Schmerzwaffe: human oder riskant?

Das Justizministerium testet die angeblich ungefährliche Mikrowellenwaffe für den Einsatz in Gefängnissen, ACLU betrachtet sie hingegen als lebensbedrohlich

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Letzte Woche wurde bekannt, dass der Rüstungskonzern Raytheon seine "Schmerzwaffe", die das Pentagon immer mal wieder in Afghanistan und im Irak einsetzen wollte und dann doch zurückgeschreckt ist, einem kalifornischen Gefängnis gegen eine Gebühr von 750.000 Dollar vom Justizministerium zur Verfügung gestellt hat. Dort soll die einst Active Denial System genannte Waffe, die in kleineren Varianten auch unter dem Namen Silent Guardian und nun Assault Intervention Device (AID) beworben wird, an Strafgefangenen gestestet werden, wenn es im Gefängnis zu Aufruhr oder Schlägereien kommt. Wird das Ergebnis der halbjährigen Evalutation für gut befunden, sollen auch in anderen Gefängnissen die Insassen mit der Schmerzwaffe kontrolliert werden.

Polizeichef Osborne für das Ungetüm der nichttödlichen Waffe vor. Bild: Los Angeles County Sheriff's Department

Mit dem AID, immer noch ein Ungetüm mit 300 kg, das dreh- und fernsteuerbar an der Decke in einem Schlafsaal des Gefängnisses abgebracht werden, wird ein Mikrowellenstrahl mit einer Frequenz von 95 GHz und einer Maximalleistung von 100 kW auf einen Menschen gerichtet, der bis zu einer Entfernung von 30m nur oberflächlich bis zu einer Tiefe von 0,4 mm in die Haut eindringen, aber unerträgliche Schmerzen verursachen soll. Als nichttödlich und ungefährlich wird die Mikrowellenwaffe deswegen genannt, weil der Getroffene aufgrund der Schmerz dem Strahl möglichst schnell ausweicht und dieser mit einer Sperre versehen ist, so dass er bei jedem Abschuss mittels eines Joysticks nach drei Sekunden abgeschaltet wird. Das soll Verbrennungen verhindern, die bei einer längeren Bestrahlung entstehen können.

Der Sheriff erklärte bei der Vorstellung der Schmerzwaffe, dass man die Waffe im Strafvollzug hilfreich sein könne, um der Gewalt der Gefangenen zu begegnen, vor allem der "schwierigeren" Gewaltausbrüche, ohne mit den Folgen der bislang vorhandenen Waffen rechnen zu müssen. Der Clou daran ist, dass man den Strahl an einem Bildschirm fernsteuern kann, so dass der Bediener sicher außerhalb des Raumes bleiben und den Gegner außer Kraft setzen könne, ohne ihn zu verletzen oder außer Gefecht zu setzen. Für Raytheon ist die Mikrowellenwaffe die effektivste und sicherste nichttödliche Waffe, die es gibt. Polizeichef Bob Osborne, zuständig für Technik, stimmt zu. Die Technik sei völlig ungefährlich. Er habe sich dem Strahl schon 50 Mal ohne Probleme ausgesetzt. Das eben sei auch das Schöne an der Waffe, die zwar einen Schmerz verursache, aber keine Verwundung. Im Gegensatz zum Einsatz von Stöcken und Tränengas würde die Waffe keine Spuren hinterlassen und sei deswegen "humaner". Interessant wäre ja auch gewesen, die Meinung der Gefängnisinsassen zu hören, an denen die Waffe getestet wird.

Bedient wird das AID aus der Ferne mit einem Joystick. Bild: Los Angeles County Sheriff’s Department

So harmlos wie Raytheon und das Justizministerium die Schmerzwaffe beurteilen, will die Bürgerrechtsorganisation ACLU sie nicht sehen, die sie vielmehr als "unmenschlich" und als Folterinstrument bezeichnet. In einem Brief an die Polizei wird diese aufgefordert, die ursprünglich für das Militär entwickelte Waffe nicht einzusetzen. Für ACLU verstößt der Einsatz der Waffe gegen die Verfassung, weil sie "unnötig schwere Schmerzen" verursacht und "unnötige Risiken für das menschliche Leben" bis hin zum Tod eingeht.

Die Bürgerrechtsorganisation verweist darauf, dass bei Tests Brandwunden entstanden seien. Ohne entsprechende eingebaute Schutzmaßnahmen könne die Mikrowellenwaffe sogar nach einem Bericht des deutschen Physiker Altmann (US-Army will "Schmerzwaffe" kaufen) zu großflächigen Verbrennungen zweiten und dritten Grades führen und damit eventuell zum Tod. Gerade weil Insassen des Gefängnisses häufig noch gar nicht verurteilt sind, sondern sich in Untersuchungshaft befinden, könnten nicht nur diese zu Opfern dieser "Star-Wars-Technik" werden, so ACLU dramatisch: "Wir könnten alle Brandverletzungen erhalten." Und in den Gefängnissen käme es zu so vielen Übergriffen gegen die Insassen, dass auch die neue Waffe nicht nur zur Beendigung von Gewalt, sondern missbraucht werden könnte.

Tatsächlich wäre eine Technik, die unerträgliche Schmerzen verursacht, aber keine Spuren hinterlässt, auch eine ideale Folterwaffe, zumal wenn das Opfer sich dem nicht entziehen kann. Und wenn die Strahlen länger als ein paar Sekunden auf ein Opfer gerichtet werden, können eben auch wirkliche Schmerzen und körperliche Schäden bewirkt werden, so dass das AID sowohl als nichttödliche als auch als tödliche Waffe eingesetzt werden kann. Beunruhigend dürfte auch sein, dass die Waffe aus der Ferne wie eine Drohne verwendet werden kann, was zwar die Gefängniswärter schützt, aber die Gefangenen noch mehr zu Objekten im Panopticon macht. Andererseits sind die Risiken wohl bei einem kontrollierten Einsatz geringer als wenn Schlagstöcke, Elektroschockwaffen oder auch Schusswaffen eingesetzt werden.