth - der auch für Steuerbetrug zuständig war -, Florence Woerth, als Vermögensverwalterin beschäftigte (vgl. dazu den Artikel, der die Affäre ins Rollen brachte)

Unter dem Gatten Eric Woerth erhielt Madame Bettencourt (Erbin des Konzerngründers von L’Oréal und aktiven Nazikollaborateurs Eugène Schueller, Finanzier diverser faschistischer Gruppierungen vor und unter der Besatzung, sowie Witwe des noch aktiveren Nazikollaborateurs André Bettencourt, seines Zeichens Frankreichchef der Joseph Goebbels unterstellten „Propagandastaffel“) im März 2008 satte 30 Millionen Euro an Steuer-Rückzahlung ausgeschüttet. Wenige Wochen, nachdem sie einen Antrag darauf gestellt hatte. Am 30. Januar desselben Jahres hatte Eric Woerth in ihrer Privatwohnung im Millionärsghetto Neuilly-sur-Seine bei Paris diniert, wie jüngst herauskam. Liliane Bettencourt hatte zugleich über 100 Millionen Euro, in der Schweiz und auf den Seychellen geparkt, vor dem französischen Fiskus verborgen.

Seit 15 Jahren hatte es keine Kontrollen des Finanzamts bei der Großvermögensbesitzerin gegeben. Letztere finanzierte gleichzeitig die Regierungspartei UMP als großzügige Spenderin, deren Schatzmeister - also Spendeneintreiber - wiederum Eric Woerth hieß. Der Minister ist nun politisch schwer angeschlagen, auch wenn ein durch einen untergebenen Ministerialbeamten in Rekordzeit erstellter „Untersuchungsbericht“ - der am 11. Juli publiziert wurde und stark umstritten bleibt - ihn angeblich weißwäscht.

Sarkozys Minister Woerth dürfte in naher Zukunft jedenfalls wachsende Schwierigkeiten dabei haben, den „kleinen Leuten“ die Notwendigkeit des „Verzichts“ und des Abbaus sozialer Garantien nahe zu bringen.