Neujustierung der Sicherheitspolitik, wenn das Öl knapp wird

Katastrophale Kettenreaktionen: Das "Dezernat Zukunftsanalyse" eines Bundeswehrzentrums stellt sich die Folgen des Peak Oil vor

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Wie wird sich die von Industriestaaten dominierte Welt verändern, wie Deutschland, wenn die Ölreserven ausgehen? Über Peak Oil und die Folgen, Kriege über Ressourcen ist schon viel geschrieben worden; der Spiegel, der offensichtlich über Blogs auf die Spur des Papiers geraten ist, hat nun Anfang der Woche auf ein Strategiepapier des Zentrums für Transformation der Bundeswehr hingewiesen, das eigentlich nicht zur Veröffentlichung gedacht war. Die 99-seitige Studie des „Dezernats Zukunftsanalyse“ hat einen eigentümlichen Reiz durch die technokratische Prosa, die versucht, kaum fassbaren dramatischen Veränderungen nüchtern dort Handlungsspielräume abzugewinnen, wo größere Konflikte lauern, die nur angedeutet werden. Zum anderen, wie auch der Spiegel bemerkt, sieht man sich darin bestätigt, wie sehr das Thema Peak Oil „die politische Führung beschäftigt“.

Auch wenn im Papier eingeräumt wird, dass die ganze Dimension der Folgen der Ölknappheit nicht zu fassen sei, werden doch – beinahe wie in einem trocken gehaltenen Ideenskript zu einem Emmerich-Film - massive katastrophale Kettenreaktionen geschildert. Zwar würde die Weltwirtschaft kurzfristig noch „proportional“ zum Rückgang des Ölangebots reagieren können, mittelfristig jedoch wäre der Zusammenbruch des weltweiten Wirtschaftssystems und der marktwirtschaftlich organisierten Volkswirtschaft zwangsläufig. Als „theoretisch plausible Konsequenzen schildert das Papier folgende Reaktionen:

  1. Banken verlieren ihre Geschäftsgrundlage. Sie können Einlagen nicht verzinsen, weil sie keine kreditwürdigen Unternehmen finden.
  2. Vertrauensverlust in Währungen. Der Glaube an die Wert erhaltende Funktion des Geldes geht verloren. Es kommt erst zu Hyperinflation und Schwarzmärkten, dann zu einer tauschwirtschaftlichen Organisation auf lokalem Level.
  3. Kollaps von Wertschöpfungsketten. Arbeitsteilige Prozesse basieren auf der Möglichkeit des Handels mit Vorprodukten. Die Abwicklung der dazu notwendigen Geschäfte ohne Geld ist extrem schwierig.
  4. Kollaps ungebundener Währungssysteme. Wenn Währungen ihren Wert in ihrem Ursprungsland verlieren, sind sie auch nicht mehr gegen Devisen eintauschbar. Internationale Wertschöpfungsketten kollabieren ebenfalls.
  5. Massenarbeitslosigkeit. Moderne Gesellschaften sind arbeitsteilig organisiert und haben sich im Verlauf ihrer Geschichte immer weiter ausdifferenziert. Viele Berufe haben nur noch mit der Verwaltung dieses hohen Komplexitätsgrades zu tun und nichts mehr mit der direkten Produktion von Konsumgütern. Die hier angedeutete Komplexitätsreduktion von Volkswirtschaften hätte in allen modernen Gesellschaften einen extremen Anstieg der Arbeitslosigkeit zur Folge.
  6. Staatsbankrotte. In der beschriebenen Situation brechen Staatseinnahmen weg. Die Möglichkeiten der Verschuldung sind stark begrenzt.
  7. Zusammenbruch kritischer Infrastrukturen. Weder die materiellen noch die finanziellen Ressourcen sind für die Aufrechterhaltung der Infrastrukturen ausreichend. Erschwerend kommen die Interdependenzen von Infrastrukturen untereinander und mit verschiedenen Subsystemen hinzu.
  8. Hungersnöte. In letzter Konsequenz wird es eine Herausforderung darstellen, Nahrungsmittel in ausreichender Menge zu produzieren.

Was die internationalen Beziehungen angeht, so visioniert der Bericht eine Veränderung der Beziehungen, die sich überspitzt formuliert letztendlich dem Naturzustand von Hobbes annähern, wo der Mensch des Menschen Wolf wird, da vertragliche Bindungen angesichts der Unsicherheit der notwendigen Versorgung mit Öl weniger eingehalten werden und die Gelegenheit, der opportune Seitenwechsel, angesichts der Knappheit überlebenswichtig werden könnte; das gegenseitige Misstrauen wird zunehmen, „ein freier und transparenter Zugang zu nationalen Energieressourcen, Märkten und Handel mit Energiedienstleistungen zunehmend unwahrscheinlicher.“

Der Anteil des auf dem globalen, frei zugänglichen Ölmarkt gehandelten Erdöls wird zugunsten des über binationale Kontrakte gehandelten Öls abnehmen. Wirtschaftskraft, militärische Stärke oder der Besitz von Nuklearwaffen werden zu einem vorrangigen Instrument der Machtprojektion und zu einem bestimmenden Faktor neuer Abhängigkeitsverhältnisse in den internationalen Beziehungen.

Die Außenpolitik der ölbedürftigen westlichen Industriestaaten, die sich bislang zumindest dem ideellen Anspruch nach „werteorientiert“ gab, würde sich aller Wahrscheinlichkeit nach der pragmatischen Energiepolitik Chinas anpassen, die von der Einmischung in innere Verhältnisse der Rohstoff liefernden Staaten absieht und deren Ressourcen nicht nur mit Geld, sondern auch mit zusätzlichen Gegenleistungen, u.a. auch mit Waffengeschäften, entlohnt. Als besonders prekär könnten sich in den verstärkten Abhängigkeitsverhältnissen zu den erdölexportierenden Ländern im Nahen Osten deren wachsende Wünsche nach nuklearen Know-How, zivil wie militärisch, erweisen, wie das Papier an mehreren Stellen andeutet.

In der Folge gewinnt die Region erheblich an Bedeutung, was zu einer verstärkten Einmischung externer Mächte zur Sicherung ihrer Interessen und Ressourcen in der Region führen kann. Dabei würden eine grundlegende Änderung der Sicherheitsarchitektur des Golfraumes, inklusive des Nahen Ostens, eine verstärkte Proliferation oder der weitgehend ungehinderte Bau von Massenvernichtungswaffen dieses Engagement vor besondere außen- und sicherheitspolitische Herausforderungen stellen.

In den Ländern mit Erdölvorräten könnten steigende Gewinne durch höhere Preise fatale Entwicklungsrückstände, wie sie etwa die Human Development Reports bei arabischen Staaten diagnostiziert haben, verstärken, statt zu verändern. Autoritäre Regierungen hätten angesichts des weiter abnehmenden Drucks von außen, keine Notwendigkeit, innenpolitisch etwas zugunsten der Bevölkerung zu verändern. Oppositionelle fänden noch weniger Unterstützung – zumal, wie der Bericht voraussieht, Nichtregierungsorganisationen große Finanzierungsschwierigkeiten haben werden, wenn Ölknappheit die Wirtschaft drastisch verändert.

Auch die konfliktträchtige Diskussion über den Umgang des Westens mit Muslimen und „dem Islam“ und umgekehrt würde durch verstärkte Abhängigkeiten von ölreichen Staaten vor veränderten Bedingungen stattfinden.

Was insbesondere die deutsche Versorgungssicherheit angeht, hebt der Bericht zwei Energielieferanten hervor, zum einen Russland und zum anderen die Länder des Nahen Ostens

Die absehbar bedeutendste sicherheitspolitisch relevante Veränderung für Deutschland wird die Aufwertung des Nahen Ostens, Afrikas und des Kaspischen Raumes für die deutsche Ressourcensicherheit sein.

In der Folge müsste Deutschland versuchen, mit Russland eine verläßliche, privilegierte Beziehung auszubauen und zugleich sehr darauf achten, dass die Abhängigkeit nicht zu groß wird und die Empfindlichkeiten von EU-Partnern berücksichtigt werden.

Dass dieser für den innereuropäischen Zusammenhalt enorme Zerreißproben mit sich bringen kann, illustrieren die Verwerfungen um den Bau der Ostseepipeline sowie der Gaspipelines Nabucco und South Stream. Für die Zukunft deutscher und europäischer Versorgungssicherheit wird es sich als entscheidend erweisen, Russland als Partner zu gewinnen, eine enge energiepolitische Verflechtung zu verwirklichen sowie seinem Wunsch einer besseren Einbindung zu entsprechen und in diesem Zusammenhang gegebenenfalls auch zu prüfen, ob und wie die europäische Sicherheitsarchitektur entsprechend angepasst werden könnte.

Auf sehr heiklem Gelände würden sich auch Versuche Deutschlands bewegen, mit ölreichen Ländern im Mittleren Osten bessere Beziehungen aufzubauen, was möglicherweise auf politische Forderungen hinauslaufen könnte, die im Gegensatz der Interessen Israels stehen:

Eine durch das Ziel der Versorgungssicherheit motivierte Neujustierung deutscher Nahostpolitik zugunsten intensiverer Beziehungen mit Förderländern, wie Iran und Saudi-Arabien mit den größten konventionellen Erdölreserven der Region, dürfte die deutschisraelischen Beziehungen je nach Intensität des Politikwechsels entsprechend belasten.