Bitte ein 08/15-Sexualleben, der Herr

Obwohl es um die Frage geht, ob Kachelmann seine Freundin vergewaltigt hat oder nicht, nutzen ewig Gestrige den Fall, um ihre eigene Vorstellung eines "ordentlichen Sexuallebens" zu promoten

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Der Fall Kachelmann ist nach dem Fall Jörg Tauss ein weiterer Beweis dafür, wie Staatsanwaltschaften zunehmend sich selbst in den Fokus der Öffentlichkeit rücken und die Verdächtigen bzw. Beschuldigten dazu nutzen, für sich selbst Werbung zu machen. Wie auch bei Jörg Tauss wird damit eine Endlosspirale in Gang gesetzt, die für die Betroffenen nur eine Niederlage bedeuten kann. Indem die Staatsanwaltschaften munter Informationen über das laufende Verfahren an die Presse weitergeben, sind die Betroffenen in einer Wahl zwischen Scylla und Charybdis gefangen: Schweigen sie, so wird dies von der begierig lauschenden Öffentlichkeit als Schuldanerkenntnis gewertet, melden sie sich zu Wort, wird dies spätestens bei der Urteilsverkündigung ggf. gegen sie verwandt.

Ich habe nicht immer monogam gelebt...

Bei Jörg Tauss wurde im Zuge der Diskussion um seinen Besitz von kinderpornographischem Material von eifrigen Medien gleich mitverbreitet, man habe bei ihm homoerotisches Material sowie Sexspielzeug gefunden. Inwiefern dies in irgendeiner Form für den Fall relevant war, blieb zwar im Dunkeln, dürfte aber mit dazu beigetragen haben, das Bild des Jörg Tauss in der Öffentlichkeit weiter zu diffamieren. Hier kamen dann einmal öfter bigotte Denkweisen zum Tragen.

In ähnlicher Form wird dies nun bei Jörg Kachelmann praktiziert, der nach 4 Monaten Untersuchungshaft nunmehr wieder auf freiem Fuß ist. Nachdem seine Beziehungen schon durch alle Medien geisterten, darf der mehr oder minder bereits in der Öffentlichkeit vorverurteilte Herr sich immerhin noch zu seinen Verfehlungen in der Vergangenheit äußern.

Ich habe in meinem Leben ganz sicher nicht alles richtig gemacht. Und ich habe auch nicht in jeder Phase meines Lebens monogam gelebt. Aber deswegen habe ich keine Straftat begangen.

Jörg Kachelmann

Der reuige Sünder darf somit zu Kreuze kriechen und erhält, nicht zuletzt, da sein Bereuen ja wegen des letzten Satzes doch eher unzureichend ist, keine Absolution. Ewig Gestrige wie Alice Schwarzer beispielsweise nutzen die Gunst der Stunde, um ihre eigenen Ansichten mal wieder als das Maß aller Dinge im Bereich Sexualität und Partnerschaft anzusehen und Andersdenkende/-praktizierende zu geißeln. In ihrer üblichen Manier greift sie Kachelmann an und unterstellt ihm mehr oder minder subtil, zu dumm zu sein, um zwischen S/M-Praktiken und Vergewaltigung unterscheiden zu können.

Vielleicht geht Ihnen aufgrund Ihrer Sexualpraktiken aber auch alles durcheinander. Vielleicht wissen Sie gar nicht, dass das kein Spielchen ist, wenn eine Frau im Ernstfall Nein sagt, sondern Ernst. Und übrigens: Auch nette Männer vergewaltigen manchmal, Kollege Kachelmann. Leider.

Alice Schwarzer

So schreibt Frau Schwarzer in Post von Kachelmann und beweist einmal öfter, dass sie mit einvernehmlichem Sex, der nicht ihrer Vorstellung davon entspricht, nichts anfangen kann. Es ist kaum anzunehmen, dass Frau Schwarzer nicht weiß, dass gerade bei S/M-Praktiken die Partner ein sehr hohes Vertrauen zueinander benötigen und dass letztendlich immer Codewörter vereinbart werden, die das Ende des Spiels bedeuten. Anders als in der Vorstellungswelt Frau Schwarzer bedeutet S/M nicht, dass der Mann die Frau vergewaltigt und automatisch alles als Zeichen des Spiels angesehen wird.

Süffisant bringt Frau Schwarzer dabei gleich auch den Seitenhieb an, dass auch nette Männer vergewaltigen – als wolle sie sagen: "Ach, Herr Kachelmann, Sie sind halt ein Perversling und sind wohl zu blöd zu merken, wenn Sie eine Frau verletzen, egal ob Sie nett sind", was sie dann auch noch alles im Zusammenhang mit den Sexualpraktiken des Herrn Kachelmann sieht.

Strafen

Nun könnte man dies alles als typische Reaktion einer bornierten und realitätsfremden, in ihrer eigenen (Sexual)Welt verhafteten Feministin sehen, nur ist es auffällig, wie die Sexualpraktiken sowohl des Herrn Kachelmann als auch des Herrn Tauss in der Öffentlichkeit immer mehr an Wichtigkeit erlangten und insofern das Bild der enthemmten Männer, die ihre Lust nicht zügeln können und durch ihre "Perversionen" dann zu Straftätern werden, weiter verbreitet wird. Frei nach dem Motto: "Ja, hätten sie monogam gelebt und sich dem Blümchensex in heterosexueller Hinsicht hingegeben, dann wäre es nie dazu gekommen", wird jedes Detail, jede Handschelle, jedes homoerotische Magazin in den Blick der Öffentlichkeit gezerrt, als ob dies alles für die richterliche Bewertung der Sachverhalte von Bedeutung wäre.

Diejenigen, die Sexualität wieder in althergebrachte Muster quetschen wollen, nutzen insofern die Gunst der Stunde, die Lasterhaftigkeit zu geißeln und einmal öfter S/M und Vergewaltigung in einen Kontext zu bringen, genauso wie Kinderporno und Homosexuellenerotik. Insofern stellen sie sich in eine Reihe mit denjenigen, die die Toten während der Love Parade nun dazu nutzen, ihre Ansichten von Moral und Kirche sowie dem strafenden Gott unter die Leute zu bringen. Mit Selbstbestimmung haben diese Ansichten nichts mehr zu tun, wenn von enthemmten Menschen, die zu Tode kamen, weil ggf. eine größere, andere Macht einschritt, geredet wird oder von Menschen, die nicht erkennen können, wenn ein Nein ein Nein bedeutet.

Für Alice Schwarzer wie auch alle anderen, die begierig ihre eigenen Ansichten in Punkto Sexualität und Moral mit strafenden Ergüssen publizieren, wäre es an der Zeit, sich einmal von den alten Zöpfen zu trennen oder aber sie zu tragen, ohne andere für ihre Dreadlocks zu diffamieren. Sowohl Frau Schwarzer, Frau Herrmann (mittlerweile Herman), als auch die den strafenden Gott zitierenden Bischöfe zeigen einmal öfter, dass sie von der Selbstbestimmung der Menschen gerade auch in sexueller Hinsicht nichts halten – dass dies gerade in Zeiten, in den auch Keuschheits-Propaganda à la "Twilight" zu neuen Ehren kommt, auf fruchtbaren Boden fällt, ist nicht weiter verwunderlich, jedoch umso bedauerlicher.