"Im Internet kann die Utopie der Demokratie Wirklichkeit werden!"

Filmemacher Jean Mach über seinen Cyberthriller "8th Wonderland", soziale Netzwerke, Gewalt und virtuelle Politik

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"8th Wonderland" von den französischen Filmemachern Jean Mach und Nicholas Alberny erzählt mit viel Ironie und Dynamik die Geschichte eines virtuellen Staates, die der globalen Ausbeutung politische Handlungen und Protest entgegensetzen wollen. Ihre Aktionen radikalisieren sich und wenden sich gegen sie selbst. Der Film ist ein unterhaltsamer Politthriller und zugleich eine anregende Reflexion zeitgenössischer politischer Fragen. Telepolis sprach mit Jean Mach.

Alle Bilder: Neue Visionen/Mad Films

Genug davon, dass wir dem Fernsehen und seinen "Informationen" ausgesetzt sind, ohne reagieren zu können

Ihr Film entfaltet ein paar großartige Vorstellungen über virtuelle Demokratie. Wie kamen Sie darauf? Wie hat sich das Projekt entwickelt?

Jean Mach: Das Projekt entstand aus einem gemeinsamen Antrieb, einen Spielfilm zu machen. Indem wir zusammen diskutierten, haben wir gemerkt, dass uns im Kino die selben Dinge interessieren und wir die gleichen Referenzen haben. Die Filme, die uns gefallen, sind solche, die die Form Unterhaltung mit tieferem Nachdenken mischen. Filme, wie sie besonders in den 1970er Jahren entstanden. Das Projekt wurde aber auch aus einem Widerspruch heraus geboren.

Wir hatten genug davon, es hinnehmen zu müssen, dass wir dem Fernsehen und seinen "Informationen" ausgesetzt sind, ohne reagieren zu können. Die einzig mögliche Reaktion ist, den Kanal zu wechseln. Man kann sich gut vorstellen, dass bestimmte Leute aus dieser Passivität gern ausbrechen würden und die Dinge selbst in die Hand nehmen.

Den Unzufriedenen des gegenwärtigen Systems dient das Internet als Werkzeug, um sich zu sammeln. So entstand die Idee, ein Land zu gründen.

Wie funktioniert die Narration, wenn es um virtuelle Welten geht? Was heißt Storytelling in Bezug auf den Cyberspace? Wie verändert das die Arbeit eines Filmemachers?

Jean Mach: Der große Unterschied dabei, ob man eine Geschichte im Cyberspace erzählt, oder in irgendeinem anderen Raum, besteht darin, dass man einen Weg finden muss, das Internet zu illustrieren. Wir mussten einiges erfinden, weil es in filmtauglicher Form nicht existiert. Uns hat geholfen, dass wir einen fantastischen "Visual Effects Supervisor" hatten, Pierre Lergenmüller. Er machte diverse Vorschläge und unter diesen war eine Form moderner Video-Konferenz. Wir haben das gleich angenommen. Es zu filmen, war dann nicht schwierig - wir hatten eine verbesserte MSN-Software und brauchten nur eine fixierte Film-Kamera. Schwierig war der Schneideprozess. Wir benutzten virtuelle Kameras und stellten ein völlig unkonventionelles Storyboard her.

Es gibt gewisse ästhetische Klischees in Bezug auf virtuelle Welten. Was denken Sie darüber, wie haben Sie sie vermieden?

Jean Mach: Von Anfang an wollten wir diese Klischees von Computern im Film vermeiden, in denen Leute vor dem Bildschirm hocken und in ihren Computer hacken. Nicht nur, dass das extrem langweilig aussieht, es erzeugt auch eine Isolation, die völlig dem widerspricht, was wir zeigen wollten: Gemeinschaftsgeist. Wir wollten, dass es zwischen den Personen Interaktion gibt, dass sie kommunizieren, diskutieren, kurz: Dass sie zusammen leben.

Das Internet ist vielleicht der letzte Raum der Meinungsfreiheit

Ist "8th wonderland" ein social network, eine radikale Version von facebook, oder etwas völlig anders?

Jean Mach: "8th Wonderland" ähnelt Facebook recht stark. Zum Beispiel haben sich in Frankreich bereits Partys mithilfe dieser Internet-Site organisiert. Plötzlich bekommt man pro Woche tausend Freiwillige. Aber was passiert, wenn es nicht um Partys geht, sondern um Politik? Auch da würde man Freiwillige finden. Nicht gleich tausende, aber genug. Und da sind wir mitten in "8th Wonderland".

Was denken Sie eigentlich über die "Unabhängigkeitserklärung des Cyberspace" von John Perry Barlow?

Jean Mach: In unseren Zeiten ist das Internet vielleicht der letzte Raum der Meinungsfreiheit. Es ist darum für bestimmte Menschen, wie John Perry Barlow, wünschenwert, dafür zu kämpfen, dass diese Freiheit bewahrt bleibt. Das Fernsehen wandelt jede Nachricht in ein "Format" um. Dass es im Internet solche Reglementierungen nicht gibt, beunruhigt die Regierungen. Im Internet entgleitet ihnen ihre Macht.

Kommen wir auf das Thema Demokratie. können Sie definieren, was Demokratie aus Ihrer Sicht heißt?

Jean Mach: Demokratie heißt, dass jeder die gleichen Rechte hat. Jeder sollte gleich behandelt werden, unabhängig von seiner politischen Ansicht, Position und seinem Bankkonto. Klar ist das eine Utopie. Aber im Internet kann diese Utopie real werden. Menschen, die Cyberforen gewohnt sind, wissen, dass die Diskussionen dort unabhängig von dieser Art Informationen - Ansichten, Positionen, Bankkonto- sind. Man definiert soziale Werte neu, sobald man sich von den üblichen Unterdrückungsmitteln befreit hat.

Die Massenmedien machen Sie in ihrem Film ziemlich lächerlich. Was ist heute die Rolle von Massenmedien in der modernen Demokratie?

Jean Mach: Den Massenmedien fehlt ganz erkennbar die Unabhängigkeit. Ihre Präsentatoren und Journalisten entwickeln sich zu Stars, das hat seine Konsequenzen. Information gerinnt zur Show. Geld ist alles, was zählt. Und das Geld ist häufig das, was bestimmt, was im Fernsehen zu sehen ist. Wie könnte man sich vorstellen, dass die Medien die Macht herausfordern?

Außerdem ist Information kurzatmig, nichts ist von Dauer oder nachhaltig. Es zählt nur die Aktualität, bis zur Überdosis. Und dann gar nichts mehr. Information funktioniert nach den Gesetzen der Mode. Es gibt keinen anderen Maßstab mehr, um grundsätzlichere Analysen zu erlauben. Glücklicherweise erlaubt das Internet den Kontakt mit der Aktualität - aber in einer dauerhafteren und weniger formatierten Weise.

Sie scheinen sehr für das Prinzip "one man, one vote" einzutreten. Aber die "power to the people" birgt in sich ja nicht nur Befreiung, sondern auch die Gefahr einer Diktatur der Mehrheit...

Jean Mach: "Diktatur der Mehrheit" oder "Demokratie" - ist das nicht das Gleiche? Faschismus ist Diktatur der Minderheit, oder? Welche Vokabel sie benutzen, zeigt wieviel Vertrauen sie in Demokratie haben. Ist das Glas halbvoll oder halbleer? Wenn Sie Optimist sind, ist es halbvoll.

Das Scheitern der repräsentativen Demokratie

Immerhin beschließt die Mehrheit in Ihrem Film die Todesstrafe...

Jean Mach: Zuerst einmal stimmen die Bürger von "8th Wonderland" ab. Die Mehrheit ist gegen die Todessstrafe. Dann, als neue Bürger hinzukommen, ändern sich die Mehrheitsverhältnisse zugunsten der Todesstrafe. Das haben wir absichtlich im Film gelassen, um die Grenzen der direkten Demokratie zu zeigen. Die gutgemeinten Absichten der Anfangsphase wurden durch die parasitäre Masse verfälscht - ohne Rücksicht, denn nur die Mehrheit zählt in diesem System. Die Bürger des 8th Wonderland haben die Macht, die Dinge zu ändern. Diese Macht verändert ihre Mentalität. In diesem Moment der Geschichte wählen sie den schnellen Weg.

Ist die repräsentative Demokratie denn gescheitert?

Jean Mach: Nein, im Film nicht. Das Scheitern von "8th Wonderland" am Ende des Films ist nicht das Scheitern der repräsentativen Demokratie. Man kann sich sehr wohl vorstellen, dass ein "9th Wonderland" in der Lage ist, zu entstehen und stärker und klüger zu sein - insbesondere im Hinblick auf die organisatorischen und theoretischen Fragen der Demokratie. Der einzige Fehler des virtuellen Staates ist seine Eitelkeit an einem bestimmten Punkt des Geschehens: Die Illusion, dass er nun in der Lage wäre, jedes denkbare Problem zu lösen - und zwar mit kurzfristigen Mitteln. Es ist unverzeihlich, wenn man an die Verantwortung denkt, die dieser virtuelle Staat mit Hilfe der Medien bekommt.

Glauben Sie noch an die Möglichkeit politischen Handelns?

Jean Mach: Wir sind keine politischen Aktivisten, obwohl bestimmte unserer politischen Ansichten denen im Film entsprechen und dort sichtbar sind. Ich glaube nicht, dass ein Film die Welt verändern kann, aber er kann diejenigen motivieren, die dafür besser qualifiziert sind als wir.

Es gibt den Widerspruch zwischen dem Zwang zu handeln und dem Zwang zur Konsensfindung. Glauben sie manche Dinge sind nicht mehr durch Dialog zu lösen?

Jean Mach: Wenn man die Dinge langfristig lösen will - in dem Sinne, dass sie nicht so bald wiederkommen, dann geht es nicht ohne Dialog. Denn wenn man den Fehler macht, sie mit Gewalt zu lösen, erzeugt man nahezu notwendig Frustration, bei all denen, die sich betrogen fühlen. Und sie werden einen bezahlen lassen, sobald sich die Gelegenheit ergibt.

Wo beginnt die Gewalt? Und wann ist sie gerechtfertigt?

Jean Mach: Gewalt beginnt, wo die Hoffnung verschwindet. Sobald man sagt, allein mit Gewalt könne man Probleme lösen. Sie ist immer ein synonym für Hoffnungslosigkeit.

Im Fall von "8th Wonderland" erscheint die Gewalt natürlich, weil es sich um einen rechtlosen Raum handelt, auch wenn die Bürger dieses virtuellen Staates sich eine Charta geben. Der Weg, der zur Gewalt führt, ist leider der einfachere. Aus diesem Grund gibt es so viel Gewalt. Welches Land hat keine düsteren Perioden in seiner Geschichte? Das ist die Frage, die sich die Bürger von "8th Wonderland" am Ende stellen. Sie sind sich bewusst, dass sie die Sache vergeigt haben, aber sie versuchen, ihr Land wiederaufzubauen unter Berücksichtigung ihrer Irrtümer. Was also die Frage der Rechtfertigung angeht: Für uns kann Gewalt durch kein einziges Argument gerechtfertigt werden.

Wir wollten eine optimistische Vision des Internets schaffen

Sehen Sie Ihren Film als Teil der Anti-Globalisierungsbewegung?

Jean Mach: Wenn man mit der augenblicklichen ökonomischen Situation nicht einverstanden ist, wird man automatisch Teil alternativer Lösungsansätze. Aber das bedeutet noch lange nicht, dass man Globalisierung als solche ablehnt. es bedeutet nur, dass man eine andere Globalisierung wünscht. In unserem Fall wären wir viel überzeugter von Globalisierung, wenn die Ökonomie nicht das einzige und wesentliche Kriterium wäre, nach dem sie geschieht. Wenn wir Erfolg nicht allein an der Größe des Bankkontos messen würden, so wie es zur Zeit und in den letzten 15 Jahren geschieht.

Ihr Film entwickelt eine politische Alternative. Ist das eine Utopie?

Jean Mach: Wir wollten eine optimistische Vision des Internets schaffen. Ohne andererseits zu verschleiern, was die Gefahren und die Schwächen dieses Systems sind. Viele Menschen haben zwar die Tendenz, das Internet zu verteufeln - aber man kann seinen täglichen Nutzen nicht verschweigen.

Dieses Medium ist eine ungemeine Wissens- und Informationsquelle. Wir sind überzeugt, dass es wichtig ist, dass der Film an einem Punkt der Hoffnung endet. Ich weiß nicht, ob eine solche positive Zukunft möglich ist, aber ich möchte es glauben. Viele politische Bewegungen werden als utopistisch bezeichnet, um sie zu delegitimieren. Weil ihr erstes Ziel ist, den Leuten zu helfen. Man weiß, dass das in der Praxis sehr schwierig ist.

Andererseits: Alles Mögliche, das heute geschieht, wäre uns noch vor ein paar Jahren utopisch erschienen: Facebook zum Beispiel. Ich habe mich davon überzeugt, dass das Wort „utopisch“ nicht existiert.

Und was haben wir von der letzten Szene zu halten?

Jean Mach: Man muss darin die natürliche Fortsetzung von "8th Wonderland" sehen. Dieses virtuelle Land hat eine dunkle Periode seiner Geschichte überstanden. Es hat sich verändert.