Eine Flut technisch-wissenschaftlicher Spezialliteratur

Interview mit Eckhard Höffner zu seinem Buch "Geschichte und Wesen des Urheberrechts" - Teil 2

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Zu Teil 1 des Interviews: Wem nutzt das Urheberrecht?

Erst 1837, über hundert Jahre nach England, führte Deutschland einen Schutz urheberrechtlicher Leistungen ein. Wieso lohnte sich bis dann trotz Fehlen eines Copyrights der Nachdruck trotzdem nicht? Der Raubkopierer bezahlt doch den Autor nicht und kann deshalb immer anbieten. Und was hat der Autor davon?

Eckhard Höffner: Am einfachsten versteht man den Vorgang in Deutschland, wenn man in Marktlücken denkt und zunächst alle anderen Argumente beiseite lässt. Der Erstverleger bringt ein Buch auf den Markt, weil er sich davon einen Gewinn erhofft. Der Nachdrucker bringt einen Nachdruck auf den Markt, weil er genauso auf einen Gewinn hofft. Das heißt aber zugleich, der Nachdrucker kann mit seiner Auflage auch deshalb Gewinn erzielen, weil seine Einnahmen über den Kosten liegen. Das funktioniert aber nur dann, wenn der Erstverleger eine Marktlücke gelassen hat, es also ein Marktsegment gibt, das mit Gewinn beliefert werden kann. Hat der Erstverleger die Marktlücke nicht offen gelassen, gab es für den Nachdrucker nichts mehr zu verdienen. Das ist in Deutschland der Zeit zwischen1785 passiert. Die Erstverleger brachten die Ausgaben auf den Markt, die sie so oder so angeboten hätten, sowie zusätzlich die, die theoretisch ein Nachdrucker, wie gesagt, mit Gewinn, auf den Markt gebracht hätte. Die Originalverleger hatten eine kurze Frist, innerhalb derer sie die Nachfrage nach einem Buch befriedigen konnten. Wenn sie ihre Arbeit gut machten - den Preis richtig bestimmten, den Vertrieb ordentlich organisierten etc. - war die Gefahr eines Nachdrucks gering. Die Verleger mussten sich bei den Preisen aber an ihren Kosten orientieren, denn sonst kam der Nachdrucker. Das ist das simple Wettbewerbsprinzip, nach dem die Marktwirtschaft eigentlich funktionieren sollte. Was altbekannt ist, soll im Preis-Leistungs-Wettbewerb angeboten werden. Was neu ist, kann der erste Anbieter zuerst für einen hohen Preis verkaufen, weil es noch keinen Wettbewerber gibt.

Jetzt hat der Verleger ja immer noch die Kosten für das Autorenhonorar, die der Nachdrucker nicht hat...

Eckhard Höffner: Lassen wir diesen Aspekt zunächst einmal außen vor und schauen uns an, wie sich das Urheberrecht auf die Buchpreise ausgewirkt hat. Hier gibt es ein simples Muster: Mit Copyright oder Urheberrecht waren die Preise hoch, ohne Urheberrecht niedrig. Das lässt sich jedenfalls bis 1880 durchgängig feststellen. Es gilt eine alte Erfahrung: Der Monopolist erhöht den Preis mit der Folge, dass der Markt unterversorgt wird. Es bleiben Marktlücken offen, die aber von der Konkurrenz nicht geschlossen werden können, weil der Nachdruck nicht erlaubt ist. Man muss sich im Klaren sein, wie hoch die Buchpreise in Großbritannien mit Copyright und in Deutschland mit Urheberrecht waren. Ich spreche immer von einem Wochenlohn. Bis hierhin ist das simple Marktwirtschaft. Bei Milch, Brot, Schuhen, Kleidung, Möbel, Computern etc. führt der Wettbewerb dazu, dass das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmt.

Wenn ein Buch auf eine hohe Nachfrage stieß, musste es billig sein. In diesem Bereich stimmen ja die angeblich unumstößlichen ökonomischen Grundprinzipien überhaupt nicht. Bücher waren nicht teuer, weil sie knapp waren und sie waren nicht billig, weil es sie in großen Mengen gab, sondern es gab sie in großen Mengen, weil sie billig waren. Der Preis bestimmte die Menge und nicht die Menge den Preis.

In Deutschland hat das Preis-Leistungs-Verhältnis bei den Büchern gestimmt, während mit Copyright die Preise durchwegs hoch waren. Da ja auch der Nachdrucker nur dann ein bereits erschienenes Werk gedruckt hat, wenn er auf einen Gewinn hoffte, konnte der im Wettbewerb handelnde Originalverleger das genauso tun.

Was ist nun zunächst einmal die Folge von höheren Preisen? In Großbritannien oder den USA haben sich beispielsweise die Drucker gegen eine Verlängerung oder Ausweitung des Copyrights gewandt, weil sie genau wussten, dass sie dann weniger zu tun haben. Das heißt, indem man den Verlegern die Möglichkeit gab, so hohe Preise zu verlangen, nahm man den Druckern die Arbeit weg und viele potentielle Leser konnten sich keine Bücher kaufen. In Deutschland wurde zwanzigmal mehr gedruckt als in Großbritannien, so dass auch zwanzigmal mehr Drucker Arbeit fanden. Solche Aspekte darf man nicht übersehen.

"In Großbritannien waren Bücher edle Luxusobjekte, die einen Wochenlohn kosteten"

Was bei hohen Preisen passiert, liegt auf der Hand: Wenn Opernkarten beispielsweise 300 Euro aufwärts kosten würden, würden bestimmte Kreise immer noch in die Oper gehen, während der Großteil der Bevölkerung sich das nicht leisten würde. Damit man die Karten für 300 Euro verkaufen kann, muss ein entsprechend luxuriöses Ambiente geboten werden. Mit Büchern verläuft das nicht anders. In Großbritannien waren Bücher edle Luxusobjekte. Wenn Bücher einen Wochenlohn kosten, kauft aber nur eine bestimmte Schicht Bücher: Die Oberschicht und die obere Mittelschicht. Wenn nur die Oberschicht oder die obere Mittelschicht Bücher kaufte, wurden nur für diese Schichten Bücher verlegt: Romane, Allgemeinbildung wie antike Geschichte und Geschichte des eigenen Landes, Reisen, Sprachen und die klassischen Fakultäten: Theologie, Philosophie, Medizin und Recht. Bücher für die Mittelschicht wurden praktisch nicht verlegt, weil die sich die Bücher nicht leisten konnte. In Großbritannien befand der Buchmarkt sich in einer Art Dämmerzustand. Dabei muss man sich vergegenwärtigen, dass in Großbritannien die Bevölkerung sich von 1770 bis 1830 verdoppelte, die Einkommen und die Lesefähigkeit stiegen (1801 kam Irland mit weiteren 5 Millionen Einwohnern hinzu etc.). Die Zahl der neuen Bücher blieb aber auf dem niedrigen Niveau, kaum höher als 1700.

Aber wieso brachten die Verleger keine günstigeren Bücher auf den Markt?

Eckhard Höffner: So genau weiß das auch niemand. Man weiß aber, dass die führenden Verleger wie Longman, Dodsley, Murray oder Cadell sehr reich wurden und dass einzelne Autoren, wenn ihr Buch beispielsweise 10.000 Mal verkauft wurde, so viel verdienen konnten wie Professoren in zehn Jahren und mehr. Außerdem erhöhten sich auch in Deutschland die Preise alsbald nach Einführung des Urheberrechts auf das Zehnfache. Wenn die Verleger also den Preis hoch halten konnten und mit kleinen Auflagen und dem Absatz im Wesentlichen an die Bibliotheken kalkulierten, war ihr Gewinn offenbar höher. Das lässt sich in Musterrechnungen auch nachvollziehen.

Das niedrigere Preisniveau in Deutschland deckte den Bedarf weniger zahlungskräfiger Schichten

Ohne den gesicherten Nachdruckschutz in Deutschland war das anders. Weil die Bücher von Haus aus billiger sein mussten, konnten sich mehr Leute Bücher leisten. Dabei kommt in der Marktwirtschaft das eine zum anderen: Der eine Verleger bringt ein Buch z. B. zum Thema Deichbaukunde, Mechanik oder Ziegeleien auf den Markt, das sich gut verkauft. Auf der nächsten Messe gab es das nächste Buch zu dem gleichen Thema usw. Zum einen bildete sich so die Spezialisierung in der wissenschaftlichen Literatur, zum anderen wurden diese Bücher auch für die interessierten Nichtwissenschaftler herausgegeben. "Praktische Anleitung für ...", wie die Titel damals oft hießen. Das heißt, durch das allgemein niedrigere Preisniveau wurde der besondere Bedarf der weniger zahlungskräftigen Schichten entdeckt und es wurden Bücher für diese Schichten veröffentlicht. Marktlücken wurden entdeckt und sie wurden geschlossen, wenn dies mit Gewinn möglich war. So konnten die neusten Forschungen veröffentlicht und diskutiert werden. Andere fassten die Ergebnisse wieder zusammen, und machten daraus Sammelbände, Kompendien etc., die dann billig weiterverbreitet wurden.

Dabei muss man sich vor Augen halten, dass in Deutschland 1826 zehnmal mehr neue Bücher erschienen als in Großbritannien, die sich natürlich nicht zehnmal so oft mit genau dem gleichen Gegenstand beschäftigten, sondern spezieller oder neuer waren.

108.000 "Praktische Ratgeber..." zu Mechanik, Chemie, Ingenieurwesen etc.

Die Bibliotheca Londinensis, die eine weitgehend vollständige Zusammenfassung der Veröffentlichungen in Großbritannien ist, listet in den Bereichen Chemie, Ingenieurwesen, Mechanik und Vermessung für 32 Jahre (1814 bis 1846) insgesamt ca. 520 Titel auf. Dabei mussten regelmäßig die Standardwerke aktualisiert werden, so dass es kaum Spezialliteratur gab. Dieser Mangel zog sich in Großbritannien Jahr über Jahr hin, während in Deutschland das Ingenieurwesen entwickelt wurde und in den Betrieben eigene Forschungseinrichtungen eingerichtet wurden.

Wenn man bei Google-Books nach dem damals üblichen Titel für die Ratgeber "Praktische Anleitung ..." unter den Büchern des 19. Jahrhunderts sucht, werden ungefähr 108.000 Ergebnisse zu allen möglichen Themen gefunden. Vieles beschäftigte sich noch mit Landwirtschaft, aber es ist unmöglich, hier diese Flut darzustellen.

Zu den Autorenhonoraren. Sie sagen ja, dass das Urheberrecht den Autoren geschadet hat.

Eckhard Höffner: Die Höhe des Autorenhonorars hängt davon ab, wie viel ein Verleger verdient und wie der Gewinn zwischen Verleger und Autor aufgeteilt wird. Der zweite Punkt ist wichtig und er wird in der gesamten ökonomischen Literatur zu dem Thema geistiges Eigentum oder Urheberrecht überhaupt nicht beachtet, sieht man von den Ausnahmen Plant und Prosi ab. Nur weil der Verleger viel verdient, heißt das noch nicht, dass auch seine Autoren viel verdienen. Wenn McDonalds seinen Gewinn verdoppelt, heißt das noch lange nicht, dass der durchschnittliche Hamburgerbräter in der Küche mehr verdient. Das ist in der Verlagsbranche auch nicht anders.

Jetzt muss man sich das Ergebnis von oben vor Augen halten: Mit Copyright ist der Bedarf der Verleger an neuen Schriften niedrig. Sie bringen wenig neue Werke zu hohen Preisen auf den Markt, brauchen also wenige Autoren. Wissenschaftliche Autoren zu den modernen Gewerben wurden überhaupt nicht gebraucht, weil die Bücher nicht erschienen. Dass das Copyright diesen Autoren nichts genutzt hat, liegt auf der Hand.

"Der Durchschnittsautor ist für einen Verleger austauschbar und deshalb billig"

Die durchschnittliche Auflage eines Buchs war in Großbritannien 500 bis 750 Exemplare, die aber erst im Laufe von Jahren verkauft wurde (in Deutschland mit Urheberrecht ähnlich). Durch die kleinen Auflagen waren die Gewinne bei diesen Werken begrenzt. War die Auflage hingegen hoch, stiegen die Gewinne überproportional. Jetzt kommen die typischen Autoren-Verleger-Probleme hinzu: Der Durchschnittsautor ist für einen Verleger austauschbar und bettelt eher darum, dass das Buch überhaupt veröffentlicht wird. Er verkauft sein Recht meistens billig, weil er keine Verhandlungsmacht hat. Die Ausnahmeautoren - viele davon sind noch heute bekannt - verdienten in Großbritannien gut, der Rest praktisch nichts. Sie waren ja angesichts der üblichen Auflage von 500 bis 1000 Exemplare offensichtlich erfolglos.

In Deutschland hatten wir einen Wettbewerbsmarkt: Die Verleger verdienten je Buch viel weniger, brachten aber zehn Mal mehr Bücher auf den Markt. Sie kalkulierten nicht mit Margen von 50 %, sondern eher mit 5 %. Man kann sich heute beispielsweise die Margen von Microsoft (regelmäßig über 20 %) und Aldi (irgendwo im Bereich 0,5 bis 3 %) anschauen.

Das Problem der deutschen Verleger war folgendes: Bestseller mussten sie schnell auch billig auf den Markt bringen (andernfalls kommt der böse Nachdrucker) und sie waren über lange Zeit günstig erhältlich. Bei den anderen Büchern mussten sie ebenfalls schauen, dass sie die Nachfrage möglichst schnell befriedigten. Aber bei einem halbwegs angemessenen Preis konnten sie ein Buch ohne Gefahr des Nachdrucks auf den Markt bringen. Vor allem bei der Spezialliteratur mit einem überschaubaren Kundenkreis war die Gefahr des Nachdrucks gering. Umgekehrt bedeuteten die geringeren Margen der Verleger auch, dass sie ständig neue Bücher brauchten. Langfristige Monopolrenten mit den Bestsellern waren durch den Wettbewerb nicht möglich. Das führte auch dazu, dass sie ständig auf der Suche nach Marktlücken waren, immer mehr in die Breite mit dem Angebot gingen, mehr Spezialliteratur veröffentlichten und an immer ärmere Schichten Bücher verkauften. Der Kunde war Herr des Geschehens und an seinen Interessen orientierte sich der Buchmarkt. Um 1830 hieß es dann, dass in einer kleinen Stadt kein Haus, in dem ein Schornstein raucht, mit Buchlieferungen verschont bleiben dürfe. Es wurde das gesamte wirtschaftliche Potenzial, das in einem Buch lag, ausgeschöpft.

"Die Autoren verfassten Bücher, weil sie dafür bezahlt wurden"

Da die Verleger viel stärker von den Autoren abhängig waren, weil sie ja ständig Nachschub brauchten, konnten das die Autoren ausnutzen. Die Autoren haben vor allem in der Nachdruckzeit einen harten Kampf mit den Verlegern um die Höhe der Honorare geführt. Diese stiegen binnen kurzer Zeit - wie gesagt während der Hochphase des Nachdrucks - um ca. das Fünffache. Da allerdings mit Bestsellern keine exorbitanten Gewinne möglich waren, verdienten die Bestsellerautoren weniger als in Großbritannien, der durchschnittliche Autor hingegen viel mehr. Aber was mit viel Arbeit geschaffen wurde und nur in kleinen Mengen abgesetzt werden konnte, musste zwangsläufig teurer sein, wenn die Arbeit entgolten werden sollte. Damals wurden diese höheren Gewinne je Exemplar aber eher an die Autoren weitergegeben.

Ein bedeutender Unterschied zwischen Deutschland um 1800 und heute liegt in der Motivation der Autoren. In der von mir untersuchten Zeit war Deutschland überschwemmt mit geldsüchtigen Autoren, wie es Heinzmann 1795 ausdrückte. Die Autoren verfassten Bücher, weil sie dafür bezahlt wurden. Wenn heute die Autoren mit dem gleichen finanziellen Selbstverständnis vorgingen, würden wahrscheinlich von 1000 wissenschaftlichen Beiträgen 995 nicht geschrieben werden. Heute erhält man bei Sammelbandbeiträgen oft nur ein einziges Freiexemplar des Buchs und eine Handvoll Kopien des Beitrags, die man an jedem Fotokopierer für einige Euro selbst anfertigen kann. Bei naturwissenschaftlichen Monographien gibt es oft 50 Freiexemplare, während es im Dreißigjährigen Krieg immerhin 100 gab. Bei den Volkswirten hängt die wissenschaftliche Karriere von den Veröffentlichungen ab, so dass sie für die Veröffentlichung bezahlen müssen. Diese Autoren werden also noch schlechter bezahlt als die Autoren im Dreißigjährigen Krieg.

Oft genug liest man im Vorwort auch Dankesworte für die Übernahme des Druckkostenzuschusses durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft, die Volkswagenstiftung oder andere Organisationen, die ein Interesse an der Veröffentlichung oder Förderung bestimmter Literatur haben.

Im Nachdruckzeitalter konnten die Autoren in der Regel ein viel höheres Honorar durchsetzen als nach Einführung des Urheberrechts. Ein Beispiel: Der heute unbekannte Sigismund Hermbstädt erhielt für sein Buch "Grundsätze der Ledergerberei, oder Anleitung zur Kenntniß der Lohgerberei, der Corduan- u. Saffiangerberei, der Justengerberei, der Weiß- und Sämischgerberei und der Pergamentfabrikation" von 1806 480 Taler, was in etwa dem dreifachen Jahreseinkommen eines Gesellen in Deutschland entsprach. Im Vergleich dazu fiel das Honorar für Mary Shelleys zig-mal verfilmten "Frankenstein" mit 100 Pfund, was in etwa 170 % des Jahreseinkommens eines Gesellen in England entsprach, bescheiden aus. Für das Werk "Grundsätze der theoretischen und experimentellen Kameral-Chemie, zum Gebrauch für akademische Vorlesungen", erhielt der Autor soviel wie Jane Austen für die weltberühmten Romane "Mansfield Park" oder "Sense and Sensibility". Und Hermbstädt erhielt das damals durchschnittliche Honorar!

Wenn ich Ihre These richtig verstehe, hat das Urheberrecht dazu geführt, dass die Anzahl der neuen Bücher in Großbritannien so niedrig war, während es in Deutschland ohne Urheberrecht sehr viele Bücher gab. Wieso gibt es dann heute so viele Bücher?

Eckhard Höffner: Ich behaupte nicht, dass ökonomische Mechanismen wie allgemeingültige Naturgesetze wirken. Einiges hängt sicherlich mit der Konzentration der Anbieter zusammen, die über ihre Marktmacht den Preis vorgeben und an dem die kleinen Anbieter sich orientieren. Wenn es viele kleinere Anbieter gibt, etwa in der Belletristik, sind die Preise niedriger. Beherrschen einige Unternehmen den Großteil des Markts wie in der Musik, sind die Preise in der Regel bei nachgefragten Titeln deutlich höher.

Man muss insoweit auch genauer unterscheiden. Wissenschaftliche Bücher werden heute noch so vermarktet wie Romane in Großbritannien in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts oder in Deutschland nach Einführung des Urheberrechts bis ungefähr 1880. Sie werden zu hohen Preisen in erster Linie an Bibliotheken verkauft, die die gemeinschaftliche Anschaffung finanzieren. Im 19. Jahrhundert waren dies Leihbibliotheken, die die Bücher für Geld verliehen, während heute die Bibliotheken der Bildungs- und Forschungsinstitutionen, zumeist mit öffentlichen Mitteln ausgestattet, die Bücher kaufen.

Finanziell bringt das Urheberrecht diesen Autoren überhaupt nichts. Sie haben vielmehr den Nachteil, dass durch die hohen Preise ihre Schriften nicht in dem Ausmaß gelesen werden, wie dies ohne Urheberrecht der Fall wäre. Auch hier gibt es Ausnahmen wie etwa die Reihe Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft.

"Ist das Urheberrecht nicht eher ein Verlegerrecht?

In der Regel verdienen heutzutage Autoren weder bei hohen noch bei niedrigen Buchpreisen irgendein nennenswertes Honorar. Die Wissenschaftler sollten sich einmal die Zahlungen um 1810 anschauen. Da bekam in Deutschland ein Wissenschaftler oft ein Viertel oder die Hälfte eines Jahresgehalts für eine Monographie mit vielleicht 300 Seiten. Welchen Sinn hat angesichts dieser Situation das Urheberrecht, und ist es nicht eher ein Verlegerrecht? Die Rechtspraxis hat insoweit inzwischen kapituliert und sich auf die moralische Position zurückgezogen, es sei ungerecht, wenn der Autor bei einem unerwarteten Erfolg nicht angemessen an den Erträgen des Verlegers beteiligt wird.

Zurück zu der Frage, wieso es heute so viele Bücher gibt. Wenn die Autoren ihre Leistung zum Großteil praktisch umsonst zur Verfügung stellen, ist das wohl nicht anderes wie bei anderen Modeartikeln, etwa Kleidung, oder beispielsweise bei Restaurants. Kostet einmal Essengehen im Restaurant pro Kopf 100 Euro, gäbe es wenig Restaurants. Kostet das Essengehen 10 Euro, gibt es ein breiteres Angebot an Restaurants. Wenn es eine bestehende Nachfrage gibt, die sich mit Gewinn befriedigen lässt, wird es ein entsprechendes Angebot geben.

Wobei in beiden Fällen, also bei niedrigen wie hohen Preisen, die durchschnittlichen Autoren heute deutlich weniger verdienen als in der urheberrechtsfreien Zeit. Man fragt sich, welchen Zweck das Urheberrecht haben soll - oder ob nicht eine andere Gestaltung, wie die von mir vorgeschlagene, besser ist. Ich habe bislang jedenfalls noch keinen getroffen, der meinen Vorschlag schlechter findet als das geltende Recht.

"Weit über dem Wettbewerbsniveau liegende Preise sind nur mit Urheberrecht möglich"

Interessanter ist vielmehr die Frage, wieso in manchen Bereichen wie der Belletristik die Preise vergleichsweise niedrig sind, während sie in anderen Bereichen hoch sind. Dies ist nicht zwingend mit dem Urheberrecht verknüpft. Genauer gesagt: das Urheberrecht ermöglicht weit über dem Wettbewerbsniveau liegende Preise, die ohne Urheberrecht nicht möglich wären. Aber es verhindert nicht niedrigere Preise. Niedrige Preise kann es mit und ohne Urheberrecht geben, während weit über Wettbewerbsniveau liegende Preise nur mit Urheberrecht möglich sind. In der von mir untersuchten Zeit waren die Preise mit Urheberrecht exorbitant hoch - in Großbritannien über mehrere Jahrhunderte hinweg. Hierauf bezieht sich auch meine Ausarbeitung.

Sie sind also gegen das Urheberrecht?

Eckhard Höffner: Nicht an sich, jedoch ist die aktuelle Gestaltung unzureichend und für den Großteil der Urheber genauso nachteilig wie für die Konsumenten.

Zunächst einmal müsste man in Deutschland die unglückliche Verknüpfung von Persönlichkeitsrecht mit den wirtschaftlichen Rechten aufheben. Beide Rechte verfolgen unterschiedliche Ziele. Um zu einer angemessenen rechtlichen Gestaltung zu kommen, muss bei der Bestimmung den jeweiligen Zielen Rechnung getragen werden. Die wirtschaftliche Untersuchung hat ja gezeigt, dass eine Verlängerung der Schutzdauer des Urheberrechts sich nachteilig auf das Autorenhonorar auswirkte. Insoweit kann eine Verkürzung auf maximal 10 Jahre nach der Erstveröffentlichung den aktuell tätigen Autoren helfen. Zusätzlich muss auf der Ebene der Rechteverwerter wieder der Wettbewerb mit dem gleichen Titel möglich sein.

"Eine Nachfrage kann man aber nicht aus dem Boden stampfen"

Umgekehrt ist nichts gegen wissenschaftliche Lauterkeit einzuwenden und einen längerfristigen Persönlichkeitsschutz. Wer beispielsweise nicht will, dass seine Musik in der Werbung für bestimmte Produkte verwendet wird, dem muss man nicht zwingend die Möglichkeit nehmen, dies zu unterbinden. Aber wenn das wirtschaftliche Verwertungsrecht abgelaufen ist und das Werk in der vom Urheber autorisierten Fassung genutzt wird, soll der Rechtsinhaber - das sind ja fast immer nur Verleger, nicht die Urheber - daran nichts mehr verdienen. Auch wenn das auf den ersten Blick widersinnig erscheint - im Ergebnis profitieren davon die Autoren und Konsumenten.

Mir geht es ja nicht darum, das Honorar der Autoren zu schmälern. Insofern haben auch Modelle wie Open Access aus meiner Sicht Nachteile, weil dann der Autor finanziell gar nichts bekommt. Wer auf das Honorar verzichten will, kann das gerne tun.

Wir versuchen zurzeit im Verlag Europäische Wirtschaft ein Modell zu entwickeln, bei dem den Autoren nicht die Chance genommen wird, mit dem Werk zumindest einen finanziellen Ertrag zu erwirtschaften, umgekehrt aber die Nachteile der typischen Praxis vermieden werden. Insofern versuchen wir uns an der Verlagspraxis zu orientieren, wie sie sich in Deutschland während der Nachdruckzeit entwickelt hat. Dies war die Zeit, in der wissenschaftliche Autoren die höchsten Honorare erzielt haben, die nach meiner Untersuchung je gezahlt wurden. Aber jeder Autor muss sich darüber im Klaren sein: Wenn es keine Nachfrage nach dem Werk gibt, kann man die nicht aus dem Boden stampfen.