Rapper scheitert mit Kandidatur als Drittweltsstaatschef

Wyclef Jean steht in Haiti nun doch nicht auf dem Wahlzettel

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Im November wird in Haiti ein neuer Präsident gewählt. Die Aussichten für das Land, in dem im Januar 230.000 Menschen bei einem schweren Erdbeben ums Leben kamen, das nicht nur viele Häuser, sondern auch große Teile der Infrastruktur des Landes zerstörte, sind alles andere als rosig.

Bereits vor dem Erdbeben zählte Haiti zu den wirtschaftlich wie politisch augenfällig gescheiterten Staaten. Maßgeblich dazu beigetragen hatte eine in den 1980er und 1990er Jahren von Weltbank und IWF erzwungene Freihandels- und Privatisierungspolitik die das Land für Dumpingimporte öffnete. Darauf hin verfielen Bewässerungsanlagen, der Boden erodierte, und die landwirtschaftliche Produktion ging zurück.

Ein Schlüssel, daran etwas zu ändern, läge in einem stärkeren Einsatz von Technologie, der wiederum ein Minimum an Bildung bei breiten Bevölkerungsschichten voraussetzt. Ob dies allerdings das haitianische Schulwesen in seiner bisherigen Form leisten kann, ist fraglich: Denn obwohl die sonst überaus privatisierungsbegeisterte Bertelsmann-Stiftung ermittelte, dass das Bildungssystem "sowohl hinsichtlich der Einrichtungen als auch der Finanzierung [...] vorwiegend privat" ist, kommt sie schließlich doch zu dem Ergebnis, dass der "Markt" hier weder für ein ausreichendes Angebot noch für die nötige Qualität sorgt:

"Die Analphabetenquote bei Erwachsenen (15 Jahre und älter) liegt im nationalen Durchschnitt bei 50%. Nur etwa 65% der Kinder (zwischen sechs und zwölf Jahren) gehen zur Schule. In ländlichen Gebieten liegt der Anteil bei nur 23%. Im Hinblick auf die weiterführenden Schulen liegt der Anteil insgesamt bei 22%. Die Qualität dieser Einrichtungen - vor allem außerhalb der urbanen Zentren - ist häufig sehr schlecht [...]. Die Bereiche Forschung und Entwicklung sind nur schwach entwickelt."

Bisher fand sich kein Politiker, der an diesen Zuständen etwas Grundlegendes ändern konnte. Der katholische Priester Jean-Bertrand Aristide, der nach der Duvalier-Diktatur als Hoffnungsträger gefeiert wurde, scheiterte ebenso wie seine der Erbelite des Landes entstammenden Nachfolger Marc Bazin, Boniface Alexandre und der amtierende Präsident René Préval, der nicht mehr zur Wahl antreten darf. In dieser Situation gab Wyclef Jean, der Sänger der US-Rapgruppe The Fugees, die in den 1990er Jahren mit einer Coverversion von Roberta Flacks Killing Me Softly viele Millionen verdiente, Anfang dieses Monats bekannt, dass er für das Amt des Präsidenten kandidieren wolle.

Wyclef Jean. Foto: Christopher Harte. Lizenz: CC-BY-SA.

Jean, der Sohn eines evangelikalen Predigers, wurde in Haiti geboren und kam erst im Alter von 9 Jahren zusammen mit seinen Eltern in die USA. Dass sich ein Exilant, nachdem er im Ausland sein Glück machte, in seiner wirtschaftlich weniger weit entwickelten Heimat in der Politik versucht, ist nichts Ungewöhnliches und wurde im ehemaligen Ostblock von einer ganzen Reihe von Personen erfolgreich praktiziert. Allerdings taugen solche Exilanten nicht immer als die Heilsbringer, als die sie in ihrer alten Heimat häufig gesehen werden. Auch bei Jean ist fraglich, inwieweit er das Gemeinwohl vor eigene Interessen stellt:

2005 gründete der Rapper die Yéle Haiti Foundation, die Stipendien an haitianische Kinder vergibt. Nach einer um Jahre verspäteten Abgabe der Steuererklärungen kam heraus, dass große Teile der von der Stiftung gesammelten Spenden direkt oder über Firmen an Wyclef Jean selbst und an den mit ihm verwandten Yéle-Haiti-Direktor Jerry Duplessis flossen. Von den 1.142.944 US-Dollar, welche die YHF 2006 einnahm, überwies die Organisation 250.000 an den Fernsehsender Telemax, der von Jean and Duplessis kontrolliert wird, 31,000 als Büromiete an die Firma Platinum Sound, die den beiden gehört, und 100.000 für eine musikalische Darbietung Jeans bei einem Benefizkonzert in Monaco - eine bemerkenswert hohe Summe, wenn man sie mit den 40.000 Dollar vergleicht, die er während seines Karrierehöhepunktes für einen Fugees-Festivalauftritt erhielt.

Eine längere Abwesenheit, die eine Karriere im Ausland mit sich bringt, kann freilich formelle Hindernisse für eine Kandidatur mit sich ziehen, an denen nun auch der Fugees-Sänger scheiterte: Der Conseil Electoral Provisoire (CEP) lehnte seine Kandidatur nämlich mit Verweis auf Artikel 191 des Wahlgesetzes ab, der vorschreibt, dass ein Kandidat die letzten fünf Jahre vor dem Wahltermin in Haiti gelebt haben muss.

Jean ließ erst verlautbaren, dass er die Entscheidung nicht gutheiße, sie aber akzeptiere, kündigte dann jedoch via Twitter an, auf dem Rechtswege gegen sie vorgehen zu wollen. Gegenüber MSNBC führte er als Grund für diesen Meinungsumschwung an, dass der CEP korrupt sei. Auch für die Morddrohungen, die er nach Bekanntgabe seiner Kandidatur erhielt, macht er politische Konkurrenten verantwortlich.

Der 40-Jährige bestreitet zwar nicht, in den USA gelebt zu haben, hat aber auch ein Haus in der haitianischen Stadt Croix des Bouquet und macht geltend, dass er seit seiner Ernennung zum Sonderbotschafter 2007 ständig im Interesse des Drittweltlandes herumreise, weshalb die Wohnortsanforderung für ihn nicht gelten könne. Samuel Pierre, ein Jurist des Wahlausschusses teilte der Internationalen Presse trotzdem mit, dass die Entscheidung über eine Nichtzulassung zur Präsidentschaftswahl endgültig sei und keine Rechtsmittel dagegen eingelegt werden könnten.