Brüderle rettet den Grauen Kapitalmarkt

Der Wirtschaftsminister und die Finanzlobby konnten sich durchsetzen. Auch künftig werden die Finanzdienstleister auf dem Grauen Kapitalmarkt genau so wie die Betreiber einer Döner-Bude kontrolliert

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Wie lange ist es eigentlich her, als jeder Politiker mit sorgenvollem Gesicht eine strengere Regulierung der Finanzbranche anmahnte? "Kein Anbieter von Finanzprodukten soll sich der staatlichen Finanzaufsicht entziehen können", so steht es sogar im schwarz-gelben Koalitionsvertrag. Heute sind solche Forderungen unpopulär, von einer ernst gemeinten Regulierung will niemand mehr etwas wissen - schon gar nicht, wenn es um den besonders profitablen Grauen Kapitalmarkt geht, auf dem häufig dubiose Produkte im Strukturvertrieb über Telefon und das Internet angeboten werden.

Finanzminister Schäuble trat mit dem Plan an, diese Finanzgeschäfte der Finanzaufsicht zu unterstellen. Er scheiterte jedoch an Wirtschaftsminister Brüderle und den Lobbyisten. Der gemeinsame Gesetzesentwurf, auf den sich Finanz- und Wirtschaftsministerium geeinigt haben, bietet kaum mehr als ein wenig Kosmetik. Bevor das Papier dem Bundestag zur Abstimmung übergeben wird, hat jedoch noch das Verbraucherschutzministerium von Ilse Aigner ein Wort mitzureden. Dort gibt man sich jedoch noch bedeckt.

Mit fragwürdigen Methoden in das Zentrum der Macht

Wie weit man es mit Geschäften am Grauen Kapitalmarkt bringen kann, zeigt das Beispiel Carsten Maschmeyer. Der milliardenschwere Schnurrbartträger, der an Seite seiner Lebensgefährtin Veronica Ferres die Hochglanzmagazine füllt, hat seinen Reichtum dem Strukturvertrieb von Finanzprodukten zu verdanken. Maschmeyer ist jedoch kein Schmuddelkind, sondern so nah an der Macht wie kaum ein anderer - bestens vernetzt, Duzfreund von Ex-Kanzler Schröder, Vertrauter der Minister Westerwelle und Rösler und Intimus von Bundespräsident Wulff, der sogar seinen diesjährigen Sommerurlaub auf dem pompösen Maschmeyer-Anwesen auf Mallorca verbringen durfte.

Sein Unternehmen AWD hat Maschmeyer vor zwei Jahren an den Schweizer Konzern Swiss Life verkauft und sich dafür im Gegenzug bei Swiss Life eingekauft. Heute ist Maschmeyer nicht nur größter Einzelaktionär von Swiss Life, sondern auch zusammen mit seinem Geschäftspartner Bert Rürup Cheflobbyist in Sachen "privater Altersvorsorge". Was für eine Karriere für einen ehemaligen Strukturvertriebler.

Die Opfer seiner Drückerkolonnen stehen nicht im Licht der Scheinwerfer, sie müssen oft lebenslang unter den Schulden leiden, die sie dank der innovativen Finanzprodukte, die ihnen von AWD-Vertrieblern als solide Altersversorgung angepriesen wurden, abtragen müssen. Ein Beispiel für solche Finanzprodukte sind geschlossene Immobilienfonds. Die Anleger beteiligen sich dabei als Unternehmer an einer Immobiliengesellschaft. Oft sind die Modelle darauf ausgerichtet, zu Beginn der Laufzeit hohe Verluste zu erwirtschaften, die steuerlich absetzbar sind. Ob das Modell überhaupt jemals Gewinne abwirft, kann den Vermittlern jedoch egal sein - sie profitieren dank überaus lukrativer Vermittlungsprämien (teilweise über 10%) am Verkauf der Anteile, auf dem - teilweise exorbitanten - Risiko bleiben die Anleger alleine sitzen. Ein Totalverlust der Investitionen ist keinesfalls unüblich, bei bestimmten Modellen kann der Anleger sogar zusätzlich mit seinem Privatvermögen für Verluste, die über das Anlagevolumen hinausgehen, haftbar gemacht werden.

Risiken und Betrug am Grauen Kapitalmarkt

Solch riskante Anlageformen mögen ihre Daseinsberechtigung haben - sie sind jedoch eher für risikofreudige Profis gedacht, die dank eines hohen Einkommens die Verlustvorträge überhaupt erst geltend machen können. Für Normalverdiener, die Verluste nicht voll steuerlich absetzen können und eine Anlage für die Absicherung im Alter suchen, sind solche Produkte allerdings nichts.

Genau diesen Kunden werden diese geschlossenen Fonds aber immer wieder von freien Vermögensberatern verkauft. Die Finanzmarktkrise hat diese Entwicklung sogar noch verstärkt, da die Vermittler solcher Produkte geschickt mit den Ängsten der Anleger jonglieren und "feste Werte" wie Immobilien gemeinhin als sicherer gelten als reine Finanzanlagen. Wer sich jedoch vor Augen hält, dass die Provision für ein solches Geschäft ein Vielfaches der Provision beträgt, die beispielsweise für die Vermittlung einer klassischen Lebensversicherung oder gar deutscher Staatsanleihen anfällt, erkennt auch schnell die eigentliche Motivation der Akteure am Grauen Kapitalmarkt.

Wie hoch der Schaden für gutgläubige Anleger ist, lässt sich nur erahnen. Experten gehen von rund 30 Milliarden Euro pro Jahr aus, die Dunkelziffer ist jedoch wesentlich höher. Die Kriminalstatistik des BKA weist für das letzte Jahr 18.000 Fälle auf, jedoch kommen nur die wenigsten Fälle zur Anzeige, wie eine Studie des BKA ergab. Die Gründe dafür liegen auf der Hand - oft ist es den Geschädigten schlichtweg zu peinlich, sich als Opfer zu outen, in vielen Fällen wurden die Modelle jedoch auch gezielt zum Zweck der "Steuervermeidung" abgeschlossen und bewegen sich auch steuerrechtlich in der Grauzone.

Verpasste Chancen zur Regulierung

Wie könnte man diesen Sumpf trockenlegen? Hilfreich wäre es, wenn Finanzberater, die auf Provisionsbasis arbeiten, dem Kunden ihre Provisionen offenlegen müssten. Hilfreich wäre es auch, wenn die finanziellen Folgen von Beratungsfehlern über ein gesetzlich vorgeschriebenes Haftungsdach abgesichert wären. Zudem wäre es sinnvoll, wenn der Vertrieb von Finanzprodukten generell unter das Kreditwesengesetz gestellt würde, so dass die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen (BaFin) die Kontrolle übernehmen könnte.

All dies wurde von Finanzminister Schäuble auch gefordert, all dies ist im aktuellen Gesetzesentwurf allerdings auf Wunsch von Wirtschaftsminister Brüderle wieder gestrichen wurden. Eine Regulierung würde Bürokratie und Kosten mit sich bringen, so die Argumentation des Wirtschaftsministeriums. Das ist natürlich eine Binse, auch die Kontrolle des Alkoholverbots im Straßenverkehr bringt Bürokratie und Kosten mit sich, dennoch käme wohl noch nicht einmal der bekennende Freund des deutschen Weins Brüderle auf die Idee, diese Form der Regulierung aufzugeben.

Erfolg der Lobbyisten

Nun darf darüber spekuliert werden, ob Brüderles Engagement für den Grauen Kapitalmarkt nun das Produkt liberaler Markthörigkeit oder erfolgreicher Einflüsterungsversuche der Finanzlobby ist - zumindest Frank Rottenbacher, Vorsitzender des Finanzdienstleisterverbandes AfW feierte sein erfolgreiches Lobbying mit deutlichen Worten:

Das war fünf vor Zwölf für die gesamte Vermittlerschaft. Unzählige Hintergrundgespräche in Ministerien und mit Abgeordneten, aber auch medienwirksame Aktionen sind für einen solchen Erfolg erforderlich. Ich glaube, es bedarf keines weiteren Beweises mehr, dass ein starker Berufsverband zur Gefahrenabwehr und Durchsetzung der eigenen Interessen unbedingt notwendig ist.

Frank Rottenbacher

Der Erfolg der Finanzdienstleisterlobby ist in der Tat erstaunlich. Auch künftig unterliegen Finanzvermittler der gleichen Aufsicht wie Blumenhändler, Straßenmusiker oder Prostituierte - sie werden von den Gewerbeämtern kontrolliert. Da vor Ort die nötigen Kompetenzen natürlich nicht vorhanden sind, wird sich diese Kontrolle auch künftig auf reine Formalitäten beschränken. Wie die Gewerbeämter die Arbeit der rund 80.000 freiberuflichen Finanzvermittler inhaltlich und im Sinne des Verbraucherschutzes kontrollieren sollen, weiß man auch im Wirtschaftsministerium nicht.

Letzte Hoffnung

Die letzte Hoffnung für die potentiellen künftigen Opfer des Grauen Kapitalmarktes ruht nun auf der CSU-Politikerin Ilse Aigner. Ihr Ministerium für Verbraucherschutz ist ebenfalls für die geplante Gesetzesnovelle zuständig und wird sich in den kommenden Wochen mit dem gemeinsamen Vorschlag des Finanz- und Wirtschaftsministeriums auseinandersetzen.

Inhaltlich wollte man gestern im Verbraucherschutzministerium keine Angaben zur Sache machen. Nun wird sich zeigen, ob der Verbraucher Frau Aigner genauso am Herzen liegt wie die lichtscheuen Hausbesitzer, die sich durch Google Street View bedroht sehen. Sollte das Verbraucherschutzministerium nicht intervenieren, wird die Forderung nach einer besseren Regulierung der Finanzbranche endgültig zur hohlen Phrase.