Werden die Menschen wieder religiöser?

Die 68er-Generation hat selbst in den USA für eine zunehmende Abkehr von den Religionen gesorgt, nach einer Studie scheint dies für die Generation X nicht mehr zu gelten

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Während die einen den unaufhaltsamen Fortschritt zur Aufklärung und der Abwendung von der Religion prognostizieren (In ganz Europa geht es seit Jahrzehnten mit der Religiosität bergab), scheinen die Zeichen allerdings widersprüchlich zu sein. In den letzten Jahrzehnten haben sich beispielsweise Teile des Christentums, Judentums und Islam radikalisiert. Vor allem in den islamischen Ländern und Bevölkerungsschichten, aber auch in den USA scheint die Säkularisierung keine großen Schritte zu machen, sondern die Ausrichtung an religiösen Prinzipien Halt und Orientierung zu geben.

Von einer Renaissance der Religion oder des Glaubens wird aber auch sonst gesprochen, was aber schlechte Aussichten wären, wenn Religiosität, wie manche Wissenschaftler behaupten, eher mit geringerer Intelligenz verbunden wäre (Sinkt mit steigendem IQ der religiöse Glaube?) und Atheisten einfach schlauer wären (Intelligente Menschen sind eher Atheisten und gehen nachts später schlafen). Andere Studien gehen davon aus, dass Religiosität nicht direkt etwas mit dem Bildungsstand oder dem Einkommen zu tun haben, sondern letztlich mit der religiös geprägten Kultur und der Umgebung (Wer glaubt, dass Gott in den Alltag eingreift?). Man könnte freilich auch behaupten, dass auch der Atheismus, vor allem wenn er sehr missionarisch vorgetragen wird, etwas von einer Religion hat, der man dann also nicht entkäme.

Schon vor drei Jahren erklärte uns eine internationale Umfrage der Bertelsmann-Stiftung, es lasse sich auch in Deutschland "keine anhaltende Säkularisierung breiter Bevölkerungsschichten" feststellen (Die Deutschen: 70 Prozent religiös, 28 Prozent sogar "hochreligiös"). 70 Prozent seien religiös, 28 Prozent sogar "hochreligiös", was schon fast ein wenig gefährlich klingt. Und nur "28 Prozent weisen in ihrer persönlichen Identität keinerlei religiöse Dimensionen auf", weltweit, d.h. in den untersuchten 18 Ländern, seien dies 16 Prozent, also eine deutliche Minderheit. Allerdings könne man dennoch nicht sagen, ob es wirklich eine Renaissance des Glaubens, z.B. in der Jugend, gebe.

Nach einer Studie des Soziologen Philip Schwadel von der University of Nebraska-Lincoln, die im Journal for the Scientific Study of Religion erschienen ist, scheint zumindest in God's own Country der frühere Trend zum Atheismus unter den Jungen wieder abzunehmen. In den USA glauben 92 Prozent an Gott und ziemlich viele an Wunder, so eine Pew-Umfrage aus dem Jahr 2008. Nach Gallup-Umfragen nimmt die Religiosität kontinuierlich ab, auch wenn es 2009 erst 13 Prozent waren, die sagen, dass sie keine Religion haben, 2003 waren es 10 Prozent, 1998 7 Prozent, 1948 nur 2 Prozent.

Grafik: P. Schwadel

Schwadel hat für seine Studie Umfrageergebnisse von mehr als 37.000 Amerikanern zwischen 1973 und 2006 ausgewertet, um den Prozentsatz der Amerikaner abzuschätzen, die nicht mit einer Religion verbunden sind, und zu prüfen, wie viele Menschen, die in ihrer Jugend religiös waren, damit im Erwachsenenalter gebrochen haben. Auch seine Ergebnisse zeigen, dass sich in den 90er Jahren nach einer lange anhaltenden Stabilität die Zahl der nicht einer Religion zugehörigen Amerikaner verdoppelt hat und kontinuierlich weiter gewachsen ist. Zu dieser Gruppe gehörten 2006 16 Prozent, in den 1970er Jahren waren es 6, in den 1980er Jahren 8 Prozent.

Der Prozess der Ablösung hat mit der Generation begonnen, die ab den 1940er Jahren bis 1959 geboren wurden. Wer in den 60er Jahren und danach erwachsen wurde, entzog sich aufgrund der herrschenden antiautoritären Positionen stärker den organisierten Religionen und wurde vom "religiösen Individualismus" geprägt – auch der 1960er-Effekt genannt. In dieser Generation hat sich ein wachsender Anteil der Religiosität entzogen, aber nach den Baby Boomern und mit Beginn der Generation X (Geburtsjahre zwischen 1965-1974) scheint sich dieser Trend verändert zu haben.

Zwar gehört mit 14 Prozent ein größerer Teil als jemals zuvor keiner Religion an, weil ihre Eltern auch schon nichtreligiös waren, aber die Zahl derer, die in ihrer Jugend religiös waren und später ins nichtreligiöse Lager wechselten, ging wieder zurück. Die Wahrscheinlichkeit, dass Baby Boomer ihrer Religion den Rücken zuwenden, ist nach Schwadel 40-50 Prozent größer als bei den Angehörigen der Generation X.

Zwar wächst das Lager der Nichtreligiösen oder derjenigen, die sich von einer organisierten Religion abwenden, langsam weiter, aber dies vor allem dadurch, dass die Eltern der neuen Generation auch schon nichtreligiös waren. Wer religiös aufgewachsen ist, wechselt aber kaum mehr ins Lager der Nichtreligiösen, sondern hält an der Religion fest. Diese Treue ist allerdings deshalb verwunderlich, weil die religiöse Szene oder der Religionsmarkt eigentlich viel pluraler und offener geworden sind, als dies früher der Fall gewesen ist. Schwadel meint, dass gerade die größeren Wahlmöglichkeiten die Zugehörigkeit zu einer Religion und das religiöse Engagement stärken. Die USA, so Schwadel, bleiben religiös einigermaßen stabil und damit fürs erste wohl mal weiter God's own Country, zumindest was das durch die einwandernden Latinos verstärkte Christentum angeht.