Telemedizin gegen Ärztemangel

Im Vereinigten Königreich dürfen Mediziner nicht nur online Krankheiten diagnostizieren, sondern auch Rezepte ausstellen

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Ein Deutschland, so ein am Wochenende erfolgter Warnruf der Bundesärztekammer (BÄK) und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), werden bis zum Jahr 2020 7000 Hausärzte weniger praktizieren als heute - vor allem im ländlichen Raum.

Dieser Schwund ergibt sich der präsentierten Rechnung nach dadurch, dass in diesem Zeitraum 23.768 Hausärzte und 51.774 ambulant tätige Ärzte insgesamt in den Ruhestand gehen oder sich aus anderen Gründen aus dem Beruf verabschieden. Bereits im letzten Jahr, so die beiden Verbände, fehlte in dörflich geprägten Bundesländern wie Sachsen-Anhalt und Niedersachsen jeweils eine dreistellige Zahl von Ärzten. In Kliniken seien bereits jetzt 5.000 Stellen unbesetzt, weshalb sich Deutschland auf dem "Weg in die Wartemedizin" befinde.

Entgegenwirken kann man dieser Entwicklung nicht nur dadurch, das man Ärztehonorare erhöht, wie BÄK und KBV meinen, sondern auch (und ohne Zusatzkosten) durch eine Anpassung der Zulassungsvoraussetzungen zum Medizinstudium. Wie leicht möglich dies wäre, zeigt sich unter anderem dadurch, dass sich für die etwa 10.000 freien Medizinstudienplätze trotz eines angeblich zu niedrigen Einkommens regelmäßig mehr als 50.000 Bewerber finden, von denen 80 Prozent abgewiesen werden müssen. Darauf, dass die bisherigen und vor allem an der Abiturnote ausgerichteten Auswahlkriterien nicht optimal sind, deutet unter anderem die hohe Abbrecherquote von 17,9 Prozent hin. Zusätzliche 11,6 Prozent der Studierenden schreckt der Berufsalltag so ab, dass sie zwar ihre Examen machen, sich aber danach etwas Anderem zuwenden, wie die prominenten Beispiele Rainald Goetz und Eckart von Hirschhausen illustrieren.

Eine weitere Möglichkeit, dem angeblich drohenden Ärztemangel ohne eine Kostensteigerung zu begegnen, liegt in einer effizienteren Organisation von Behandlungsabläufen. Potenzial gibt es hier vor allem bei einfachen Diagnosen, der Verschreibung von Medikamenten und dem Ausstellen von Bescheinigungen. Hier würde eine stärkere Nutzung elektronischer Kommunikationsmöglichkeiten nicht nur Ärzten, sondern auch Patienten viel Zeit und Geld sparen helfen. Allerdings existieren in Deutschland rechtliche und bürokratische Hürden, die einer großflächigen Modernisierung entgegenstehen: So müssen Ärzte beispielsweise vor einer Online-Diagnose den Patienten mindestens einmal in ihrer Sprechstunde gesehen haben.

Großbritannien ist hier weiter: Dort gibt es mittlerweile auch rein virtuelle Praxen wie Dr. Thom, in denen registrierte Ärzte nicht nur online diagnostizieren, sondern auch Medikamente verschreiben dürfen. Ausgenommen von dieser Erlaubnis sind lediglich Arzneimittel, die leicht abhängig machen. Beaufsichtigt werden die virtuellen Praxen von der Care Quality Commission, die Patienten als Ansprechpartner für Kritik zur Verfügung steht. Deuten die Symptome auf eine ernstere Erkrankung hin, so sind die virtuellen Praxen allerdings angehalten, die Patienten an Kollegen zu verweisen, bei denen sie persönlich vorstellig werden.

Die Anamnese geschieht beim Online-Arztbesuch, wie mittlerweile auch anderswo üblich, durch Fragebögen, in denen der Patient nicht nur Angaben zu seinen Beschwerden, sondern auch zu Vorerkrankungen, Allergien, bereits verordneten Medikamenten sowie zum Geschlecht, zur Körpergröße und zum Gewicht machen muss. Darüber hinaus können Kranke selbst gefertigte Fotos hochladen. Das ist manchen Patienten offenbar weniger peinlich, als ein direktes Vorzeigen: Besonders beliebt sind die Online-Ärzte nämlich bei Erkrankungen mit einem gewissen Peinlichkeitspotenzial wie Geschlechtskrankheiten, Potenzproblemen und Haarausfall.