"Aussetzen der Zahlungen - Ausstieg aus der Eurozone"

Griechische Akademiker erheben das Wort gegen den Rettungsmechanismus von IWF und EU

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30 griechische Ökonomen und Akademiker haben angesichts der Krise einen Forderungsrahmen aufgestellt, der in der Bevölkerung erheblichen Anklang findet. In einem breit zirkulierenden Aufruf ( deutsch) fordern sie das Aussetzen der Zahlungen an die Gläubiger und den Ausstieg aus dem Euro, weil "die Strategie des IWF zu einem radikalen Konjunkturrückgang und damit zu einer weiteren Schrumpfung der Staatsfinanzen führen wird". Leonidas Vatikiotis, Journalist, Dozent an der Panteion Universität und Mitbegründer der Initiative räumt auf Telepolis Vorurteile aus und prognostiziert eine finstere Zukunft, falls Griechenland weiterhin den Weg des Memorandums geht.

Du bist Gründungsmitglied der Initiative Wirtschaftswissenschaftler und Akademiker gegen die Auflagen des Rettungspakets von IWF und EU in Griechenland. Wie und zu welchem Zweck wurde die Initiative gegründet?

Leonidas Vatikiotis: Die Initiative griechischer Wirtschaftswissenschaftler und Akademiker war eine erste Reaktion gegen die Entscheidung der Regierung die Arbeitnehmer an die Schlachtbank des "Rettungsmechanismus" von EU und IWF zu führen. Wir haben die Initiative ergriffen, um zu zeigen, dass es sich bei dieser Entscheidung nicht um eine alternativlose Sackgasse handelt, sondern um eine politische Entscheidung der regierenden sozialdemokratischen Partei. Die griechische Regierung hätte das Problem der Kreditwürdigkeit auch anders lösen können. Sie hat ihre Möglichkeiten aber nicht ausgeschöpft, sondern sich hinter den Auflagen der Kreditvergabe von IWF und EU versteckt, um den Arbeitnehmern die Rechte und Errungenschaften eines ganzen Jahrhunderts zu entwenden.

In Deutschland herrscht die Einschätzung vor, dass die griechische Krise einem überdimensionierten Staat zu verdanken ist. Was sagt Eure Initiative dazu?

Leonidas Vatikiotis: Es wäre schön, wenn es so wäre. Griechenland ist eines der neoliberalsten Länder Europas. Man muss sich nur den Rekord der Ausgaben für private Gesundheitsversorgung anschauen. Oder die – für jeden Westeuropäer völlig undenkbare – Notwendigkeit, dass alle Schüler private Nachmittagsschulen besuchen müssen. Das passiert, weil die staatlichen Dienstleistungen völlig virtuell sind.

Im Gegensatz allerdings zum Mangel an Sozialleistungen ist der griechische Staat hinsichtlich der Militärausgaben tatsächlich verschwenderisch. Während Deutschland, Italien und Spanien in 2009 gerade mal 1,3 % ihres Bruttosozialproduktes für Rüstung ausgegeben haben, investierte die "Supermacht" Griechenland 3,1% in Waffen.

Steuerparadies der Eurozone

Aber warum wurde ausgerechnet Griechenland so hart von der Krise getroffen? Immerhin ist es das einzige EU-Land, das ein EU-Rettungspaket anfordern musste.

Leonidas Vatikiotis: Griechenland ist wirklich der bisher einzige Staat der Eurozone, der - wie die Financial Times es ausdrückt – die "Chemotherapie" des Rettungsmechanismus beansprucht hat. Griechenlands Probleme aber sind nicht so besonders griechisch.

Strukturelle und chronische Schwächen haben sich vor allem aus zwei Gründen zugespitzt. Erstens: die immensen Summen, die für die Bankenrettung ausgeben wurden. In den letzten zwei Jahren haben griechische Banken 78 Milliarden Euro in Form von Garantien oder direkten Kapitalhilfen vom Staat erhalten. Diese Summe entspricht einem Drittel des griechischen BIP und zwei Drittel des Geldes des Hilfspakets von IWF und EU! Sind deswegen die Renten und die Abfindungen bei Kündigung um 50% gekürzt worden? Um die Zombie-Banken zu finanzieren?

Der zweite Grund für die katastrophale Lage des Landes ist das steuerliche Asyl, das der Unternehmenssektor in Griechenland genießt. Griechenland ist das größte Steuerparadies der Eurozone mit einer Unternehmenssteuer von 20%. Die Arbeitnehmer hingegen bezahlen 23% Mehrwertsteuer, ohne dass damit die durch die Steuerentlastung der Unternehmen entstandenen Löcher gestopft werden können. Gleichzeitig sind die Banken, aber insbesondere die Kirche sowie die weltweit bedeutende griechische Schiffsindustrie von Steuern befreit. Wie soll sich der Staat da nicht überschulden?

Die Initiative vertritt zwei relativ radikale Forderungen: Aussetzung der Zahlungen der Staatsschuld und Ausstieg aus dem Euro. Inwiefern sind das Lösungen aus der Krise?

Leonidas Vatikiotis: Die Aussetzung der Zahlungen an die Gläubiger, der Austritt aus dem Euro und die Rücknahme des Memorandums, das vorsieht, dass die Staatsschuld von 115% des BIP in zwei Jahren auf 149% steigt (von wegen Rettung oder Hilfe…), sind lebenswichtig für die Bevölkerung. Die Einstellung der Zahlungen ist in dem Sinne notwendig, als dass für die Abbezahlung der Staatsschuld ein Mehrfaches an Geldmitteln ausgegeben wird als für Löhne und Renten. Ein Großteil geht außerdem für Schmiergelder und Korruption drauf. Warum sollten wir zahlen? Vor allem, wenn eine Reihe von Ländern in der neueren Geschichte (85 Regierungen im Zeitraum zwischen 1975-2009) diesen Weg gewählt haben und sich geweigert haben, ihre Staatsschuld zu zahlen – also wenn es sich um eine gängige Lösungsalternative im Falle von Staatsüberschuldung handelt?

Was den Euro betrifft, ist es richtig, dass der Eintritt Griechenlands in die EU die strukturellen Schwächen des Landes enorm zugespitzt hat. Von 1981-1991 sind im Laufe der Umstrukturierung 100.000 Arbeitsplätze verloren gegangen. Das Geld, das Griechenland an EU-Konjunkturpaketen in der Zeit erhalten hat, kann in keiner Weise den Schaden aufwiegen, der durch den EU-Beitritt für die Handelsbilanz und die einheimische Inlands-Produktion entstanden ist. Der Verkauf der staatlichen Telekommunikationsgesellschaft an die Deutsche Telekom und der griechischen Banken an Societe Generale oder an Credit ?gricole, der privatisierte Athener Flughafen El. Venizelos - der Hochtief gehört -, die Zerstörung des griechischen Handelsektors durch Ketten wie Media Markt, Carrefour oder Lidl sind der eigentliche Grund für das öffentliche Defizit.

Das Festhalten am Euro ist die Katastrophe

Deutsche Ökonomen glauben, dass der Ausstieg aus dem Euro zu einer Verdreifachung der Schuld sowie zur wirtschaftlichen Isolierung Griechenlands führen wird. Ist das nicht tatsächlich ein gefährliches Unterfangen?

Leonidas Vatikiotis: Sicherlich handelt es sich nicht um ein gewöhnliches Vorhaben. Das, was sich aber bisher als katastrophal gezeigt hat, ist das Festhalten an dem Euro, d.h. die Teilnahme an einer Währungsunion - in der die Waffe der Entwertung ausgehebelt ist – zusammen mit ökonomischen Riesen, wie Deutschland, wo die Produktivität der Arbeit unendlich größer ist. Wie Sie wissen, basiert diese Produktivität auf die jahrelange Stagnation der Löhne in Deutschland.

Außerdem formulieren wir unsere Forderungen nicht im luftleeren Raum. Wir sehnen uns auch nicht nach der Rückkehr zur Drachme, wo Armut ebenfalls auf der Tagesordnung stand. Unsere Forderungen sind Eckpunkte einer anderen Wirtschaftspolitik, die folgendes einbeziehen muss: radikale Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums, Verstaatlichung des Bankensystems – sowie aller Wirtschaftsbereiche von strategischer Bedeutung. Wir brauchen Hürden für internationale Kapitaltransaktionen, Kontrolle über die Preise existenzieller Güter, um Inflation zu verhindern, und eine Politik, die auf die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zielt, indem Industrien gestärkt werden, die reale soziale Bedürfnisse decken. So ein Programm kann in Nachbarländern Nachahmer und Unterstützer finden und eine internationale Kooperation zwischen gleichberechtigten Partnern ermöglichen. Das ist die einzige realistische Alternative für einen langfristigen Umgang mit der Staatsschuld.

Inwiefern finden Eure Forderungen Anklang in der Bevölkerung?

Leonidas Vatikiotis: Seit unserer Gründung referieren wir in einer Vielzahl von Veranstaltungen in jeder Ecke des Landes und unterstützen lokale Initiativen, wo sich die Menschen gegen das Memorandum von IWF und EU organisieren. Der Anklang bei der Bevölkerung ist immens – das haben wir in solchem Maß nicht erwartet. Das ist ein Zeichen, dass Menschen bereit sind radikale Lösungen zu unterstützen.

Der Europäische Gewerkschaftsbund hat für den 29.09 einen europaweiten Aktionstag ausgerufen. Was ist Deine Einschätzung hinsichtlich der Reaktionen der griechischen Bevölkerung im Herbst?

Leonidas Vatikiotis: Der erste Protesttermin ist in Thessaloniki am 11.09, anlässlich der Rede des Premierministers auf der Internationalen Ausstellung "Helexpo". Die darauf folgende Auseinandersetzung betrifft die Verhinderung eines skandalösen Privatisierungsprogramms der staatlichen Elektrizitätswerke. Dabei soll die öffentliche Hand, also die Steuerzahler, private Investoren bezuschussen, um die Liberalisierung des Elektrizitätsmarktes zu ermöglichen.

Insgesamt wird das extrem rückschrittliche Armutsprogramm von IWF und EU rückgängig gemacht werden müssen und mit ihm die Papandreou-Regierung oder jede andere Regierung, die als Handlanger einer deutschen Dramaturgie ihre Seele an die Banken verkauft.