Krieg mit C-Waffen gegen die PKK?

Eines der vorgelegten Fotos. Vermerk aus der mündlichen Begutachtung des Gerichtsmediziners: "Hier sind bei erster Betrachtung Auswirkungen, wie sie eigentlich nur bei Verbrennungen oder Verätzungen durch chemische Substanzen vorkommen können, zu sehen. Bei näherer Betrachtung kann es sich nicht um Verbrennungen durch Feuer handeln. Die Brusthaare sind nicht auf diese Art oder gar nicht verbrannt und auch die Wundränder und weitere Merkmale hätten dann eine andere Ausprägung. Folglich ist die Wahrscheinlichkeit der Einwirkung von chemischen Substanzen, in welcher Form auch immer gegeben. Die sichtbaren Löcher können sowohl durch Schusswaffen als auch durch Granatsplitter oder andere Munition zustande gekommen sein. "

Linke erheben Vorwürfe gegen den NATO-Partner

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Der Abgeordneter der Linken, Andrej Hunko, und mehrere Menschenrechtsaktivisten erhoben auf einer Pressekonferenz in Berlin schwere Vorwürfe gegen die Türkei. Sie legten Fotos und Gutachten vor, die den Einsatz von C-Waffen im Kampf gegen die kurdische PKK belegen sollen. Die Unterlagen wurden ihnen von türkischen Menschenrechtlern übergeben und in Deutschland auf ihre Plausibilität und die Fotos auf mögliche Manipulationen hin untersucht.

Den Berichten zufolge wurden nahe der türkisch-irakischen Grenze, in der Provinz Hakkari, zwischen dem 8. und 15. September letzten Jahres acht Menschen Opfer eines Einsatzes von chemischen Substanzen durch das türkische Militär. Augenzeugen berichteten von dem Vorfall und beschrieben, dass Soldaten gasförmige, allem Anschein nach chemische Substanzen in Form von Geschossen in eine Höhle in der Nähe der türkisch-irakischen Grenzstadt Cukurca (Provinz Hakkari) einbrachten und wenige Zeit später acht Menschen, Mitglieder der Guerilla der PKK, aus dieser Höhle bargen. Einige der bereits leblosen Körper wurden daraufhin zusätzlich von Panzerfahrzeugen überfahren und/oder erschossen. Bei den Toten handelt es sich um Rizgar Askan, Aziz Özer, Ramazan Yildiz, Kahraman ?ex Ali, Yahya Musazade, Salih Güleç, Aliye Timur und Hanife Ali, im Alter von 19 bis 33 Jahren.

Schon früher Berichte über C-Waffen in der Türkei

Berichte über C-Waffen in der Türkei gibt es schon länger. So berichtete 1999 die ZDF-Sendung "Kennzeichen D", der Redaktion lägen "ernst zu nehmende Hinweise" vor, wonach die Türkei unter Verwendung von deutschem Kampfgas gegen die C-Waffen-Konvention verstoßen habe. So habe das türkische Militär bei einem Einsatz gegen Kurden im Mai dieses Jahres (also 1999) in Deutschland hergestellte chemische Gas-Patronen eingesetzt."

Einem Gutachten des Hamburger Rechtsmediziners Dr. med. Jan Sterhake, Institut für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf, zufolge wurden gegen die acht von der türkischen Armee getöteten Personen mit großer Wahrscheinlichkeit chemische Substanzen eingesetzt.

Menschenrechtler/innen aus der Region hatten einer deutschen Menschenrechtsdelegation, unter anderem Delegierten von Bundestags- und Landtagsabgeordneten, die Augenzeugenberichte übermittelt und Fotos aus dem Zeitraum kurz nach der Obduktion übergeben. Die Fotos sind nach Ansicht des Bildfälschungsexperten Hans Baumann authentisch. Bei einer Begutachtung fand Baumann keinerlei Hinweise auf eine Manipulation der Aufnahmen. Lichtverhältnisse, Details der Leichen und Kameradaten seien konsistent und in dieser Form praktisch nicht fälschbar.

Linke fordern Aufklärung

Darstellungen des Hamburger Soziologen und Türkeiexperten Martin Dolzer zufolge bestätigt das Gutachten des Hamburger die ihm übermittelten Augenzeugenberichte. Es werde deutlich, dass die türkische Armee gegen die von der Türkei ratifizierte Chemiewaffenkonvention (CWK) verstoße, so Dolzer. Dabei handele es sich" um gravierende, zu verurteilende Menschenrechtsverletzungen und ein Kriegsverbrechen".

Andrej Hunko, MdB (Die Linke) und Mitglied der Parlamentarischen Versammlung des Europarats, fordert eine gründliche Untersuchung und Aufklärung der Vorwürfe. "Die Verwendung chemischer Waffen ist für Unterzeichnerstaaten der CWK verboten. Sollte sich der Vorwurf eines Chemiewaffeneinsatzes erhärten, muss dies Konsequenzen durch den Executive Council der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) nach sich ziehen. Die Türkei ist wie alle anderen Unterzeichnerstaaten verpflichtet, sämtliche chemischen Waffen zu deklarieren und abzubauen."

Der Menschenrechtsaktivist Michael Knapp ergänzt: "Innerhalb des letzten Jahres häufen sich die Berichte über den Einsatz chemischer Substanzen durch das türkische Militär. Im Rahmen der militärischen Auseinandersetzung mit der PKK und Militäroperationen, auch gegen die Natur sowie die Zivilbevölkerung wird immer wieder vom Einsatz chemischer Waffen, postmortaler Verstümmelung u.a. durch Zertrümmern von Körperteilen und durch Säure berichtet."

Das "Sunshine Project", eine bis 2008 bestehende NGO, die sich mit der Dokumentation von Biowaffen- und Chemiewaffenproduktion und deren Einsatz beschäftigte, beschrieb in einem Länderbericht Türkei 2004 mehrfach ähnliche Einsätze der türkischen Armee mit chemischen Substanzen. Des weiteren kritisierte diese NGO, dass eine veröffentlichte militärische Direktive zum Einsatz von Chemiewaffen aus dem Jahr 1986 bis mindestens 2004 weder seitens des Militärs noch seitens einer türkischen Regierung kommentiert oder revidiert worden sei.. In der Direktive wird der Einsatz international geächteter Kampfstoffe wie Giftgas, chemischen Waffen und biologischen Waffen in Form von Insekten thematisiert.