Fortschritt durch Technik beim BKA

Das Bundeskriminalamt lädt Sicherheitsindustrie, Wissenschaftler und Geldgeber zum "systematischen Technologiemonitoring" - Aktivisten rufen indes zur Online-Durchsuchung des Amtes auf

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"Wir müssen vor die Lage kommen", forderte BKA-Präsident Jörg Ziercke bereits auf der Herbsttagung des bundesdeutschen Polizeiamtes 2006. Dabei geht es weniger um Vorbeugung, sondern vielmehr um technische Werkzeuge zur Umsetzung des gewandelten Behördenauftrags: Mit dem neuen BKA-Gesetz haben sich die Bundeskriminalisten die Kompetenz zu Ermittlungen ohne konkreten Tatverdacht ("Vorfeldermittlungen") gesichert.

Das Mantra der "vorausschauenden Kriminalitätsbekämpfung" wird bei jeder Gelegenheit vorgetragen und gegenüber der Öffentlichkeit gern als "Prävention" verharmlost. Sicherheitsindustrie und Polizeitechnokraten verstehen "Prävention" demgegenüber als automatisierte Analyse von Datensätzen aus Polizeidatenbanken oder anderen, auch öffentlichen Quellen wie dem Internet.

"Informationen sammeln und auswerten, Strukturen schaffen, um geplante Anschläge rechtzeitig zu verhindern", freut sich die Firma rola Security Solutions in der Rückschau auf ihre "Sicherheitskonferenz" 2008 über die Teilnahme des BKA-Präsidenten. Zusammen mit dem Bayerischen Landeskriminalamt und Europol hatte Ziercke als Horst Herold 2.0 bei der Firma für mehr computergestützte "Informationserschließung" geworben. Rola bezeichnet sich selbst als "Marktführer für Ermittlungssoftware" und entwickelt Anwendungen zur "vorhersagenden Analyse" für Geheimdienste, Militär und Polizei.

Nun legt das BKA nach und lädt zum "internationalen Workshop", um den Einsatz "moderner Technologien" für die Arbeit der Verfolgungsbehörden voranzutreiben. Zur Wissensabschöpfung von "Technologietrends und potentiellen Auswirkungen auf Ermittlungstätigkeiten" werden nicht nur Mitarbeiter von Universitäten in einem Call for Papers zu Beiträgen aufgerufen. Ausdrücklich eingeladen sind Forschungsinstitute, Firmen und nicht zuletzt die Verantwortlichen zur Vergabe von Förderprogrammen. Das Stelldichein wird in Kooperation mit dem Schweizer Bundesamt für Polizei, dem Bayerische Landeskriminalamt und dem Anwendungszentrum in Oberpfaffenhofen veranstaltet.

Die Ausrichter sind bemüht, der Veranstaltung einen intimen Charakter zu geben ("Networking in ungezwungener Atmosphäre"), was ulkig mit einem "limitierten Platzangebot im Veranstaltungsraum" begründet wird. Man möchte unter sich sein, um den anwesenden "Entscheidungsträgern geeignete Handlungsempfehlungen vorzuschlagen". Themen wie forschungsethische Bedenken, Datenschutz oder Datensparsamkeit werden in der Agenda hingegen nicht einmal angedeutet.

Auf Katzenpfoten und in uferlosen Datenhalden

Die Zusammenkunft versteht sich zunächst als Auftaktveranstaltung, mit noch aufdringlicherem Bestreben polizeitechnischer Handhabung sozialer Phänomene ist also zu rechnen. Ins Interesse rückt vor allem die Integration von Forschungs- und Entwicklungsprojekten, deren Markteinführung begonnen hat oder unmittelbar bevorsteht.

Unbehagen bereitet den Techno-Polizisten, dass die "modernen Technologien" genutzt werden können, um etwa Ermittlungstätigkeiten "missbräuchlich" zu unterlaufen. Es nimmt nicht wunder, dass der größte Themenkomplex rund ums Internet und sichere Kommunikation kreist. Deutsche Polizeien wollen ihre Datenströme durch eine "paketvermittelnde Netzarchitektur" versimpeln oder per "Cloud Computing" dezentralisieren. Weil die polizeilichen Datenhalden allerdings uferlos werden, stellt die Verarbeitung digitaler Daten laut Tagungsprogramm "eine große Herausforderung" dar.

Informationsnetzwerke könnten demzufolge zu stark überlastet werden. Europäische Innenminister hatten hierfür 2008 unter damaliger Leitung von Wolfgang Schäuble den Begriff "Daten-Tsunami" geprägt (Die Wünsche der EU-Innenminister), nicht ohne den unschätzbaren polizeilichen Mehrwert durch eine automatisierte Verknüpfung der Datensätze hervorzuheben.

Kryptographische Technologien gelten fürderhin als "Ermittlungshemmnis", weshalb die Tagung die behördliche Hoheit über Verschlüsselungen, Anonymisierungen und geschlossene Foren befördern will. Man sorgt sich scheinbar um das Monopol der Geheimdienste und verlangt nach "neuen Mitteln und Methoden". Ins Fadenkreuz des BKA geraten laut dem "Call for Paper" zunehmende Angriffe auf IT-Systeme, die das "soziale und technische Umfeld" der Adressaten mit hoher Professionalität zuvor abklären.

Neben biometrischen Verfahren lassen auch neue Forschungsergebnisse der Bionik polizeiliche Begehrlichkeiten wachsen: Erscheinungsformen der Natur sollen technisch nutzbar gemacht werden, darunter das Abperlen von Flüssigkeiten, Reifenprofile, die Katzenpfoten nachempfunden sind, oder wie Eichhörnchen kletternde Automaten. Teil- oder vollautomatische Roboter sollen den Verfolgungsbehörden bei ihren täglichen Aufgaben helfen, darunter ferngesteuerte Spurensuche oder kontrollierte Sprengungen.

Unterstützung kommt auch aus der Luft. Die Beforschung fliegender Kameras hat mit höherer Nutzlast und dem automatisierten Navigieren einen neuen Entwicklungsstand erreicht (Drohnen: Deutsche Polizisten als Luftfahrzeugfernführer), der die Herzen polizeilicher Beschaffungsabteilungen höher schlagen lässt. Zur Koordinierung von Tests auf Länder-Ebene wurde hierfür bereits 2007 eine "Bund-Länder-Projektgruppe 'Drohnen'" eingerichtet, an der auch das BKA beteiligt ist.

Großes Augenmerk des "Internationalen Workshops Neue Technologien" liegt in der zunehmenden Nutzung von Satellitenaufklärung und -positionierung für die Polizeiarbeit (Kontrollgelüste aus dem Orbit), was gemeinsame die Organisation der Tagung mit dem Anwendungszentrum aus Oberpfaffenhofen erklären mag. Ziel ist eine "Verknüpfung innovativer Satellitentechnologien aus den Bereichen Navigation, Kommunikation und Erdbeobachtung zur Unterstützung von Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden". Ob die Ermittler dabei selbst auf den Mond geschossen werden wollen, bleibt nebulös, jedenfalls steht auch das Thema "Raumfahrt" auf dem Programm.

Seit Jahren hat das BKA seine IT-Abteilung zur polizeilichen Service-Organisation ausgebaut. Zierckes Amt ist an etlichen Forschungsprojekten beteiligt, darunter zum Einsatz biometrischer Kameras, dem Ausspähen des Internet oder der Nutzung von Satellitenaufklärung auch für polizeiliche Neugier. Das BKA arbeitet mit anderen deutschen Projektpartnern als "Berater" am EU-Forschungsprojekt INDECT, das von Datenschützern als "Bevölkerungsscanner" kritisiert wird (Allround-System für europäische Homeland Security).

Als unverzichtbar gilt der Behörde nach wie vor der massive Eingriff in die Kommunikations-Privatsphäre. Auch das Manipulieren privater Computer wird weiter vorangetrieben, mit eigenen Trojaner-Programmen will das BKA die Kontrolle über andere Rechner übernehmen und deren Nutzung protokollieren.

Präsident Ziercke behauptet, das Hacken privater Rechner noch nie betrieben zu haben. Die Behörde arbeitet allerdings zunehmend enger mit Geheimdiensten zusammen, die bekanntlich vor neuen technischen Ermittlungsmethoden wie der "Onlinedurchsuchung" weniger Skrupel haben. Deutsche Polizeibehörden verzeichnen zudem sowohl die größten Zulieferungen wie auch Abfragen der EU-Datenkrake Europol. Die EU-Polizeiagentur wiederum wird dazu angehalten, "Ferndurchsuchungen" im Rahmen grenzüberschreitender Ermittlungen zu betreiben. Durchaus möglich also, dass Ermittlungen deutscher Polizeien auf Material aus "Ferndurchsuchungen" anderer Behörden gründet.

Durchsuchen der Durchsucher

Um den technokratischen Machenschaften des Amtes auf die Spur zu kommen, wird nun zur Onlinedurchsuchung beim Bundeskriminalamt aufgerufen. Gemeint ist nicht das Eindringen in die IT-Systeme des Amtes: Alle "potenziellen Gefährder und ihre Kontaktpersonen" sind aufgefordert, am 9. September die Webseite des BKA zu besuchen und sich dort "über deren Verständnis von Freiheit und Bürgerrechten" zu informieren. Die Aktion steht im Kontext der "Freiheit statt Angst"-Demonstration am 11. September in Berlin.

Die Online-Performance wird verantwortet vom "data:recollective", einer Gruppe die zuvor den Aufruf Reclaim your Data! gestartet hatte. "Reclaim your Data!" zielt auf die Wiedererlangung von "Datenautonomie" und ermutigt zu Auskunftsersuchen in europäischen Polizeidatenbanken. Kern von "Reclaim your Data!" ist ein automatischer Auskunftsgenerator, der bei der Erstellung von Anträgen auf Auskunft hilft. Die Kampagne wird von einem breiten Spektrum von 44 sicherheitskritischen Gruppen aus mehreren europäischen Ländern unterstützt.

Das Bundeskriminalamt wurde für die Onlinedurchsuchung ausgesucht, um dessen Rolle in der internationalen Polizeizusammenarbeit zu markieren. Tatsächlich arbeitet das BKA eifrig daran, die deutsche polizeiliche Sammelleidenschaft auch innerhalb der Europäischen Union voranzutreiben. Das BKA ist nationale Kontaktstelle zur EU-Polizeiagentur Europol, Interpol und dem Schengener Informationssystem und gleichzeitig Knotenpunkt aller bi- und multilateralen deutschen Abkommen zu Polizeikooperation und Datentausch. Favorisiert wird ein "umfassender Ansatz", der Innenbehörden stärker mit Militär und Geheimdiensten verzahnen will.

Der Aufruf kritisiert zudem den Kurs des BKA "in Richtung polizeiliche Datenbankgesellschaft", etwa durch das Führen der Dateien "Gewalttäter Sport" oder "International agierende gewaltbereite Störer". Auch diese Dateien stützen die Handhabung abweichenden Verhaltens ohne konkreten Tatverdacht, die dort Niedergelegten werden als potentielle "Gefährder" deklariert.

Die Onlinedurchsuchung des "data:recollective" ist als Schnitzeljagd konzipiert, ein Fahrplan soll kurz vorher auf der Webseite veröffentlicht werden. Die Organisatoren raten zur Nutzung von Anonymisierungswerkzeugen wie Tor, VPN-Tunnel oder Addons gegen die Installation von Spyware. Das dürfte das BKA erzürnen, ist die Behörde doch dafür bekannt, IP-Adressen von Webseiten-Besuchern zu protokollieren und für Ermittlungszwecke zu nutzen.