Über die Qualität von Volksentscheiden

Ändern sie die Politik, fördern sie rationale Debatten? Müssen sich Politiker dadurch deutlicher positionieren? Ein Gespräch mit Volker Mittendorf

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Volker Mittendorf ist Mitarbeiter an der Forschungsstelle Bürgerbeteiligung der Bergischen Universität Wuppertal für Bürgerentscheide und deren Einfluss auf die aktuelle Politik in Deutschland. In seinem Buch: "Die Qualität kollektiver Entscheidungen" untersucht er die Frage, ob basisdemokratische Verfahren zu einer besseren Handlungskultur einzelner politischer Akteure führen kann.

In den vergangenen Jahren gab es eine ganze Reihe von Volksentscheiden in Deutschland oder anderen Ländern, die immer wieder für Aufsehen gesorgt haben. So führte die Abstimmung in der Schweiz über das sogenannte Minarett-Verbot (siehe Kein Muezzin-Ruf aus der Toblerone) zu einer hitzigen Debatte über das Für und Wider von Volksentscheiden. Für deutsche Politiker sind zweifelhafte Ergebnisse in Volksentscheiden immer wieder ein gern genommenes Argument, um eine stärkere basisdemokratische Entwicklung im Lande zu diskreditieren und ihre eigenen Entscheidungen in ein besseres Licht zu rücken. Telepolis sprach mit Volker Mitteldorf.

In Deutschland sind Bürgerbegehren eher ein Störfaktor

Die Schweiz gilt ja immer als das Mutterland der Volksentscheide. Gleichwohl gibt es auch dort eher fragwürdige Entscheidungen. Wie läuft so ein Bürgerbegehren in der Schweiz ab?

Volker Mittendorf: In der Schweiz gibt es eine andere Wertigkeit von Sachabstimmungen als in Deutschland. Vor allem die Eliten sehen das anders als hier. In Deutschland sind Bürgerbegehren eher ein Störfaktor in der Politik. Wohingegen das in der Schweiz das normale Mittel ist. In der Schweiz sagt man, dass das Volk alles Wichtige entscheidet, außer das Tagesgeschäft, und was nicht zum Tagesgeschäft gehören soll, entscheidet das Volk selbst durch Volksinitiativen und Referenden.

In Deutschland ist es eher umgekehrt. In den ganz wichtigen Fragen dürfen die Bürger auf der kommunalen Ebene nicht entscheiden. Ansonsten gibt es seit den 1990er Jahren in Städten und Gemeinden das Bürgerbegehren und den Bürgerentscheid, um entweder gegen getroffene Ratsentscheidungen oder auch initiativ tätig zu werden. Da wird merklich, dass der Bürger im Alltagsgeschäft eher stört und die Politik versucht ist, Fakten zu schaffen, damit sich ein Bürgerbegehren nicht mehr lohnt. In der Schweiz tritt jeder Beschluss eigentlich erst in Kraft, wenn die Referendumsfrist abgelaufen ist. Das ist so ein Kulturunterschied, den man feststellt.

Mit den Fakten meinen sie beispielsweise, dass in Deutschland die Hürden für ein Bürgerbegehren relativ hoch liegen?

Volker Mittendorf: Ja, das stimmt. Was ich untersucht habe ist die Qualität der Entscheidungsfindung. Der Kommunikationsprozess vor einer Abstimmung und danach, war für mich von Interesse. Wie geht man mit dem, was diskutiert worden ist, um. Findet da eine Art Lernprozess statt? Der große Unterschied zwischen Deutschland und der Schweiz ist, dass in Deutschland durch die Seltenheit des Bürgerbegehrens die allgemeine Zufriedenheit mit der Politik manchmal mit eine Rolle spielt. In der Schweiz gibt es eine stärkere Trennung zwischen Wahl und Abstimmung.

Entscheidend sind die relevanten Informationen

Wie findet denn eigentlich das Wahlvolk seine Position? Auf welche Art und Weise findet da Kommunikation statt?

Volker Mittendorf: Das ist eben sehr unterschiedlich. Je nach dem, wie die Verfahrensregeln festgelegt sind oder auch, wie die kommunale Öffentlichkeit gestaltet ist. Deswegen sind die Rahmenbedingungen der Kommunikation so wichtig. Denn die Regularien der Kommunikation entscheiden, ob man wirklich von einer souveränen Entscheidung der Bürger sprechen kann oder eben nicht.

Sie sprechen von souveränen Entscheidungen der Bürger. Wie können solche Entscheidungen denn unsouverän sein?

Volker Mittendorf: Weniger souverän, würde ich eher sagen. Denn letzten Endes ist es doch die Frage, was ist Volkssouveränität? In den 1970er Jahren gab es ja so eine partizipative Welle, in der viele davon ausgegangen sind, je mehr Partizipation, desto besser. Letzten Endes hat das dazu geführt, dass die Leute, die am längsten geblieben sind und am lautesten geschrien haben, sich durchsetzten. Das ist die eine Seite. Auf der andere Seite gibt es ein eher elitäres Demokratieverständnis, wo das was hinterher heraus kommt, entscheidend ist und wenn es akzeptiert wird von der Bevölkerung, dann war es eine gute Entscheidung.

Dazwischen liegt die These, dass eine souveräne Entscheidung der gesamten Bevölkerung damit zusammenhängt, was die Leute, die entscheiden, wissen können, wie abgewogen sie entscheiden können. Wenn ich gar nicht alle relevanten Informationen haben kann, ist die Entscheidung natürlich schlechter, als wenn alle Informationen auf dem Tisch liegen. Und da wird die Frage wichtig: Wie fair ist die Berichterstattung? Wie gleichrangig ist der Anteil der Berichterstattung und wie rational ist die Argumentation? Wie rational wird eigentlich mit der knappen Ressource öffentliche Aufmerksamkeit umgegangen?

Wenn ich das jetzt übertrage auf den Bürgerentscheid in Hamburg über die Schulreform, kann man sagen, dass die Gruppe, die den Volksentscheid angestoßen hat, zur Elite der Stadt gehört. Sie verfügte über die entsprechenden Kommunikationskanäle und entsprechende Kommunikationserfahrungen. Wie würden sie das beurteilen, wenn ein Bürgerbegehren aus einer solchen gesellschaftlichen Schicht kommt?

Volker Mittendorf: Wenn man das vor dem Hintergrund der Freiheit sieht: Jeder hat das Recht so etwas zu formulieren. Es ist natürlich in gewisser Weise eine Verschiebung zu den Leuten, die besser damit umgehen können. Dass sich so etwas ergibt, ist relativ nachvollziehbar. Aber das gibt es auch in der repräsentativen Demokratie und da sogar noch stärker.

Lobby-Einfluss und Fairness

Inwiefern ist es in der repräsentativen Demokratie stärker?

Volker Mittendorf: Diejenigen, die wissen, wie man mit den Institutionen umgeht, können sich bei der Regierung viel leichter Gehör verschaffen. Beispielsweise durch Einflussnahme über Lobbys oder Interessengruppen. In der repräsentativen Demokratie können die gesellschaftlichen Gruppen viel leichter Einfluss nehmen, die die verschlungenen Wege kennen. Dieses Wissen ist jedoch in der repräsentativen, genauso wie in der direkten Demokratie ein Problem. Nur sind diese Wege in der direkten Demokratie viel transparenter.

Wie funktioniert das dann eigentlich in der Schweiz? Sie sagen, die Schweizer Bevölkerung hat eine völlig andere Kultur bei der Umgehensweise mit Volksentscheiden. Wird da genauer darauf geachtet, wer was wie kommuniziert?

Volker Mittendorf: Es gibt ein starkes Gespür für eine gewissen Fairness. Vor der Abstimmung gibt es ein Abstimmungsbüchlein, wo die Positionen der Ratsmehrheit, wie auch die Position der Initiatoren in einer abgewogenen Form nebeneinander gestellt werden, um sie der Bevölkerung zur Verfügung zu stellen. Wenn das nicht fair gemacht wird, gibt es böse Leserbriefe und sehr viel Ärger. In der Schweiz ist es allerdings ein Manko, weniger auf kommunaler, als vielmehr auf der nationalen Ebene, dass es keine Abstimmungskostenerstattung gibt. Dadurch setzen sich stärkere Finanzinteressen leichter durch. Auf lange Sicht wirkt sich das allerdings nicht besonders stark aus.

Volksinitiativen brauchen Zeit: das Minarett-Verbot

Ist eine bessere finanzielle Ausstattung ein möglicher Grund für den Entscheid über das Minarettverbot in der Schweiz?

Volker Mittendorf: Da war es eigentlich etwas völlig anderes. Da wurde nicht lang genug diskutiert. Weil vorher die Meinungsumfragen ergeben hatten, dass der Volksentscheid nur maximal 35 bis 40 Prozent Zustimmung erhalten würde. Vermutlich war das ein Messfehler in der Meinungsbefragung. Erst in den letzten 14 Tagen hat sich gezeigt, dass sich wohl doch eine Mehrheit für das Verbot ergeben würde. Es gab also von der Gegenseite keine besonders starke Mobilisierung, weil man das dort schnell vom Tisch haben wollte.

Die Gegner des Minarettverbotes haben also gar nicht gewusst, was da auf sie zu kommt?

Volker Mittendorf: Die Gegner habe es unterschätzt! Ein wichtiger Punkt ist: Volksinitiativen brauchen Zeit. Das verzögert zwar eine Abstimmung, aber langfristig macht es die Entscheidung besser. Und wenn man sich die Zeit nicht nimmt, dann geht es daneben. Unter Umständen emotionalisiert es die Entscheidung sogar noch gegen Ende besonders stark.

“Protestfest“

Sie haben vorhin gesagt, in Deutschland stören Volksentscheide die Politiker eher. Stichwort: Stuttgart 21. Glauben Sie, dass ein Volksentscheid über den Bau des neuen Bahnhofes in Stuttgart etwas hätte bringen können. Die Stuttgarter Bevölkerung wirft ja der Politik vor, dass sie nicht gefragt wurde.

Volker Mittendorf: Ich denke, es gibt eine ganze Menge an Instrumentarien, auf die verzichtet wurde. Über verschiedene Bürgerbeteiligungsverfahren – von runden Tischen über sogenannte Planungszellen bis hin zu Bürgerentscheiden – hätte die Entscheidung vorher protestfester gemacht werden können.

Es ist ja offensichtlich, an wie vielen Ecken sich jetzt der Protest fest macht. Da ist der Bauuntergrund, es besteht die Angst, dass der Bahnhof zusammenfällt, wie das Kölner Stadtarchiv. Da ist die Angst, dass der Bau die Heilquellen in Mitleidenschaft zieht. Oder die Angst von Innenstadtbewohner, dass sie zu Lebzeiten nicht mehr in der Park können. Die Kosten bereiten vielen große Angst. Und natürlich ist da als verbindende Klammer, dass sich viele von den relevanten Informationen ausgeschlossen fühlen. Das ist ein Gemenge, das die Proteste jetzt hochkochen lässt.

Ist es aus ihrer Perspektive eine Begründung dafür, dass Volksentscheide nicht besonders gerne durchgeführt werden, weil dann eben entsprechend informiert werden müsste über die Vorhaben der Politik?

Volker Mittendorf: Ein Volksentscheid ist natürlich ein unheimlicher Informationsaufwand. Das bedeutete, wenn es von einem sporadischen zu einem regulären Politikinstrument werden würde, dass sich der Alltag eines Volksvertreters massiv verändern würde. Er müsste sich viel häufiger in der Bevölkerung einbringen, dort Informationsarbeit leisten, aber auch auf eine größere Informationsnachfrage stoßen. In der Schweiz ist das sichtbar.

Vor einem Volksentscheid gibt es ein viel höheres Interesse an politischen Veranstaltungen, auch bei Leuten, die nicht in Parteien engagiert sind. Die Wähler wollen sich dort auch darüber informieren, warum denkt der Politiker das und wieso will er, dass ich so oder so entscheide. Das macht die Wahrnehmbarkeit von Politik in der Schweiz deutlich spürbarer.

Während deutsche Politiker, wenn sie einmal gewählt wurden, mit ihren Wählern nicht mehr kommunizieren müssen?

Volker Mittendorf: Nicht in dieser Härte. Aber letzen Endes dient die Rechtfertigung der eigenen politischen Position in Deutschland der Maximierung der Wiederwahlchancen. In der Schweiz dient das sowohl der Wiederwahl, als auch der Werbung für eine Position im Volksentscheid.

In der Sache kundig

Dann werden in der Schweiz also die Chancen eines Politikers auf Wiederwahl durch ein wählernäheres Abstimmungsverhalten erhöht?

Volker Mittendorf: Ich würde eher sagen: sachorientierter. Er muss sich in der Sache kundig zeigen, zumindest, in seinen zentralen Politikfeldern und den wesentlichen politischen Fragen. Ein Sozialpolitiker muss seine sozialpolitische Position in einem sozialpolitischen Volksentscheid klar und unmissverständlich festlegen und erklären, warum er im konkreten Fall für diese Position wirbt.

Wenn wir die Qualität von Politik betrachten. Würden sie sagen, dass Schweizer Politik qualitativ besser ist, als deutsche?

Volker Mittendorf: Ich würde das weniger pathetisch formulieren. Volksentscheide können, wenn sie entsprechend ausgestaltet sind, dazu beitragen, dass über die wesentlichen Sachentscheidungen rationaler debattiert wird. Also, warum ein bestimmtes Argument ankommt und für rational gehalten wird und ein anderes nicht. Während Wahlen sich wesentlich stärker darauf konzentrieren, was macht einen guten Politiker aus. Welche moralischen und normativen Positionen nimmt er ein.

Auch wenn jemand vielleicht meine normativen Positionen einnimmt, aber ein unprofessioneller Vertreter dieser Position ist, ist das in der Schweiz leichter interpretierbar in der späteren Debatte über den Wahlausgang. Andererseits kann ich kompetente Kandidaten wählen, auch wenn ich im ein oder anderen Punkt nicht mit ihm übereinstimme. Ich kann ja im Zweifelsfall in der Volksabstimmung anders entscheiden.

Das Quorum

Sie sagen, dass die Art und Weise eines Volksentscheides in der Schweiz und in Deutschland relativ ähnlich sind. Welche Unterschiede gibt es denn und wie wirken sich diese aus?

Volker Mittendorf: Vom grundlegenden Design sind sie ähnlich. Bei der Ausgestaltung gibt es natürlich größere Unterschiede. Vor allem bei den sogenannten Quoren, also die Unterschriftenhürde, bevor man zum Volksentscheid kommt. In Deutschland haben wir sehr oft ein sogenanntes Zustimmungsquorum. Sprich, ein bestimmter Anteil der Bevölkerung muss sich im Sinne des Begehrens entscheiden, damit es überhaupt gültig ist. Das führt natürlich dazu, dass die Gegenposition möglichst die Wichtigkeit des Volksentscheides reduzieren möchte und sich dementsprechend nicht der Debatte stellt.

In der Schweiz gibt es kein Zustimmungsquorum?

Volker Mittendorf: Richtig, da ist eine Entscheidung, auch wenn sie nur von 30 Prozent getroffen wird, eine Mehrheitsentscheidung. Das macht die Sache hinterher auch wesentlich leichter interpretierbar. Es ist dann sichtbar, welche Argumente in der Bevölkerung geführt wurden. Die verallgemeinerbaren Argumente sind in der Öffentlichkeit sehr präsent und können im Alltagsgeschäft viel leichter in breit akzeptable Entscheidungen umgemünzt werde.

In Deutschland gibt es sehr häufig nach einem gescheiterten Volksentscheid eine Debatte, in der sich beide Seiten als Sieger sehen. Die Elemente des Volksentscheides, die sich in der Auseinandersetzung gezeigt haben, können damit in späteren Debatten viel schwieriger wieder aufgenommen werden. Es ist in Deutschland eben unklar, ob es eine echte Mehrheit für das Bürgerbegehren gab oder ob beispielsweise nur wegen der Hürde die Gegner lieber zuhause geblieben sind. Damit ist auch unklar, ob es bei einer Abstimmung ohne Zustimmungshürde vielleicht einen ganz anderen Ausgang gegeben hätte. Das weiß man einfach nicht. Dadurch gibt es hinterher große Interpretationsschwierigkeiten.

Für mich hört sich das so an, als wären diese Quoren eingeführt worden, damit nicht all zu viele Volksentscheide durchgeführt werden müssten?

Volker Mittendorf: Das Einleitungsquorum ist eine Hürde, um nicht zu viele Volksentscheide zu haben. Das Zustimmungsquorum ist eine Hürde, die eingeführt wurde, dass nicht eine Zufallsminderheit eine Entscheidung treffen kann. Von der Logik ist das im Prinzip plausibel. Aber die Bedingungen, wie transparent die relevanten Informationen über den Entscheid zur Verfügung gestellt werden, werden damit natürlich leicht verschlechtert.

Hamburg und die Bildung

Wenn man dann noch davon ausgeht, dass es eben eine bestimmte Informationshoheit gibt, dann ist ein solcher Volksentscheid doch relativ leicht manipulierbar? Zumindest leichter als in der Schweiz.

Volker Mittendorf: Ja, genau. In Hamburg, beim Volksentscheid über die Schulreform hat das allerdings keine Rolle gespielt. Da waren Pro und Contra öffentlich präsent. Es wurde einfach übersehen, dass es sich um ein sogenanntes positionales Gut handelt. Es ging gar nicht allein um bessere Bildungschancen für die Allgemeinheit der weniger gebildeten. Vielmehr ging es darum, dass der bildungsaffine Mensch, auch wenn er aus einem sozial schwächeren Hintergrund kommt, für sein Kind eine bessere Bildung haben will.

Es gab ja auch in Hamburg in sozial schwächeren Stadtteilen eine Mehrheit für den Volksentscheid. Daran sieht man, dass die Leute, die wählen gegangen sind, eine gewissen Affinität zu Bildung hatten. Sie wollten quasi für ihre Kinder bessere Bildungschancen haben, aber nicht allgemein. Das Problem mit Bildung ist, sie ist umso mehr wert, je mehr sie mehr ist als das, was andere Leute haben.

Bildung ist ein elitäres Instrument.

Volker Mittendorf: Genau, wenn alle Leute gleich viel davon haben, dann habe ich im Prinzip weniger davon. Das ist der absurde Effekt von Bildung. Trotzdem wird niemand im Volksentscheid öffentlich mit Erfolg der Forderung widersprechen, dass es allgemein einen höheren Bildungsstand geben sollte und dass die Bildungschancen für alle gleich sein sollten. Das ist meines Erachtens das Problem der Hamburger Debatte gewesen, dass diese beiden Probleme nicht auseinander gehalten wurden.

Wenn ich sozial schwach bin, dann will ich nicht die gleiche Bildung für mein Kind, wie mein Nachbar, sondern eine viel bessere Bildung. Daher hat es auch in einigen sozial schwächeren Stadtteilen eine Mehrheit für den Volksentscheid gegeben. Dazu kommt, dass die Hamburger der regierenden Politik eine Art Denkzettel geben wollten. Das ist ein Problem, wenn es zu selten Volksentscheide gibt.

Niedrigere Zustimmungshürden! Keine Fernsehwerbung!

Wie würden sie in Deutschland Volksentscheide verbessern?

Volker Mittendorf: Ich würde vor allem die Quoren senken. Vor allem die Zustimmungsquoren. Die Einleitungsquoren würde ich in den meisten Bundesländern auch senken. Vor allem in den größeren Städten, weil es da einen höheren Bedarf an Volksentscheiden gibt. Auf der Bundesebene würde ich, was die Meinungsbildung betrifft, möglichst geringe Zustimmungsquoren setzen und dafür sorgen, dass es eine Wahlkampfkostenerstattung gibt. Damit möglichst gleichrangig berichtet wird. Und, ein ganz wichtiger Punkt, ich würde Fernsehwerbung nicht zulassen.

Warum das?

Volker Mittendorf:: Fernsehwerbung kann viel leichter falsche Zusammenhänge suggerieren, dafür gibt es vor allem Beispiele in den USA. Der Wähler glaubt, dass er mit einer Ja-Stimme etwas ganz anderes erreicht, als tatsächlich erreicht wird. Wenn es im Fernsehen eine Debatte gibt, aber keine bezahlte Werbung, würde das wesentlich schwerer passieren.