Ursula von der Leyen und die religiösen Fanatiker

Der Kontakt zum Arbeitskreis Christlicher Publizisten (ACP) gehört zur Familientradition, mit dem auch andere CDU-Größen in Kontakt stehen

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Die religiöse Rechte scheint eine besondere Anziehungskraft auf Politiker auszuüben, die offensiv mit ihrem christlichen Glauben umgehen und versuchen, diesen in Politik, vor allem aber in Wählerstimmen umzusetzen. Ein gelegentlicher Auftritt am "äußerst rechten Rand" des Christentums kann die bibeltreuen Christen bei der nächsten Wahl gewogen stimmen, die restliche Bevölkerung wird diesen Ausflug zu den Fundamentalisten nicht bemerken, so scheint das Kalkül. So fand sich beispielsweise Christian Wulff im Kuratorium von ProChrist wieder (Wulff: Ein Missionar auf dem Weg nach Bellevue?), einem Missionierungsverein, der Experten wie der Journalistin und Theologin Kirsten Dietrich als fundamentalistisch gilt.

Auch vor Küngeleien mit Vereinigungen wie dem Arbeitskreis Christlicher Publizisten (ACP), der schon 1991 vom Spiegel als "Gemengsel freikirchlicher Eiferer, das gern Politiker vor seinen missionarischen Karren spannt", bezeichnet wurde, wird da nicht zurückgeschreckt. Das wohl aktuell bekannteste Beispiel hierfür dürfte Wulffs vielkritisierte Rede beim ACP im Mai 2010 sein. Doch Wulff ist mit seinem Kuschelkurs gegenüber christlichen Fundamentalisten nicht alleine. Auch andere Unionspolitiker wie Volker Kauder oder Ursula von der Leyen lassen sich vom ACP einspannen. Bei letzterer gehört eine gewisse Nähe zum ACP schon geradewegs zur Familientradition. Von der Leyen und Co nehmen dabei bewusst in Kauf, dass sie die religiöse Rechte aufwerten und in ihren Vorstellungen bestärken.

Vorzeigechrist Ernst Albrecht

Seinen letzten Auftritt im Zusammenhang mit dem ACP absolvierte Christian Wulff am 19. Mai im Bibelzentrum Bad Gandersheim. Laut seinem Sprecher ging es Wulff vor allem darum, an der Ehrung seines Freundes Ernst Albrecht teilzunehmen – diese Ehrung wurde Albrecht zuteil, weil er "in der Öffentlichkeit immer wieder glaubhaft Zeugnis von seinem christlichen Glauben abgelegt" habe, wie der niedersächsische Kultusminister Althusmann (CDU) am 10. Juni im Landtag erklärte.

Die Ehrung des CDU-Mannes Albrecht kommt nicht von ungefähr, seit Jahrzehnten ist der ehemalige Ministerpräsident und Vater von Arbeitsministerin von der Leyen ein gern gesehener Gast bei den "christlichen Publizisten". So ist der Auftritt von Albrecht auf einer ACP-Bundestagung aus dem Jahr 1979 dem Verein derart wichtig, dass dieser ihn in seiner Chronik aus dem Jahr 2008 explizit erwähnt. Bereits 1984 berichtet der Spiegel, dass Ernst Albrecht vom Arbeitskreis mit einem Preis bedacht wurde, und auch in den folgenden Jahren wurde Albrecht immer wieder gern eingeladen. So steht der Vorzeigechrist Albrecht bis ins Jahr 2008 hinein auf der Gästeliste zu ACP-Veranstaltungen.

Das Engagement von Familienvater Albrecht für den umstrittenen christlichen Verein hat offenbar auf die Tochter abgefärbt: auch Ursula von der Leyen scheut sich nicht vor dem Kontakt mit den eifrigen Christen. Folgerichtig lächelt sie auf einer Ausgabe der ACP-Zeitschrift aus dem Jahr 2006 vom Titelblatt – sie hatte dem ACP ein Interview gegeben, damals noch als Familienministerin. Dort rechtfertigt sie Kürzungen im Sozialbereich mit ihrem christlichen Menschenbild: Der Staat habe weit in den Alltag der Menschen eingegriffen und damit Eigeninitiative erstickt. In Zeiten klammer Kassen habe man entdeckt, dass unentgeltliches Engagement der Menschen für die Mitmenschen besser und erfolgreicher sei, als das des Staates. Damit würde das Prinzip der Großfamilie wiederentdeckt, jedoch ohne familiäre Bande, so von der Leyen.

"Wer täglich betet, hat mehr Kinder"

Die Großfamilie ist auch ein wichtiges Thema für den ACP, denn die christlichen Publizisten wissen: Deutschland ist ein "Volk ohne Kinder", der "Niedergang Deutschlands" bremse das Wirtschaftswachstum und sollte sich die Entwicklung fortsetzen, sei sogar "das Ende unseres Volkes abzusehen". Die Lösung des Problems ist laut ACP recht einfach – beten. Denn "Wer täglich betet, hat mehr Kinde."

In den ACP-Informationen wird das sogar mit einem Beweisfoto belegt, dass Ernst Albrecht im Kreise seiner Großfamilie zeigt – er hat insgesamt sieben Kinder und 31 Enkel, wobei Ursula von der Leyen allein sieben beisteuert. Zumindest bei den Albrechts scheint das Beten also recht fruchtbar zu sein. Mit seiner Kinderschar zögert die Vorzeigefamilie sogar das Ende der Deutschen ein wenig hinaus: "Wenn die Türken hier mal die Macht übernehmen, kann's an Albrecht nicht gelegen haben", verraten die christlichen Publizisten in der Bildunterschrift unter dem albrechtschen Familienfoto.

Allerdings verschweigt der ACP in seinem Artikel über die Unterschiede der Geburtenrate, die bei täglich Betenden mit 2,06 Kindern zu 1,39 Kindern bei nie Betenden liegen soll, eine andere Erkenntnis des Statistischen Bundesamtes. Dieses schreibt zu den Geburten in Deutschland: "Je höher der Bildungsstand, desto eher sind Frauen in Deutschland kinderlos."

Im Umkehrschluss würde das bedeuten, dass eine geringere Bildung zu stärkerer Religiosität führt – in gewisser Weise unterstützen einige besonders bibeltreue Christen dies, indem sie ihre Kinder möglichst von der Schule fern halten und einem gottgefälligen Hausunterricht unterziehen wollen. Ob Ursula von der Leyen wie auch der ACP für das Recht auf Hausunterricht eintritt, war nicht in Erfahrung zu bringen, alle Anfragen von Telepolis zu ihrem Verhältnis zum ACP und dessen religiösen Ansichten blieben unbeantwortet.

Es ist nicht der einzige Kontakt von der Leyens, die laut dem ACP-Interview durch "das tiefe Vertrauen, dass es eine höhere Instanz gibt" in der "tiefen Krise" ihrer Pubertät stabilisiert worden sei, zu umstrittenen religiösen Eiferern. So übernahm von der Leyen die Schirmherrschaft für das Christival 2008, das wie auch das umstrittene ProChrist ein selbständiges Werk der evangelikalen Evangelischen Allianz Deutschland (EAD) ist und ursprünglich auch einen Workshop zur Heilung von Homosexualität im Programm hatte – was zu heftigen Protesten führte. Schließlich musste das das Familienministerium intervenieren, der Programmpunkt wurde abgesetzt (Die religiöse Härte hinter dem Lächeln).

Ersatzlos gestrichen war es deswegen allerdings nicht: ProChrist-Prediger Ulrich Parzany verstand den Protest gegen das Seminarangebot als Intoleranz, rief die Anhänger der wörtlichen Bibelauslegung mit den Worten "Steht auf, wenn ihr Christen seid" zum Widerstand gegen die "angeblich so tolerante postmodernen Gesellschaft" auf – und veranstaltete ersatzweise ein Seminar zur Absage des Seminars. Was zu friedlichen Protesten von sich küssenden Homosexuellen führte, worauf die Polizei jedoch mit dem Einsatz von Gewalt antwortete.

Ähnlich angestaubte Positionen vertritt auch der ACP, der in seiner Zeitschrift schon mal unkommentiert fromme Verse wie 3. Mose 20, 11 zitiert:

Schläft einer mit einem Mann wie man mit einer Frau schläft, dann haben sie eine Gräueltat begangen; beide werden mit dem Tode bestraft

Aus ACP-Informationen 6/2005

Manch einem ist diese Art der Frömmigkeit etwas zu viel des Guten, so schreibt der ACP, dass wegen dieses Inhalts der ehemalige ZDF-Journalist und künftige Regierungssprecher Steffen Seibert ein Interview ablehnte, und zitiert sein Ablehnungsschreiben, in dem Seibert erklärt, dass diese Auffassung zur Homosexualität nichts mit seiner Auffassung vom Christentum zu tun habe und er dies "in keiner Form unterstützen möchte". Eine solche Absage freilich kann der ACP wiederum nicht unkommentiert stehen lassen und fügt an: "Nach einer Meldung der ARD hat die AIDS-Erkrankung um 20 Prozent zugenommen. Dies ginge wesentlich zu Lasten homosexueller Praktiken." Ein guter Christenmensch, so will der ACP Seibert damit wohl sagen, muss gegen die "praktizierte Homosexualität" zu Felde ziehen, will er sich nicht mitschuldig machen an der Verbreitung von HIV und AIDS.

Annette Schavan, Franz Josef Jung und Volker Kauder

Seibert beweist damit aber auch, dass es durchaus möglich ist, nicht in das Fettnäpfchen namens ACP zu treten, das laut dem Weltanschauungsbeauftragten der evangelisch-württembergischen Landeskirche Hemminger quantitativ keine Bedeutung habe, und prominente Gesichter gern zur Selbstdarstellung nutzt. So geriet beispielsweise Annette Schavan (CDU) bereits im Jahr 2003 in die Kritik, weil sie dem ACP ein Interview gab und auf dem Titelblatt erschien. Es folgten, von der Öffentlichkeit bisher nicht wahrgenommen, Auftritte von Franz Josef Jung in seiner Funktion als Verteidigungsminister und Hans-Jürgen Papier als Präsident des Bundesverfassungsgerichts in der Zeitschrift des ACP.

Den jüngsten Fehltritt dieser Art leistete sich Volker Kauder. Der Fraktionsvorsitzende von CDU/CSU im Bundestag setzt sich leidenschaftlich für verfolgte Christen weltweit ein. Vom Rücktritt des Bundespräsidenten Köhler Ende Mai erfuhr er in der Türkei, wo er sich über die Lage der dortigen christlichen Minderheiten informieren wollte, im August fliegt er statt in den Sommerurlaub nach Indonesien und Malaysia, um für mehr religiöse Freiheit für die dort lebenden Christen zu werben.

Möglicherweise hat sich Kauder nichts dabei gedacht, als der ACP ihn um ein Interview fragte und der Fraktionsvorsitzende verriet, dass er bei schwierigen Entscheidungen "für diesen Zugang zum Vater im Himmel dankbar" sei und der "Mensch als Ebenbild Gottes" nicht zur Disposition gestellt werden dürfe, weil die Menschenwürde weder von der Gesellschaft noch der Politik, sondern von Gott komme. Die Bezeichnung "Arbeitskreis christlicher Publizisten" macht immerhin auf den ersten Blick einen seriösen Eindruck. Möglicherweise wusste Kauder aber genauso gut wie von der Leyen und Wulff, mit wem er da gesprochen hat. Eine Stellungnahme zu diesem Thema jedenfalls will er nicht abgeben, so eine Sprecherin auf Anfrage von Telepolis. Auch zur Frage, ob die Religionsfreiheit ein Recht auf Heimunterricht bedeutet, möchte sich Kauder lieber nicht äußern.

Bundespräsident Christian Wulff hingegen hat still und heimlich Konsequenzen aus dem Wirbel um seine Nähe zu christlichen Fundamentalisten gezogen: Sein Name taucht mittlerweile nicht mehr bei den Unterstützern von ProChrist auf – die von seinem Sprecher angekündigte Prüfung aller Mitgliedschaften im Falle seines Einzugs ins Schloss Bellevue ist offenbar negativ verlaufen.