"Verbotene Mitteilungen über Gerichtsverhandlungen"

Berlusconis "Skandalgesetz", gegen das italienische Medien streikten, ist in Deutschland längst geltende Rechtslage

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Nach einem Medienstreik änderte die italienische Regierung den Entwurf für ein neues Gesetz, das es unter Androhung von hohen Geld- und Haftstrafen verbietet, vor dem Beginn eines Prozesses "unrechtmäßig" aus Ermittlungsakten zitieren, wovon auch Abhörprotokolle betroffen wären. Nun gibt es einen Zusatzantrag, der vorsieht, dass dann zitiert werden darf, wenn die Informationen "wichtig" sind.

Über den Zusatzantrag soll das Parlament Ende Juli entscheiden. Eine Zustimmung gilt deshalb als wahrscheinlich, weil Ministerpräsident Silvio Berlusconi wegen des Gesetzes nicht nur vom Journalistenverband FNSI, Bloggern, Richtern, Staatsanwälten und der Opposition kritisiert worden war, sondern auch von Abgeordneten seiner eigenen Partei Popolo della Libertà (PdL). Annamaria Siliquini etwa verdammte den Ausgangsentwurf als "Knebel für die Presse" und lobten den Zusatzantrag als "Sieg des Parlaments".

Silvio Berlusconi. Foto: Presidenza della Repubblica.

Wegen des Gesetzes hatten am 9. Juli, dem "Tag des Schweigens", sowohl die wichtigen Tageszeitungen (darunter der Corriere della Sera, der Messaggero, die Repubblica und die Stampa) als auch die Nachrichten- und Sportredaktionen der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt RAI sowie zahlreiche italienische Internetmedien gestreikt.

Die Regierung rechtfertigte den Gesetzentwurf unter anderem mit Verweisen auf Vorverurteilungen und die Privatsphäre Unschuldiger. Kritiker mahnten dagegen, dass die Vorschrift in Verbindung mit jahrelanger Prozessverschleppung dafür sorgen könnte, dass korrupte Politiker trotz schwerwiegender Verdachtsmomente gegen sie oder ihre Mittelsmänner aufgrund einer Unkenntnis der Öffentlichkeit wiedergewählt werden.

Die deutschen Medien kritisierten in ihrer Berichterstattung zwar häufig das geplante Gesetz, gingen aber nicht darauf ein, dass es einen vergleichbaren Paragrafen auch hierzulande gibt.

"Warum", so fragte sich die Spiegel-Gerichtsreporterin Gisela Friedrichsen nach dem Bekanntwerden der Erstschlagsaussage des S-Bahn-Fahrers im Prozess gegen die "Schläger von Solln", haben die Ermittlungsbehörden diesen Tatablauf nicht von Anfang an kommuniziert?" Telepolis lag der entsprechende Ausschnitt aus der Aussage des S-Bahn-Fahrers bereits im letzten Jahr vor. Allerdings hatten wir auch Kenntnis vom § 353 d Ziffer 3 des StGB, der denjenigen, welcher "die Anklageschrift oder andere amtliche Schriftstücke eines Strafverfahrens, eines Bußgeldverfahrens oder eines Disziplinarverfahrens ganz oder in wesentlichen Teilen im Wortlaut öffentlich mitteilt, bevor sie in öffentlicher Verhandlung erörtert worden sind [...]" mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bedroht. Eine Vorschrift, auf dessen Existenz die Leiterin der Justizpressestelle beim Oberlandesgericht München immer wieder gerne hinweist.

Der Paragraf ruht nicht nur als theoretische Norm im Strafgesetzbuch, sondern wird auch angewendet: Am 1. Juli verurteilte beispielsweise ein norddeutsches Gericht den Künstler Tom S. zu einer Geldstrafe in Höhe von 10 Tagessätzen, weil er eine Berufungsbegründung der Staatsanwaltschaft öffentlich gemacht hatte. Hintergrund waren Verfahren, in dem der Staatsanwalt L. dem Künstler vorwarf, dass seine Erfindung von Maleridentitäten die Straftatbestände des schweren gewerbsmäßigen Betruges und der gewerbsmäßigen Urkundenfälschung erfüllen würden.

Daraufhin hatte S. ein Gemälde von L. angefertigt, das auf den neutralen Betrachter zwar nicht den Eindruck einer ungewöhnlich kritischen Darstellung erweckt, die Staatsanwaltschaft aber offenbar so erregte, dass sie es im Rahmen einer Hausdurchsuchung beschlagnahmen ließ und sogar dessen Vernichtung anordnete. Nachdem sie diese Maßnahmen unter anderem damit begründete, dass L. zwar bekleidet, aber ohne Robe dargestellt worden sei, stellte S. nach eigenen Angaben deshalb Schriftstücke im Wortlaut ins Internet ein, weil ihm dies sonst niemand glauben würde.

Trotzdem sah das Gericht einen Verstoß gegen den § 353 d Ziffer 3 gegeben. Die Vorschrift, so die Entscheider, diene nämlich nicht nur dem Schutz von Angeklagten, sondern dem aller Prozessbeteiligten inklusive des Staatsanwalts und gewährleiste darüber hinaus die Integrität des Strafverfahrens.

Prominenteren Verwertern gerichtlicher Vorabinformationen wird eher mit dem Paragrafen gedroht, als dass tatsächlich Verfahren gegen sie eröffnet werden. Dies passierte unter anderem dem ARD-Terrorismusexperten Holger Schmidt, dem der Vorsitzende Richter Breidling im Rahmen des Prozesses gegen die Sauerlandgruppe ankündigte, er hege den "konkreten Verdacht" eines Verstoßes gegen den § 353d gegen ihn. Andererseits bedienen sich Prominente auch der Vorschrift, um die Berichterstattung über die eigene Person zu kontrollieren: So zeigte etwa der Profisportler Jan Ulrich drei Fernsehjournalisten an, die über seine Verwicklung in einen Dopingskandal recherchiert hatten.