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Wikileaks veröffentlicht fast 92.000 meist geheime Dokumente des US-Militärs, die Einblick in die Situation in Afghanistan gewähren

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Wikileaks konnte wieder einen Coup landen. Nachdem bereits die Veröffentlichung des Videos eines Kampfhubschraubers, das zeigte, wie US-Soldaten Zivilisten, darunter zwei Journalisten, abschossen, für Unruhe sorgte, dürften die fast 92.000, meist geheimen Dokumente des US-Militärs aus dem Afghanistan-Krieg die Unterstützung für diesen weiter unterminieren. Wikileaks wählte dieses Mal einen anderen Weg als üblich und gab dem Guardian, der New York Times und dem Spiegel zuvor Einblick in die Dokumente. Die Redaktionen befanden diese als echt und kamen mit ihren Berichten gleichzeitig an die Öffentlichkeit. Der Guardian und die New York Times veröffentlichten auf ihren Websites auch Teile der War Logs.

Während der Irak-Einsatz sind dem Ende zuneigt, allerdings die Situation dort hoch explosiv zeigt und nichts wirklich gelöst ist, hat sich die Aufmerksamkeit wieder dem Afghanistan-Krieg zugewendet. Manche bezeichnen ihn als "Obama-Krieg", da Obama aus diese Hinterlassenschaft der Bush-Ära irgendwie hinter sich lassen muss, ohne wieder einen Scherbenhaufen wie im Irak zu hinterlassen. Auch die Regierungen der Länder, die wie Deutschland Truppen für die Isaf stellen, müssen zur Rechtfertigung für den militärischen Einsatz und investierten Milliarden versuchen, möglichst schnell aus Afghanistan herauszukommen – und dies zumindest noch halbwegs als Erfolg verkaufen.

Die jetzt veröffentlichten Dokumente, die von den Redaktionen der New York Times, des Guardian und des Spiegel als echt befunden wurden – Wikileaks weiß, wie man Aufmerksamkeit inszeniert -, sind nicht spektakulär, weil sie neue Erkenntnisse eröffnen. Das tun sie nicht. Sie lassen vielmehr einen Blick in den Alltag eines militärischen Konflikts zu, der mit militärischen Mitteln kaum zu lösen ist und sich immer weniger mit Erfolgsmeldungen, wie sie die verantwortlichen Regierenden gerne von sich geben, schön reden lässt. Zwar wird nun nur noch davon gesprochen, wie dies etwa gerade auch wieder einmal Verteidigungsminister Guttenberg in einem SZ-Interview gemacht hat, dass man sich von "Träumen" verabschieden und den Abzug "klug" gestalten müsse. Bloß nicht den Eindruck aufkommen lassen, dass "alles umsonst gewesen ist und das Land wieder im Chaos versinkt". In dem befindet es sich freilich jetzt auch, zumal alternativenlos an der Karsai-Regierung festgehalten wird, die im Land keinen großen Rückhalt hat.

Ähnlich wie Guttenberg äußerte sich James Jones, der Nationale Sicherheitsberater des Weißen Hauses. Er kritisierte mit der üblichen Rhetorik die Veröffentlichung der Dokumente, weil dies Soldaten gefährden und der nationale Sicherheit schaden könnte. Man dürfe nicht zulassen, dass Afghanistan wieder zurückfällt und zum Rückzugsraum von Terroristen wird. Die Dokumente beträfen aber auch nur die Zeit bis 2009, bis dahin seien die Truppen von der Vorgängerregierung nicht gut genug ausgestattet gewesen. US-Präsiddent Obama setzt nun alles auf einen kurzzeitigen Surge, also eine Erhöhung der Truppenstärke, wie dies im Irak auch zu einer Wende geführt hat – allerdings nur für kurze Zeit. Um dem Vorwurf zu entgehen, dass die Veröffentlichung zur Gefährdung einzelner Personen führen könnte, haben die Medien die Namen der Soldaten gelöscht.

Nach dem Spiegel zeigen die Dokumente, dass die Sicherheitslage im Norden des Landes, wo die deutschen Soldaten sich aufhalten, immer schlechter wird und die Angriffe sich häufen. Zudem wird noch einmal deutlich, dass Spezialeinheiten, die nicht im Rahmen der Isaf arbeiten, in Afghanistan Jagd auf Taliban und andere Verdächtige machen, um sie zu töten. Es handelt sich also um einen heimlich und schmutzig geführten Krieg von Killerkommandos oder Todesschwadronen, der aber von allen Isaf-Ländern gedeckt und gebilligt wird, obgleich hier auch viele Zivilisten getötet werden. Dass man so nicht gleichzeitig einen demokratischen Rechtsstaat aufbauen kann, sollte eigentlich allen klar sein. Erschreckend daher, dass in dem schon erwähnten Interview Guttenberg solche Strategien attraktiv zu finden scheint, wenn er sagt:

Es gibt ja auch die Möglichkeit, der Sicherheit der Region und damit der internationalen Gemeinschaft gegebenenfalls mit nachrichtendienstlichen Mitteln zu helfen, dem etwaigen Einsatz von Spezialkräften und moderner Nachrichtentechnik. All dies bedarf aber sauberer Rechtsgrundlagen und der internationalen Abstimmung.

Verteidigungsminister Guttenberg

Der Guardian findet wichtig, dass die Taliban auch mit modernen Raketen ausgerüstet sind und die Bombenanschläge massiv verstärkt haben. Zudem würde klar, in welchem Ausmaß der Krieg mit bewaffneten Drohnen geführt wird, mit denen es aber auch oft Probleme gibt, weil sie abstürzen, wodurch auch Technik und Informationen in die Hände der Aufständischen gelangen können. Um dies zu vermeiden, müssen schnell gefährliche Einsätze erfolgen, um die wichtigen Teile einzusammeln, was nicht immer gelingt. Einmal wurde auch eine Drohne, bei der die Satellitenverbindung gestört war, von einem Kampfflugzeug abgeschossen, um nicht unkontrolliert irgendwo abzustürzen. Deutlich wird auch, dass die Afghanen immer wieder gegen die Angriffe protestiert haben.

Die New York Times hebt hervor, dass die Dokumente zeigen, wie manche Vorfälle vom Militär verschleiert werden, wie viele Zivilisten nicht nur durch Luftangriffe, sondern auch auf den Straßen von Soldaten getötet werden, wie Sabotage und Einschüchterung sich ausbreiten, ein Netz von Informanten, Doppelagenten und Spionen seitens der Taliban entstanden ist, wie wenig zuverlässig und korrupt die afghanischen Soldaten und Polizisten sind oder dass die Sicherheit gegen Geld Warlords überlassen wird, weil die staatlichen Sicherheitskräfte dazu nicht in der Lage sind.

Erschreckend ist immer wieder die Sprache der Militärberichte, in der der blutige Alltag in bürokratischen Formulierungen und einem Wust an Abkürzungen verborgen wird. Da ist beispielsweise von MAMs die Rede, das sind Männer im Militäralter, die immer verdächtig sind und in Gefahr laufen, beschossen zu werden. Wenn von "EKIA squirters" die Rede ist, dann heißt das "Feind im Kampf getötet" und "jemand, der zu fliehen versuchte". Das kann sich durchaus widersprechen. Das Töten solcher EKIA squierters wilrd beispielsweise so dokumentiert: "neutralized from air asset fires". Bei einem Angriff einer Spezialeinheit wurden 7 Kinder getötet, was dann heißt: "7 x NC KIA (children)", also 7 Nichtkombattanten im Kampf getötet.