Mehr Recht auf Vater für die unehelichen Kinder

Das Bundesverfassungsgericht schafft beim Sorgerecht das Müttermonopol ab

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Liest man die gestern veröffentlichte wortreiche Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Sorgerecht des Vaters eines unehelichen Kindes, so gerät man leicht ins Staunen über die vom alltäglichen Gebrauch der Sprache sich abhebende Klasse juristischer Abhandlungen, die sich einem Problem von erstaunlich vielen Seiten in immer wieder neuen Anläufen nähert, so präzise wie möglich, um dann die einzeln herausgearbeitenden Aspekte der Fragestellung mit feingliedrigen Differenzierungen gegeneinander abzuwägen. Umso verblüffter reibt man sich die Augen, wenn mittendrin in den von soviel Vernunft geführten Ausführungen eine Annahme steht, die völlig realitätsfern ist und der Willkür Platz schafft.

Es geht um die bisher gültige Rechtssprechung in Sorgerechtsfällen von unehelichen Kindern. Der Gesetzgeber ging nach den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts bislang von der Annahme aus, dass „die Zustimmungsverweigerung (zur gemeinsamen Sorge mit dem Vater, Einf. d. A.) von Müttern in aller Regel auf einem sich nachteilig auf das Kind auswirkenden elterlichen Konflikt basiert und von Gründen getragen ist, die nicht Eigeninteressen der Mutter verfolgen, sondern der Wahrung des Kindeswohls dienen“.

Das sieht in Wirklichkeit oft anders aus. Dass das Kindeswohl nicht immer an erster Stelle steht, wenn Mütter den Vätern der unehelichen Kindern den Weg zum Kind versperren und alle Entscheidungsmacht über so wichtige Angelegenheiten wie Wohnort, Schulwahl, ärztliche Betreuung etc. einzig für sich reklamieren, um das zu erfahren, genügt ein Blick in Erfahrungsberichte, Foren und manchmal in den Freundeskreis, wo soeben eine Trennung vollzogen wird und das Sorgerecht für die Kinder zwar rechtlich geklärt, aber umstritten ist und das Wohl der Kinder nicht an erster Stelle steht.

Auch das Bundesverfassungsgericht beruft sich bei seiner aktuellen Entscheidung in wichtigen Teilen auf Empirie1:

Das Bundesministerium der Justiz geht in seiner Stellungnahme davon aus, dass nach dem derzeitigen Stand der Untersuchungen der Hauptantrieb der Mütter, einem gemeinsamen Sorgerecht mit dem Vater nicht zuzustimmen, wohl in einer größeren Zahl von Fällen nicht primär in schwerwiegenden Kindeswohlerwägungen liege.

Auszug aus der BverfG-Entscheidung

Erstaunlich, dass es so lange gedauert hat, bis die Wirklichkeit von der deutschen Rechtssprechung wahrgenommen wurde. Mit der Abschaffung der bislang gültigen rechtlichen Übermacht der Mutter (§_1626a BGB (2): Im Übrigen hat die Mutter die elterliche Sorge.) folgt das Bundesverfassungsgericht darüberhinaus der Entscheidung des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vom vergangenen Dezember (siehe Besseres Sorgerecht für ledige Väter). In Straßburg hatte man Diskriminierung der Väter beim Sorgerecht leidiger Kinder ausgemacht und insbesondere auf den Skandal hingewiesen, dass es Väter gar nicht bis einer Verhandlung vor Gericht schafften, weil die vom BGB ausgewiesene Vorzugsstellung der Mutter zu mächtig war.

Zwar drängt das Bundesverfassungsgericht – wie schon zuvor der Europäische Gerichtshof – auf eine Neuregelung des Gesetzgebers, aber das kann dauern. Selbst wenn sich Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger gestern damit beeilte, zu erklären, dass bereits an einer Neuregelung gearbeitet werde, dass schon mehrere Vorschläge dafür auf dem Tisch lägen - so ist letzteres ein Hinweis darauf, wie schwierig die Materie zu gestalten ist - was unter anderem auch an den Besonderheiten der Vaterschaft liegt, welche die bisherige Rechtssprechung mit der mütterlichen Sonderstellung kompensieren wollte:

Aus den Kommentaren der Justizministerin zu dem Urteil höre ich etwas heraus, das mir Sorge macht. Es klingt, als wolle sie das Sorgerecht nach der Anerkennung der Vaterschaft automatisch an beide Elternteile geben. Das darf nicht passieren. Das würde auch Väter treffen und zwingen, die gar kein Interesse haben, oder kurze Bekanntschaften, bei denen das Kind ein Zufallsprodukt oder Ausrutscher war.

Familienrechtsexperte Horst Luthin im SZ-Interview

Zunächst müssen die Familiengerichte die Entscheidung über das Sorgerecht im Streitfall treffen. Sie können wahrscheinlich mit einer Flut an Verfahren rechnen. Laut Bundesverfassungsgerichtsurteil soll das Familiengericht bis zum Inkrafttreten der Neuregelung „den Eltern auf Antrag eines Elternteils die elterliche Sorge oder ein Teil davon gemeinsam übertragen, soweit zu erwarten ist, dass dies dem Kindeswohl entspricht“.