Frühkindliche Traumatisierungen haben Folgen bis in die dritte Generation

Nach einer Studie werden die Folgen der Traumatisierung durch epigenetische Veränderungen "vererbt"

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Wer in jungen Jahren eine starke posttraumatische Belastungsstörung (PTDS) erfahren hat, beispielsweise von den Eltern nicht genügend, unzuverlässig oder chaotisch betreut worden ist, ist nicht nur selbst für sein weiteres Leben belastet, die psychischen Störungen können sich auch noch bei den Kindern und sogar bei den Enkeln auswirken. Wie Isabelle Mansuy und Kollegen vom Hirnforschungsinstitut der Universität Zürich in ihrem Beitrag für die Zeitschrift Biological Psychiatry bestätigen, können einige Folgen von Traumatisierungen über Generationen hinweg wirken.

Wie die Forscher anhand von Versuchen mit Mäusen herausgefunden haben, werden schlimme Erfahrungen in der Kindheit nicht nur direkt an die eigenen Kinder über das Verhalten weiter gegeben, sondern die Traumatisierungen scheinen sich in epigenetischen Veränderungen niederzuschlagen, bei denen zwar nicht die DNA mutiert, aber es zu anderen Mustern der Genexpression kommt. Junge Mäuse wurden vom ersten Tag der Geburt an immer wieder und unvorhersagbar jeden Tag 3 Stunden lang von ihren Müttern getrennt. Das führte zu Depressionen und Angst, und veränderte die Reaktion der jungen Mäuse auf neue und negative Umweltbedingungen. Aus anderen Versuchen mit Säugetieren hatte sich gezeigt, dass vor allem die Unvorhersagbarkeit negative Folgen hatte. Ereignet dich die Trennung von der Mutter vorhersagbar und jeden Tag zur gleichen Zeit, so ist dies anscheinend auszuhalten.

Offenbar werden die stressbedingten Verhaltensweisen besonders über die männlichen Mäuse an den Nachwuchs weiter gegeben. Das hat aber auch mit den Versuchsbedingungen zu tun, denn im Unterschied zu den Müttern konnten die Kinder von Geburt ganz von den Vätern separiert werden. Dadurch konnten sie nicht das Verhalten der Väter kopieren, wohl aber vielleicht das ihrer Mütter. Verändert wird die Methylierung einiger Gene in der Keimbahn und im Gehirn, was auch zur Veränderung einiger Gene in der Keimbahn der Kinder führt. Wie dies geschieht, ist allerdings noch unbekannt.

In der Konsequenz hieße dies, dass traumatische Erfahrungen, die Kinder familiär oder auch gesellschaftlich etwa durch Kriege oder gewaltsame Konflikte erleben, in die zweite und dritte Generation weiter gegeben werden können, zumindest dann, wenn die Folgen nicht gezielt kompensiert werden. Und dies hieße, dass sich Verhaltensweisen, die sich durch Umweltbedingungen gebildet haben, eben auch über Generationen "genetisch" vererben, die sich auf diese Weise darauf einrichten, mit schlimmen Situationen zurechtzukommen.

Gesellschaftlich würde eine solche "Vererbung" von Umwelterfahrungen die Verantwortlichkeit dafür enorm erhöhen, dass Menschen nicht in solche belastenden Situationen geraten, an denen nicht nur sie, sondern auch ihre Nachkommen leiden, wenn auch nicht unbedingt bis ins tausendste Glied, wie die Bibel lehrt. Umgekehrt könnte man natürlich auch denken, worauf John Krystal, der Chefredakteur von Biological Psychiatry hinweist, dass sich nicht nur negative, sondern vielleicht auch positive Erfahrungen epigenetisch niederschlagen könnten – was die Verantwortung der Gesellschaft, sofern sie auf Chancengleichheit und nicht allein auf Elitenförderung ausgerichtet ist, noch einmal verstärken würde.