Update für Kubas Wirtschaft

Regierung und Parlament in Havanna lassen private Kleinbetriebe zu. Staatliches Personal soll abgebaut werden

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Das sozialistisch regierte Kuba wird erstmals seit Jahren wieder in größerem Maße Privatunternehmen zulassen. Das gab Staats- und Regierungschef Raúl Castro am Sonntag im Parlament bekannt. Die Öffnung der Wirtschaft geht mit einem offenbar erheblichen Abbau der staatlichen Stellen zusammen. Angesichts des hohen wirtschaftlichen Drucks müsse man Schluss machen "mit paternalistischen Denkansätzen, die von der Pflicht abhalten, für den Lebensunterhalt zu arbeiten", sagte Castro, der eine "Senkung der Kosten durch Unproduktivität" verlangte. Der 79-jährige Staatschef drängt seit Längerem auf eine effizientere Binnenökonomie.

Bis zum ersten Quartal kommenden Jahres werde die Zahl staatlich Beschäftigter in erheblichem Ausmaß reduziert, verkündete der Staats- und Regierungschef in seiner Rede zum Abschluss der fünften Sitzung der Nationalversammlung am Sonntagabend. Kurz zuvor hatten die 600 Abgeordneten Regierungsplänen zugestimmt, wonach Kleinbetriebe wieder zugelassen werden. Die Gründung zweier neuer Provinzen – Mayabeque und Artemisa – trat bei diesen wirtschaftspolitischen Inhalten fast in den Hintergrund.

Kleinunternehmen werden legalisiert

Die Staatsführung reagiert mit den Plänen auf die anhaltenden Probleme der weitgehend staatlich gelenkten kubanischen Wirtschaft, die durch Weltwirtschaftskrise und Hurrikanschäden noch verschärft wurden. Man müsse "ein für alle Mal mit der Vorstellung aufräumen, dass Kuba das einzige Land auf der Welt ist, in dem man leben kann, ohne zu arbeiten", sagte der Staatschef zur Begründung des anstehenden Stellenabbaus in staatlichen Institutionen und Betrieben.

In Übereinstimmung mit Gewerkschaften und politischen Organisationen habe der Ministerrat Mitte Juli zudem vereinbart, "Arbeit auf eigene Rechnung" – also Kleinunternehmen – zuzulassen. So solle den ehemaligen Staatsbediensteten eine Alternative geboten werden, sagte Raúl Castro, der die Maßnahmen unter anderem mit dem Missverhältnis zwischen der wirtschaftlichen Leistung und den notwendigen Güterimporten begründete. "Niemand wird sich selbst überlassen werden", sagte er zugleich, die Maßnahmen würden in allen Institutionen und Betrieben eingehend diskutiert und von politischen Organisationen und Gewerkschaften begleitet. Mit Blick auf die internationale Berichterstattung lehnte Wirtschaftsminister Marino Murillo den Terminus Reformen ab. Es handele sich um eine "Aktualisierung des Wirtschaftsmodells", sagte der Ressortchef. Einhergehend mit der Legalisierung von Kleinunternehmen wurde im Ministerrat Mitte des Monats auch ein Steuerkonzept für die künftigen Privatbetriebe entwickelt.

Auch Castro ging in seiner Rede auf die zuletzt vermehrten Berichte über Systemreformen in Kuba ein. Das Thema war in den vergangenen Tagen und Wochen auch von der deutschen Presse stärker behandelt worden, weil angesichts des Nationalfeiertages am 26. Juli und der Sitzung der Nationalversammlung die Bekanntgabe wirtschaftspolitischer Maßnahmen zu erwarten waren. "Nie war die Lage so dramatisch wie jetzt", alarmierte etwa Spiegel Online, um geradehin über die schwerste Krise der kubanischen Wirtschaft nach 1990 hinwegzugehen. Damals waren nach der Auflösung des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe quasi über Nacht 85 Prozent des Außenhandelsvolumens weggebrochen.

Presseagenturen und "einige selbsternannte Kuba-Analysten" hätten in den vergangenen Tagen Reformen des kubanischen Wirtschaftssystems und die Durchsetzung kapitalistischer Rezepte vorhergesagt, so Castro. Dabei seien die gleichen Sätze, Einschätzungen und mitunter Absätze verwendet worden. "Mit meiner 55-jährigen Erfahrung im revolutionären Kampf gehe ich davon aus, dass wir nicht allzu falsch liegen", so Castro, um anzufügen: "Einen wirklichen Grund zur Sorge hätten wir, wenn sie uns loben würden."

Neue Zahlen gab es bei der Sitzung der Nationalversammlung zur wirtschaftlichen Lage des Karibikstaates. Nach Auskunft von Osvaldo Martínez, dem Vorsitzenden der parlamentarischen Wirtschaftskommission, lag das Defizit bei 4,9 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP). Damit sei die Verschuldungsgrenze von 5,6 Prozent des BIP um 826 Millionen Peso unterschritten worden. Gut ist die Bilanz dennoch nicht. Vor allem die Landwirtschaft, so der Konsens in Parlament und Regierung, muss die Produktivität steigern. Wie auch andere Länder der Region ist Kuba auf weitreichende Nahrungsmittelimporte angewiesen.

Keine Entspannung mit den USA

Keine Verbesserung sieht Kubas Staats- und Regierungschef in den Beziehungen zu den USA. Zwar habe sich der aggressive Ton Washingtons abgeschwächt "und mitunter finden auch bilaterale Konsultationen über bestimmte und begrenzte Themen statt", sagte Castro: "Doch die US-Blockade bleibt nach wie vor bestehen und wir stehen ihr mit der gleichen Besonnenheit und Geduld wie in den vergangenen fünf Jahrzehnten gegenüber." Die Stärke des politischen Systems in Kuba bestehe weiterhin "in der Einheit der revolutionären Führung mit der Mehrheit des Volkes". Niemand solle sich täuschen: "Die Verteidigung unserer heiligen Errungenschaften, unserer Straßen und Plätze wird die erste Pflicht der Revolutionäre bleiben."

Neben den USA steht derzeit vor allem die Frage nach dem Verhältnis Kubas zur EU auf der Agenda. Die spanische Regierung drängt nach der Freilassung von 53 Systemgegnern auf Kuba vehementer auf eine Abschaffung des so genannten Gemeinsamen Standpunktes der EU zu Kuba, der – ebenso wie die einschlägigen US-Gesetze – einen Systemwandel in Kuba anstrebt. Erstmals äußerte sich nun auch Raúl Castro zu den Oppositionellen. Es werde auch künftig keine Straffreiheit für die "Feinde des Vaterlandes" geben, sagte er. Die so bezeichneten versuchten schließlich, "unsere Unabhängigkeit zu gefährden". Die Regierungsgegner seien schließlich nicht wegen ihrer Ideen verurteilt worden, sondern weil sie mit der US-Regierung zusammengearbeitet und deren "Blockade- und Umsturzpolitik" unterstützt haben.

Nach der Rede und den Ereignissen der vergangenen Wochen werden beide Lager in der EU weiter um eine gemeinsame Linie ringen. EU-Kommissionssprecher Michael Mann bestätigte unlängst: "Die Debatte wird nach dem Sommer auf der Grundlage der bis dahin vorliegenden Ergebnisse fortgesetzt werden."