Somalische Islamisten weiten ihren Einfluss aus

Die Afrikanische Union schickt nach dem Anschlag in Uganda zusätzliche Truppen nach Somalia

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Beim 15. Treffen der Afrikanischen Union Anfang dieser Woche in der ugandischen Hauptstadt Kampala sollte eigentlich Gesundheitsreformen für Mütter und Kinder im Mittelpunkt stehen. Aber das Thema Somalia dominierte den Gipfel der 35 afrikanischen Staatsoberhäupter. Nach den Bombenattentaten der somalischen Islamistengruppe Al-Shabab am 11. Juli in Uganda befürchtet man eine regionale Ausweitung des Konflikts. Deshalb will man die AU-Friedenstruppe am Horn von Afrika um 2.000 Soldaten erhöhen.

Für den ugandischen Präsidenten Yoweri Museveni ist das lange nicht genug. Er hätte am liebsten 20.000 Soldaten nach Somalia geschickt und sofort eine Offensive gegen die Al-Shabab-Milizen gestartet. "Diese reaktionäre Gruppe hat einen aggressiven Akt gegen unser Land begangen", sagte das ugandische Staatsoberhaupt. "Wir haben das Recht auf Selbstverteidigung. Wir sollten sie uns jetzt vornehmen."

Die Reaktion des Präsidenten ist geprägt von den Ereignissen am 11. Juli in Kampala. Während der Fernsehübertragung des WM-Finales in einem Rugby-Clubhaus hatten Selbstmordattentäter zwei Bomben gezündet. Ein hinterhältiger Anschlag, bei dem 76 Menschen ums Leben kamen. Laut Al-Shabab-Führer Ahmed Abdi Godane war dies eine Racheaktion für die Gräueltaten der ugandischen Armee an der Zivilbevölkerung Somalias. In seiner Radiobotschaft drohte der Islamistenführer, bekannt auch unter dem Namen Abu Zubayr, mit weiteren Anschlägen. Die Bomben von Kampala seien "erst der Anfang gewesen". Tatsächlich werden in Somalia bis heute immer wieder Zivilisten, auch von den AU-Friendenstruppen, getötet .

Die Drohungen von Al-Shabab sind für den ugandischen Präsidenten eine Bestätigung, dass man sich die Islamisten tatsächlich möglichst schnell "vornehmen" sollte. Etwas gewählter drückte sich der Polizeichef Ugandas aus. "Die Bomben in Uganda zeigen, wie notwendig es ist, Somalia zu kontrollieren und zu befrieden", sagte Major-General Kale Kayihura. "Eine Gruppe, wie Al-Shabab, die in der Nachbarschaft die Macht übernimmt", könne man unter keinen Umständen tolerieren. "Sie werden sich ausbreiten wollen."

Der oberste Polizist Ugandas spricht das aus, was in den anderen afrikanischen Ländern ebenfalls befürchtet wird. Allerdings teilt die Mehrheit der AU-Staaten, wie die Entscheidung auf dem Gipfeltreffen in Kampala zeigte, nicht die Meinung Ugandas, Al-Shabab mit militärischen Mitteln besiegen zu können. Anscheinend hat man aus der Geschichte etwas gelernt.

Ausländische Truppen mischen in Somalia schon viele Jahre mit

In Somalia, das sich seit 1986 mehr oder weniger in einem Dauer-Bürgerkrieg befindet, mischten sich immer wieder ausländische Akteure ein und das meist katastrophalen Folgen. 1992 waren es die USA, die in Mogadischu ein militärisches Desaster erlebten. Im Dezember 2006 startete Äthiopien eine Invasion, nachdem die Islamisten die Hauptstadt erobert hatten (Die zweite Niederlage der USA). Der Verbündete der USA sollte mit der Union Islamischer Gerichte (ICU) aufräumen, die Somalia nach mehr als 15 Jahren zum ersten Mal so etwas wie Frieden und Rechtssicherheit gegeben hatten (Äthiopien marschiert in Somalia ein).

In nicht einmal zwei Wochen eroberten die äthiopischen Truppen die Hauptstadt Mogadischu und setzten die vertriebene somalische Übergangsregierung wieder ein. Doch außer der Hauptstadt hatten die äthiopischen Soldaten kaum weitere Gebiete unter Kontrolle. Die islamistischen Milizen hatten sich anfangs zurückgezogen und eine direkte Konfrontation vermieden. Danach begannen sie einen Guerillakrieg gegen die Besatzer, den sie auf die AU-Friedenstruppen, die 2007 stationiert wurden, ausweiteten (Die KfW und die Schulden aus der Kaiserzeit). Im Januar 2009 zog das äthiopische Militär aus Somalia ab und überließ es der 6.000 Mann starken Truppe der Afrikanischen Union, "Frieden zu stiften".

Zu diesem Zeitpunkt hatte sich der islamistische Widerstand bereits radikalisiert. Einige extreme Splittergruppen der eigentlich moderaten Union Islamischer Gerichte (ICU) hatten jetzt eine Führungsrolle übernommen. Darunter auch die Al-Shabab Miliz , von der einige Klanchefs die Al Qaeda-Ideologie vom internationalen Dschihad teilten und ausländische Kämpfer gerne in ihre Reihen aufnahmen. Al-Shabab kontrolliert bis heute den gesamten Süden Somalias sowie den überwiegenden Teil der Hauptstadt Mogadischu.

Die somalische Übergangsregierung unter Präsident Scheich Sharif Ahmed hat nur einige Gebäude, darunter das Parlament und den Präsidentenpalast in der Hand. Scheich Ahmed war 2008 ins Amt gewählt worden, nachdem er 2006 noch als Führer der ICU als Terrorist galt und vor den äthiopischen Invasionstruppen fliehen musste (Somalia: Vom Terroristen zum Retter der Nation). Mit ihm als Integrationsfigur hatten die Nachbarländer Somalias, aber auch die USA und Europäische Union, gehofft, es könne ein dauerhafter Friedensprozess entstehen. Al-Sahbab wies jedoch sämtliche Verhandlungsangebote zurück und nannte Scheich Sharif Ahmed einen Verräter. "Er ist jetzt auf der Seite unseres Erzfeindes Äthiopiens und fordert Unterstützung von Ungläubigen", sagte Al Shabab-Scheich Hayakalah im Februar 2009. "Stell dir nur vor, wie Sharif, der einst unser Führer war, uns und den Islam betrogen hat!"

Die Fronten zwischen Übergangsregierung und Al-Shabab sind verhärtet, wie auch ein Statement vom Sprecher der Islamisten-Miliz, Scheich Hasan Yaqub, zeigt: "Helft uns mit eueren Söhnen, mit Waffen und Geld, damit wir diese irreligiöse Regierung von Sharif entwurzeln können, bevor sie zu stark wird!"

Schutztruppen dürfen "präventiv" agieren

Die AU hat 2.000 neue Soldaten für Somalia und die Übergangsregierung versprochen. Die Truppen sollen aus Guinea und Dschibuti kommen. Prinzipiell würde das zusätzliche Militär nichts an den momentanen Machtverhältnissen in Somalia ändern. Jedoch verfügt die AU-Friedenstruppe über ein ein wenig verändertes Mandat. Bisher durften die Soldaten nur im Angriffsfall zur Verteidigung ihre Waffen benutzen.

Von nun ab besteht die Möglichkeit von präventiven Maßnahmen. "Sobald man realisiert, dass man angegriffen wird, kann man als erster angreifen", erklärte Felix Kulayigye, der Sprecher des ugandischen Militärs, das das größte Kontingent der Friedentruppen in Somalia stellt. Eine Neuregelung, die einen großen Interpretationsspielraum lässt. Die AU-Truppen haben sich bereits bisher als wenig zimperlich gezeigt, gerade was Zivilisten betraf. Man kann sicher sein, dass sie die Neuregelung der "präventiven Maßnahmen" sehr großzügig auslegen werden.

Wie üblich ist der Leidtragende die Zivilbevölkerung. Bisher mussten, so die Vereinten Nationen 1,4 Millionen Menschen ihre Häuser und Wohnungen verlassen, 600.000 Flüchtlinge leben in Lagern in den Nachbarstaaten Somalias. Alleine in den letzten drei Wochen wurden 18.000 Menschen vertrieben, 112 getötet und 250 verwundet.

Während die 35 Staatsoberhäupter in Kampala konferierten, wurde in Somalia weiter gekämpft. Dutzende starben wieder in den letzten Tagen Mogadischu bei Auseinandersetzungen zwischen Al-Shabab und Soldaten der Übergangsregierung. Zum ersten Mal weiten sich die Kämpfe sogar ins teilautonome Puntland aus.

Islamismus greift auf Puntland über

Neue islamistische Gruppen bewaffnen sich dort, um für eine Einführung des islamischen Rechtssystems (Scharia) zu kämpfen. Sie sind mit den Al-Shabab-Milizen alliert. Puntland war bisher relativ stabil und die Basis der Piraten, die von der dortigen Küste aus Jagd auf Handelsschiffe machen. So unwillkommen die Islamisten für die Übergangsregierung und ihre internationalen Verbündeten sein mögen, zumindest die großen Reedereien werden zufrieden sein. Die islamistischen Milizen haben angekündigt, dass sie die Piraterie stoppen wollen. Im Mai dieses Jahres nahmen sie bereits eines der Piratennester, die Stadt Haradhere, ein und vertrieben die Seeräuber.