27.390 Euro Zugangsgebühr für gemeinfreie Texte

Titelseite der Vossischen Zeitung vom 1. August 1932.

Die Berliner Staatsbibliothek kooperiert mit den Verlagen de Gruyter und Axel Springer

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Der Verlag Walter de Gruyter hat, wie ein Werbetext in der Tageszeitung Die Welt informiert, mit technischer Hilfe des Axel Springer Verlags die letzten 16 Jahrgänge der Vossischen Zeitung aus der Staatsbibliothek zu Berlin digitalisiert und bietet diese nun gegen ein Entgelt von 27.390 Euro an. Alternativ dazu gibt es den Zugang für 5.390 Euro im Jahresabonnement.

Die Vossische Zeitung ist deshalb von Bedeutung, weil sie als klassische bürgerliche Zeitung in Geschichtsseminaren gerne für Aufgabenstellungen herangezogen wird, bei denen Studenten die Berichterstattung zu einem bestimmten Ereignis in zwei oder mehr Blättern auswerten sollen. Allerdings verfügen viele Bibliotheken unter anderem durch Kriegsschäden nur über einen begrenzten Bestand, weshalb manche Institute durchaus versucht sein könnten, Steuergelder und Studiengebühren für das neue Angebot aufzuwenden.

Zugangsmodelle, wie sie für die digitale Fassung der Zeitung jetzt präsentiert werden, sind bei Wissenschaftsverlagen mittlerweile Standard und trugen maßgeblich zur Finanzkrise an deutschen Hochschulen und Bibliotheken bei. Die University of California rief ihre Angestellten deshalb unlängst dazu auf, nicht mehr in den 67 Zeitschriften der Nature-Gruppe zu publizieren, um so deren Monopol zu brechen. Allerdings unterscheiden sich die Inhalte der Vossischen Zeitung in einem entscheidenden Punkt von neueren Nature-Artikeln: Die VZ wurde nämlich bereits im 18. Jahrhundert gegründet und existierte nur bis 1934. Dann stellte der später von Axel Springer übernommene Ullstein-Verlag das Blatt ein.

Im letzten Jahr untersuchte das Landgericht München den Monopolrechtsstatus alter Tagespublikationen im Rahmen des Zeitungszeugen-Prozesses. Das Bayerische Finanzministerium hatte in diesem Fall geltend gemacht, über "geistige Eigentumsrechte" an Ausgaben von Zeitungen aus den frühen 1930er Jahren zu verfügen, die der britische Verleger Peter McGee seinem Magazin Zeitungszeugen als Faksimile-Drucke beigelegt hatte. Nachdem McGees Albertas-Verlag die Ansprüche anzweifelte, machte das Ministerium einen strafbaren Urheberrechtsverstoß geltend und ließ bundesweit Razzien und Beschlagnahmen bei Groß- und Einzelhändlern durchführen.

In dem anschließenden Prozess stellte die 21. Zivilkammer des Landgerichts München fest, das nach dem alten deutschen Urheberrechtsgesetz von 1901, das auch noch in den 1930er Jahren galt, Verlage - anders als heute - ein Urheberrecht erwerben konnten. In § 134 des aktuellen Urheberrechtsgesetzes versteckt sich nämlich eine Klausel, nach der juristische Personen, die zur Zeit des Inkrafttretens der neuen Regeln als Urheber eines Werks "anzusehen" waren, abgesehen von den Fällen, in denen sie Inhaber verwandter Schutzrechte werden, ausnahmsweise weiter als Urheber gelten, bis die Frist abgelaufen ist.

Weil für deren Berechnung die "bisherigen Vorschriften" anzuwenden sind, gilt, anders als bei persönlichen Urhebern, nicht ein Sterbezeitpunkt als Grundlage für den Beginn der Frist, sondern das Erscheinungsdatum. Allerdings läuft diese Frist siebzig Jahre, und nicht fünfzig (wie bei anderen, von korporativen Urhebern gehaltenen Schutzrechten). Wenn ein Zeitungsverlag solche Rechte erworben hätte, dann gelten sie demnach nicht für vor dem 1. Januar 1940 erschienene Schriften. Allerdings ließen die Richter auch deutliche Zweifel erkennen, ob der im Zeitungszeugen-Fall behandelte Eher-Verlag solche Rechte überhaupt jemals hatte. Dazu wäre nämlich eine damals absolut unübliche Übertragung von natürlichen und tatsächlich schöpferisch tätigen Personen notwendig.

Denkbar sind noch individuelle Urheberrechte von Autoren, die vor weniger als 50 Jahren verstorben sind. Doch die Frage, welche Anstrengungen de Gryter und die Staatsbibliothek unternehmen, um sie ausfindig zu machen, bleibt unbeantwortet. Als Google vor dem Einscannen die Rechteerben verwaister Bücher nicht ermittelte und bei ihnen um Erlaubnis anfragte, wurde das von den deutschen Verlagen scharf kritisiert und als Argument für die angebliche Notwendigkeit eines neuen Leistungsschutzrechts herangezogen wurde, mit dem sich zukünftig - je nachdem wie es ausfällt - vielleicht auch Raubzüge in die Allmende mit einem gesetzlichen Monopol absichern lassen.

Auch Fragen dazu, auf welche immaterialgüterrechtlichen Vorschriften sich die Preiskalkulationen gründen und wie die Einnahmen aufgeteilt werden, will man weder bei de Gruyter noch bei der Staatsbibliothek beantworten. Auskünfte gibt es lediglich zu den Zugangssperren, für die man angeblich kein DRM sondern Heuristiken verwenden will.

In Brasilien wird das Versehen gemeinfreier Inhalte mit DRM-Zugangssperren bald strafbar: Ein neuer Urheberrechtsgesetzentwurf der dortigen Regierung verbietet in Artikel 107 nämlich technische Sperren vor gemeinfreien Werken. Bei urheberrechtlich noch geschützten Inhalten wird derjenige bestraft, der mit dem DRM eine rechtmäßige Nutzung be- oder verhindert. In der 2003 von Brigitte Zypries vorgenommenen deutschen Umsetzung der WIPO-Urheberrechtsverträge fehlen solche Sanktionen bisher.