Afghanistan im Medienkrieg

Die Time sucht mit einem auf Schock ausgerichteten Titelbild den Mediencoup von Wikileaks mit großen Zeitungen nachzueifern und setzt dabei auf den Schutz der afghanischen Frauen

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Mit der Veröffentlichung des Fotos der 18-jährigen Aisha auf dem Cover des Time-Magazins soll die Debatte über den Afghanistan-Krieg noch einmal aufgeheizt werden. Um auch allen die Botschaft deutlich zu machen, heißt es auf dem Cover: "Was geschieht, wenn wir Afghanistan verlassen." Auf Befehl eines Talibankommandeurs, so die Time, wurden der Frau 2009 Nase und Ohren abgeschnitten, weil sie ihren Schwiereltern, die sie missbraucht (oder misshandelt) haben sollen, entfliehen wollte. Sie habe der Veröffentlichung zugestimmt, halte sich an einem sicheren Ort auf und werde u.a. mit der Hilfe der Time in die USA für eine kosmetische Operation gebracht.

Titelblatt der Time vom 9. August

Vorhergegangen war am Montag die Veröffentlichung von zahlreichen, bislang geheimen Dokumenten des US-Militärs durch Wikileaks, worauf die Time auch verweist. Die Einsatzberichte von US-Soldaten enthielten zwar keine neuen Informationen, aber sie gewährten einen Einblick in den Stand des Krieges, der sich mehr und mehr zu Ungunsten der US- und ISAF-Truppen wendet. Zudem steht der lange bekannte Einsatz von US-Spezialeinheiten in Frage, die mit einer Todesliste vermeintliche Gegner jagen und töten, was auch mittels der Drohnen geschehen kann.

Ob dieser "schmutzige" Krieg völkerrechtlich legitim ist und ob sich die Isaf-Staaten schuldig machen, solche Einsätze über Jahre gedeckt und mitgetragen zu haben, steht nun zur Debatte. Die wird vermutlich schnell wieder abebben, weil niemand ein Interesse daran hat, solche Praktiken zu geißeln, weil sie mitunter selbst ausgeübt werden. Dass die lange bekannten Themen überhaupt Aufmerksamkeit gefunden haben, verdankt sich auch der Strategie von Wikileaks, mit der New York Times, dem Guardian und dem Spiegel drei wichtige Medien gefunden zu haben, die zeitgleich über die Dokumente berichteten und einen dementsprechend düsteren Blick auf Afghanistan offerierten. Der Mediencoup ist von den ausgesparten Medien nicht unbedingt mit Wohlwollen aufgenommen worden und man kann annehmen, dass auch dies ein Grund ist, warum nun Time dagegen schießt und gleichzeitig eine Haltung einnimmt, die für die Fortführung des Kriegs gegen die Taliban wirbt.

Die junge Frau auf dem Cover soll provozieren und verstören. Man will schockieren und Aufmerksamkeit erregen, gerechtfertigt wird dies in Analogie zu Wikileaks, dass dieses Foto ein "Fenster in die Wirklichkeit dessen, was in einem Krieg geschieht und geschehen wird, der uns alle betrifft". Die Leser werden aufgefordert, anhand des Fotos darüber nachzudenken, was die USA in Afghanistan machen sollten. In dem Fall wird gesagt, dass dann, wenn die US- und Isaf-Truppen abziehen, die Taliban zurückkehren und wieder ihre Schreckensherrschaft gegenüber Frauen errichten würden. Verschwiegen wird allerdings, dass die Taliban bereits jetzt immer mächtiger werden und die neunjährige Truppenpräsenz mitsamt der Installierung einer korrupten Regierung und eines mangelnden Aufbaus die Menschen offenbar in die Hände der Taliban oder der Warlords treiben.

Der Verdacht liegt allerdings nahe, dass die Time nun mit dem Eintritt für die Menschenrechte der Frauen in erster Linie ebenfalls einen Coup landen wollte und dazu das Mädchen benutzte, das die nur wenigen vermittelte Chance erhielt, in die USA einzureisen und dort behandelt zu werden, um gegen die anderen Medien anzutreten. Auch die New York Times hat beispielsweise einen nicht weniger eindringlichen, aber nicht spektakulären Beitrag darüber veröffentlicht, dass viele Frauen nun wieder Angst haben, ganz unter die Knute der Männer zu geraten, wenn die Taliban zurückkehren oder es zu Kompromissen der Karsai-Regierung mit diesen kommt. Die US-Regierung steht gegenüber den afghanischen Frauen besonders in der Pflicht, denn der Krieg wurde lange Jahre von Bush mit der Aussicht legitimiert, aus Afghanistan nicht nur einen demokratischen Staat zu machen, sondern insbesondere die Frauen aus der Herrschaft der Männer zu befreien. Allerdings dürfte eine Entscheidung, nach jetzt neun Jahren noch länger Truppen im Land zu halten, auch keine große Wende bringen, wenn die Strategie sich nicht ändert.

Ein Leser machte darauf aufmerksam, dass die Time-Thematisierung exakt einer, übrigens ebenfalls von Wikileaks veröffentlichten CIA-Strategie zu folgen scheint, eine größere ZUstimmung zum Afghanistan-Krieg zu erzeugen. Ganz allgemein, so eine Zielrichtung, müsse man aber auf die afghanischen Frauen setzen, um die Unterstützung für die ISAF-Mission zu erhöhen. Sie könnten persönlich und glaubwürdig über das sprechen, was sie während der Taliban-Herrschaft erlitten haben, was sie für ihre Zukunft erhoffen und was sie bei der Rückkehr der Taliban befürchten (CIA-Paper zur Beeinflussung der europäischen Öffentlichkeit).