Blut, Schweiß und Gähnen

Lebanon. Bild: Senator Verleih/Sony Pictures

"Gut meinen" und "Gut machen" im israelischen Kino

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Nachdem der herausragende Animationsfilm Waltz with Bashir 2008 Aufsehen erregt hat, widmet sich ein jüngerer Film mit dem simplen Namen Lebanon dem gleichen Thema: die Libanoninvasion der israelischen Armee 1982. Die Aufarbeitung der Ereignisse macht also Fortschritte, wenn sie auch nicht immer in die richtige Richtung geht.

1982. Israel hat genug von dem Dauerbedrohung Nordisraels durch die PLO im Südlibanon und beschließt die Invasion. Ein paar junge israelische Soldaten trifft dieser Beschluss in ihrem Panzer an; sie sollen zufälligerweise die ersten sein, die in das Nachbarland einrollen. Der Versuch, unter unmenschlichen Bedingungen menschlich zu bleiben, muss misslingen, und "Lebanon" ist die Chronik dieses Scheiterns.

Schon die ersten Szenen machen klar, dass die Reise in die Hölle geht. Der allererste Feindkontakt: Der Schütze des Panzers kann aus Panik nicht abdrücken, als ein Auto voller schwerbewaffneter Freischärler auf den Panzer zu fährt; deswegen können die Freischärler die Fallschirmjäger, die den Panzer begleiten, in ein Gefecht verwickeln, ein Fallschirmjäger stirbt. Die Leiche wird zur Evakuierung in den Panzer gesteckt, und der Schütze dreht schon da beinah durch.

Um seinen Fehler nicht zu wiederholen, macht er aus dem zweiten entgegenkommenden Wagen Kleinholz; es war aber nur ein Hühnerfarmer, der nach dem Treffer mit abgerissenen Gliedmaßen brüllend auf der Straße liegt und von einem der umstehenden israelischen Soldaten mit einem Gnadenschuss erlöst wird.

Lebanon. Bild: Senator Verleih/Sony Pictures

Die nächste Großsequenz bietet eine Geiselnahme mit anschließender Katastrophe - Kämpfer benutzen eine libanesische Familie als menschliche Schutzschilde, der sich entspinnende Kampf kostet ein kleines Mädchen und seinen Vater das Leben, die Mutter taumelt danach nackt und irr vor Schmerz durch das Schussfeld. Und so geht es weiter.

Der Beschuss durch eine Panzerabwehrwaffe wird vorgeführt, das Rollen durch Ruinen, misslingende Versuche, sich wenigstens geographisch in all dem Chaos zu orientieren, die Konflikte der Panzerbesatzung, ihre verschwitzten und manchmal verschwiemelten Dialoge, das alles gewürzt mit den Sprüchen eines Vorgesetzten, der ab und zu in den Panzer geklettert kommt, und den jungen Spunden erzählt, wie es zu laufen hat.

Lebanon. Bild: Senator Verleih/Sony Pictures

Das Kammerspiel soll durch sein Setting intensiviert werden - alles spielt sich im Innenraum des Panzers ab, die Außenwelt dringt nur durch den immer wieder hereinschneienden Vorgesetzten und die Sichtgeräte der Mannschaft in den Stahlkasten ein - aber dieser Trick bewirkt nur, dass man ständig an Wolfgang Petersens Kriegsschmonzette Das Boot (1981) denken muss.

Lebanon. Bild: Senator Verleih/Sony Pictures

Immer wieder befürchtet man, dass gleich Herbert Grönemeyer, Jürgen Prochnow oder Martin Semmelrogge um die Ecke biegen und den Laden schmeißen. Für diese Furcht bleibt reichlich Zeit, denn obwohl der Film Schockeffekte wie Feuerwerkskörper abbrennt (oder gerade deswegen), ist er stinklangweilig. Blut, Schweiß und Gähnen - und leider sonst nichts.

Die Pleite wird noch deutlicher, wenn man den Streifen mit dem schon anfangs erwähnten "Waltz with Bashir" vergleicht. Dort gerät die Seelensuche eines Libanonveteranen, der sich an den Feldzug nicht mehr richtig erinnern kann, obwohl er doch erwiesenermaßen dabei war, zu einem durch und durch unheimlichen, unter die Haut gehenden Panorama des modernen Kriegs.

Waltz with Bashir. Bild: Pandora Film Verleih

Dabei spart der Film nicht mit Drastik: das Absurde und das Grausame gehen im Medium des Animationsfilms eine haarsträubende Kombination ein, und es ist genau diese Zutat des Absurden, ja auch des absurden Humors, die ihm seine Glaubwürdigkeit verleiht. Wer glaubt, der Zeichentrick schaffe eine ästhetische Distanz, aus der heraus das Gezeigte leichter zu konsumieren ist, wird eine Überraschung erleben - das Massaker von Sabrah und Shatilah, begangen von Phalangisten unter der Deckung und mit Hilfe des israelischen Militärs, geht in diesem Film wirklich unter die Haut. Der Film kann den Vergleich mit den besten Kriegsfilmen der Filmgeschichte (wie z.B. "Full Metal Jacket") jederzeit aushalten.

Lebanon. Bild: Senator Verleih/Sony Pictures

"Lebanon" hingegen verhebt sich an seinem Sujet, indem er allein auf die Stärke der Situation setzt - und verliert. Dass der Film letzten Herbst in Venedig mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet wurde, ändert daran rein gar nichts.