Kolumbiens Attacken auf Venezuela spalten Lateinamerika

Von der kolumbianischen Regierung vorgelegter Beweis für Bauernhöfe in Venezuela, in denen sich Guerillkämpfer versteckt halten sollen. Veröffentlicht wurden die Beweise von der kolumbianischen Zeitung El Tiempo.

Caracas bricht nach schweren Vorwürfen aus Bogota alle Kontakte zum Nachbarland ab. Kritik an Krisenpolitik der Organisation Amerikanischer Staaten

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Nach dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen Venezuelas mit Kolumbien am Donnerstag droht sich die bilaterale Krise zu einem regionalen Konflikt auszuweiten. Mehrere Staaten Südamerikas sind inzwischen deutlich auf Distanz zur Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) gegangen. Der chilenische Diplomat und Generalsekretär der Regionalorganisation, José Miguel Insulza, hatte am Donnerstag eine Dringlichkeitssitzung einberufen, um schwere Vorwürfe Kolumbiens gegen Venezuela zu beraten. Bogota beschuldigt Caracas, hunderten Guerillakämpfern Unterschlupf zu gewähren. Venezuela brach nach der Sitzung die Beziehungen zu Kolumbien ab und warnte vor einer weiteren Eskalation.

Mit dem Abbruch der Beziehungen reagierte Venezuelas Staatsführung auf neuerliche Vorwürfe Kolumbiens, Caracas würde bis zu 1500 Rebellen der Guerillaorganisationen FARC und ELN Zuflucht gewähren. Während die US-nahe OAS auf Antrag Kolumbiens zu einer Sondersitzung zusammenkam, beantragte Venezuela nach dem Abbruch der Beziehungen zum Nachbarland eine Sondersitzung der Union Südamerikanischer Nationen (UNASUR). Venezuelas Präsident Hugo Chávez gab den Rückzug des Botschaftspersonals während einer Sondersendung live bekannt. Zugleich versetzte er die venezolanischen Truppen entlang der Grenze zu Kolumbien in Alarmbereitschaft.

Schwere Vorwürfe erhob Chávez gegen die USA. Sie hätten den scheidenden Präsidenten Kolumbiens, Alvaro Uribe, zur Eskalation angestiftet. Uribe übergibt die Amtsgeschäfte am 7. August an den ihm nahe stehenden rechtsgerichteten Politiker und ehemaligen Verteidigungsminister Manuel Santos. "Ich mache Uribe dafür verantwortlich, was in den kommenden Tagen geschieht", sagte Chávez, der zugleich seiner Hoffnung auf eine Beilegung der neuerlichen schweren Krise Ausdruck verlieh.

Kolumbiens Belege "aus dem Internet heruntergeladen"

Der Botschafter Kolumbiens vor der OAS, Luis Alfonso Hoyos, hatte am Donnerstag in einer gut zweistündigen Rede die mutmaßlichen Beweise für die schweren Vorwürfe seiner Regierung vorgetragen. In Venezuela halten sich demnach bis zu 1.500 Rebellen der Organisationen FARC und ELN auf. Die geheimdienstlich zusammengetragen Informationen belegten 87 Lager der Guerilla auf venezolanischem Gebiet, sagte Hoyos weiter. Die Stichhaltigkeit der Beweise ist jedoch umstritten.

Gefundene Fotografien dienen als Beleg für die Lager.

Mitte des Monats bereits hatte der Verteidigungsminister der scheidenden Regierung von Alvaro Uribe die vermeintlichen Belege vorgestellt – allerdings nur ausgewählten Pressevertretern und hinter verschlossenen Türen. Mehrere der Medienunternehmer stehen der Regierung nahe. Die einzige kolumbianische Tageszeitung, die überall im Land erhältlich ist, El Tiempo, gehört der Familie Santos, die gleich zwei Mal in der Regierung Uribe vertreten war. Sie stellt Vizepräsident Francisco Santos, Exverteidigungsminister Juan Manuel Santos übernimmt am 7. August das Präsidentenamt.

Das venezolanische Außenministerium sprach daher auch von "einer Serie von Bildern und Landkarten, die offenbar aus dem Internet heruntergeladen worden sind". "Ich kenne kein nationales oder internationales Gericht, das diese Art von Beweisen akzeptieren würde", sagte Caracas' Vertreter vor der OAS, Roy Chaderton.

Tatsächlich ist die lateinamerikanische Presse tief gespalten. Wem die Attacken gelegen kommen, spricht von Beweisen Kolumbiens. Weitestgehend aber stehen die Medien den Vorwürfen mit Vorbehalten gegenüber. Immerhin hat die kolumbianische Staatsführung in den vergangenen acht Jahren unter Präsident Uribe mehrfach ähnliche Vorwürfe gegen Venezuela erhoben. In keinem Fall konnten sie belegt werden. Auch im aktuellen Konflikt gab Caracas an, die Belege überprüft zu haben, ohne auf die mutmaßlichen Guerillalager zu treffen. Auch wenn sich Rebellen in Venezuela aufhalten, "dann geschieht das ohne Zustimmung dieser Regierung und wir würden sie hier verfolgen und zur Verantwortung ziehen", so Chávez am Donnerstag.

Mit den "aus dem Internet heruntergeladenen" Satellitenbildern sollen die Stansorte der mutmaßlichen Lager belegt werden.

Grundsätzlicher Konflikt zwischen politischen Systemen

Die derzeitige Eskalation zwischen Venezuela und Kolumbien ist gleichwohl Ausdruck eines grundlegenden Konfliktes zwischen politischen Systemen und Anschauungen. Während Kolumbien für eine neoliberale und US-nahe Politik steht und diese Linie nach innen aggressiv verteidigt, repräsentiert Venezuela eine neue lateinamerikanische Linke, von der ein "Sozialismus des 21. Jahrhunderts" diskutiert wird. Die Differenzen darüber haben beide Staatsführungen in den vergangenen Jahren stetig begleitet. So erkannte Kolumbien – kurz vor der Wahl Uribes und auf dessen Drängen – im April 2002 das Regime der Putschisten an, die den linksgerichteten Chávez kurze Zeit aus dem Amt gedrängt haben. Der Putschistenchef Pedro Carmona lebt heute als politischer Flüchtling in Bogota.

Im vergangenen Jahr dann sorgte ein militärisches Kooperationsabkommen Kolumbiens mit den USA für ein schweres Zerwürfnis zwischen den beiden Nachbarstaaten. Die Uribe-Regierung erlaubte die Übernahme von sieben Militärbasen im eigenen Land durch die US-Armee. Die Militarisierung wurde nicht nur in Venezuela – vor allem aber dort – als Gefahr gesehen und verurteilt (Geheimabkommen zwischen Kolumbien und USA unterzeichnet).

Entsprechend fiel die Interpretation der aktuellen Geschehnisse in Venezuela gestern aus. Uribe wolle sich kurz vor Ende seiner zweiten Amtszeit als Opfer präsentieren, so Chávez. Dabei habe er weder im Kampf gegen die Guerillaorganisationen noch im Kampf gegen den Drogenhandel Erfolge vorzuweisen. Tatsächlich, so Chávez Mutmaßung, liege der interne bewaffnete Konflikt im Interesse der USA, die Uribe in den vergangenen acht Jahren entschieden unterstützt haben. "Uribe ist nichts als eine Spielfigur Washingtons", sagte der venezolanische Staatschef. Der andauernde Konflikt innerhalb Kolumbiens jedenfalls biete Washington einen ständigen Vorwand zur Intervention.

Harsche Kritik an OAS-Politik

Die Krise zwischen Venezuela und Kolumbien wächst sich nach dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen durch Caracas auch zu einem regionalen Konflikt aus. So übte Ecuadors Regierung, die derzeit den die Leitung der Union Südamerikanischer Nationen innehat, heftige Kritik an dem Generalsekretär der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), José Miguel Insulza. Der chilenische Diplomat habe die mehrfache Bitte Quitos übergangen, die Dringlichkeitssitzung am Donnerstag zu verschieben, beschwerte sich Außenminister Ricardo Patiño. Dabei sei es seiner Regierung nicht darum gegangen, die Aussprache zu verhindern, sondern – wie üblich – den Disput zunächst im ständigen Rat der US-nahen Regionalorganisation zu diskutieren.

Insulza, der bereits in der letzten großen Regionalkrise nach dem Militärputsch in Honduras Ende Juni 2009 die Positionen Washingtons übernommen hat, sei deswegen für die schwerwiegenden Konsequenzen verantwortlich, sagte auch Ecuadors Präsident Rafael Correa: "Er hat vehement darauf gedrängt, dass diese Sitzung (am Donnerstag) stattfindet, ohne – wie üblich – eine vorherige Debatte anzuberaumen", so Correa: "Und nun sehen wir die Folgen dieses Handelns." Patiño gab indes an, gegenüber Insulza "mindestens zehn Mal" auf ein besonnenes Vorgehen gedrängt zu haben, ohne dass dieser ihm Gehör geschenkt hat. Auch Brasiliens Regierung mahnt ein überlegtes Vorgehen an und offerierte sich als Vermittler.

Nach Ansicht des ecuadorianischen Außenministers Patiño hat sich Insulza als Mediator diskreditiert. Er sei dafür "unfähig", sagte er. Stattdessen werde Quito auf Antrag Venezuelas eine Sondersitzung der Außenminister der UANSUR-Staaten einberufen, um die bedrohliche Krise beizulegen. Auf die Vermittlung der OAS baue man nicht mehr. Nach jüngsten Meldungen lateinamerikanischer Nachrichtenagenturen könnten auf Initiative der UNASUR in den kommenden Tagen auch die südamerikanischen Staatschefs zusammenkommen.