US-Regierung drängte auf Geiselerschießungen

Geheimdienstpapiere: Nixon-Führung wollte in Uruguay gefangene Rebellen ermorden lassen, um einen Agenten zu retten. Schlaglicht auf aktuelle Konflikte

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Die US-Regierung hat nach der Entführung ihres Agenten Daniel Mitrone durch Mitglieder der Organisation MLN-Tupamaros 1970 in Uruguay darauf gedrängt, gefangene Rebellen zu ermorden. Das geht aus Regierungs- und Geheimdienstdokumenten hervor, die mit Hilfe des US-amerikanischen Informationsfreiheitsgesetzes publiziert werden konnten. Mit den Dokumenten wird zugleich die Existenz von Todesschwadronen in dem südamerikanischen Land belegt. Sie könnten damit erhebliche Auswirkungen auf die juristische Aufarbeitung der Geschichte Uruguays haben.

Veröffentlicht wurden die Unterlagen von der regierungsunabhängigen Forschungsstelle National Security Institute, die an der George-Washington-Universität in der US-Hauptstadt arbeitet. Das Institut hat sich darauf spezialisiert, historische Sachverhalte über die Veröffentlichung ehemals geheimer Regierungs- und Geheimdienstdokumente aufzuklären.

Der Fall Mitrone ist dabei nicht nur geschichtlich, sondern auch aktuell von politischem Interesse. Unter dem amtierenden uruguayischen Präsidenten José "Pepe" Mujica – einem ehemaligen Guerillero – werden die Fälle politischer Morde juristisch aufgearbeitet. Entsprechende Versuche in der Vergangenheit waren gescheitert. Den veröffentlichten Dokumenten könnte nun eine entscheidende Rolle zukommen.

Daniel Mitrone, ein Polizist aus dem US-Bundesstaat Indiana, war unter Aufsicht des US-Geheimdienstes CIA seit Mitte der 1960er Jahre nach Südamerika entsendet worden, um Polizei und Militär in Verhörmethoden zu schulen. Nach Einsätzen in Brasilien wurde er nach Uruguay entsandt, um Mitglieder der Geheimpolizei DNII auszubilden. Schon damals wurden Vorwürfe gegen ihn laut, nach denen er die Polizisten in Foltermethoden ausbildete. Ein Kommando der Rebellenorganisation MLN-Tupamaros entführte Mitrone Anfang August 1970, um die Freilassung von 150 Gesinnungsgenossen zu erzwingen. Nachdem sich die Regierung weigerte, auf die Forderungen einzugehen, wurde Mitrone 10. August 1970 erschossen auf dem Rücksitz seines Autos aufgefunden.

Der Fall Mitrone wurde in zahlreichen Büchern und Filmen aufgearbeitet. So geht der US-amerikanische Autor A. J. Langguth davon aus, dass der US-Agent nach Uruguay entsandt wurde, um Polizei und Militär in Foltermethoden auszubilden. Nach Beginn seines Einsatzen hätten entsprechende Klagen massiv zugenommen, schreibt Langguth in seinem Buch Hidden Terrors. Der griechisch-französische Filmemacher Constantin Costa-Gavras nahm den Fall 1972 zur Vorlage für seinen Film Der unsichtbare Aufstand.

Aus den nun veröffentlichten Unterlagen geht hervor, dass Washingtons damaliger Außenminister William P. Rogers den US-Botschafter in Montevideo, Charles Adair, in der heißen Verhandlungsphase am 9. August 1970 in einem Telegramm aufforderte, die Regierung des südamerikanischen Landes zur Ermordung von Geiseln zu drängen, um den Druck auf die Rebellen zu erhöhen. Man nehme an, "dass die Regierung erwogen hat, mit der Tötung von (MLN-Rebellenführer Raúl) Sendic und anderen MLN-Gefangenen zu drohen, wenn Mitrone getötet wird“, heißt es in der Nachricht: "Wenn dies nicht geschehen ist, sollten Sie das jetzt ansprechen.“ Botschafter Adair bestätigte das Vorgehen wenige Minuten später. Die Gefangenen seien darauf hingewiesen worden, dass Todesschwadronen gegen ihre Familienangehörigen vorgehen werden, wenn Mitrone etwas zustoße.

Nach Ansicht von Carlos Osorio, der den Bereich Südamerika im National Security Institute betreut, bezeugen die Dokumente vor allem eines: "Die US haben sich in Graubereiche des ethischen Verhalten vorgewagt, um Mitrone zu retten.“ Die uruguayische Sachbuchautorin und Universitätsprofessorin Clara Aldrighi erklärt: "Nach dem Tod Dan Mitrones hat die uruguayische Regierung Todesschwadronen beauftragt, Rebellen zu jagen und zu töten.“ Die nun veröffentlichten US-Dokumente belegen, dass diese Killerkommandos "ein Teil der damaligen Politik waren“. Nach dem Tod Mitrones eskalierte die Lage in Uruguay weiter. 1973 riss das Militär inmitten massiver sozialer Auseinandersetzungen die Macht an sich.

Zugleich dürften die Veröffentlichungen die Debatte um die aktuelle US-Politik in Südamerika anheizen. Mitrone hielt sich seinerzeit schließlich als Mitarbeiter der US-Entwicklungsbehörde USAID im Rahmen des Polizeiausbildungsprogramms OPS in Brasilien und Uruguay auf. Gegen die USAID wurden in den vergangenen Jahren wieder massive Vorwürfe laut. In Bolivien und Venezuela sollen Mitarbeiter der Behörde geholfen haben, oppositionelle Strukturen aufzubauen.