Nach Amnesty wird in irakischen Gefängnissen weiter gefoltert

Zehntausende von Gefangenen würden teils seit Jahren ohne Anklage eingesperrt, die irakische Regierung und das Pentagon weisen die Vorwürfe zurück

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Nach der Befreiung des Irak von der Diktatur Saddam Husseins und dem Abzug der Kampftruppen hat offensichtlich nur ein Unrechtsregime das andere abgelöst. Zur Legitimation des Einmarsches in den Irak wurde neben den angeblich vorhandenen Massenvernichtungswaffen von der US- ("The war goes on, and we are winning") und der britischen Regierung (Opportuner Umgang mit Menschenrechtsverletzungen) auch auf die schweren und massenhaften Menschenrechtsverletzungen in dem Land hingewiesen. Um darauf hinzuweisen, dass die Angreifer die Guten sind und in ihrem Gepäck Freiheit und Demokratie mit sich bringen, wurde der Krieg auch sicherheitshalber Operation Iraqi Liberation, später: Operation Iraq Freedom getauft.

Allerdings haben die USA im Irak im Kampf gegen die Aufständischen ebenfalls zahlreiche Menschenrechtsverletzungen begangen, von willkürlichen Tötungen von Zivilisten über Folter wie in Abu Ghraib bis hin zu zahllosen Verhaftungen auf Verdacht und langen Inhaftierungen ohne Anklage und Prozess (Irakische Häftlinge in US-Gefängnissen). Mittlerweile hat das Pentagon alle Gefangenen der irakischen Regierung übergeben, zuvor waren Tausende nach oft Jahre langer Haft ebenso willkürlich wieder frei gelassen worden.

Schon kurz nach dem Antritt der ersten "souveränen" irakischen Regierung nach der Invasion wurde bekannt (In der Zwickmühle), dass Gefangene gefoltert und misshandelt wurden. Das ging auch mit Duldung der US-Regierung so weiter (Folter in irakischen Lagern). 2008 wurde zwar ein Amnestiegesetz verabschiedet, nach dem alle noch nicht angeklagten Gefangenen entlassen werden müssen, wenn sie nicht innerhalb von einem Jahr vor ein Gericht gestellt werden, dennoch sind noch Tausende Menschen ohne Verurteilung in Haft, teilweise sogar, wenn ihre Freilassung längst angeordnet wurde. Die von der US-Regierung eingeführte Willkürjustiz setzt sich also fort.

Wie Amnesty in dem Bericht Iraq: New order, same abuses: Unlawful detentions and torture in Iraq scharf kritisiert, befinden sich in den Gefängnissen noch schätzungsweise 30.000 Menschen, meist Sunniten, die ohne Anklage und Prozess manchmal schon seit sieben Jahren dort festgehalten werden und Misshandlungen und Folter fürchten müssen. Amnesty spricht auch von Geheimgefängnissen, in denen Menschen zu Geständnissen gezwungen werden. Zudem würden Menschen verschleppt. Das irakische Rechtssystem ist aufgespalten, so betreiben das Justiz-, Innen und Verteidigungsministerium eigene Gefängnisse.

Die irakischen Sicherheitskräfte hätten "systematisch die Rechte der Häftlinge verletzt", ohne zur Rechenschaft gezogen werden. Die Menschenrechtsverletzungen würden vom irakischen Staat geduldet werden. Obgleich all dies bekannt war, hat das Pentagon auf unverantwortliche Weise die letzten 1.900 im amerikanischen Camp Cropper eingesperrten Menschen der irakischen Regierung im Sommer übergeben. Auf Garantien zu deren Schutz vor Folter und Misshandlungen habe man verzichtet. 200 Personen würden aber weiterhin, angeblich auf Bitte der irakischen Regierung, vom US-Militär gefangen gehalten. Um wen es sich handelt, hat Amnesty nicht herausfinden können.

Erst im April wurde ein Geheimgefängnis mit 400, meist sunnitischen Häftlingen am alten Muthanna-Flughafen bekannt, das dem Ministerpräsidenten al-Maliki unterstellt war, aber seitdem geschlossen wurde. Dort seien die Meisten gefoltert und misshandelt worden. Die Praxis, durch Folter vorbereitete Geständnisse zu erzwingen, ist nach Amnesty gang und gebe. Die Geständnisse führen auch zu Todesurteilen. Geschlagen werden die Gefangenen mit Kabeln und Schläuchen, sie werden an Gelenken über lange Zeit aufgehängt, mit Elektroschocks gequält. Knochen werden gebrochen, Finger oder Zehen abgeschnitten, man lässt Gefangene in übers Gesicht gezogenen Plastiktüten fast ersticken, bohrt Löcher in ihre Körper oder droht ihnen mit Vergewaltigung oder führt sie aus. Auch in den kurdischen Gebieten geht es nach Amnesty nicht mit rechten Dingen zu. Auch werden Menschen unrechtmäßig über lange Zeit inhaftiert, manche verschleppt und gefoltert.

Irak, das zum leuchtenden rechtsstaatlichen Vorbild für die Region werden sollte, hat sich also in dieser Hinsicht nicht groß verändert. Und weil US-Präsident Obama sein Wahlversprechen des Abzugs bis 2011 umsetzen muss, bleibt ein instabiler Staat zurück, in dem nicht nur Gewalt und Willkür herrschen, sondern der auch in einen Bürgerkrieg zu rutschen droht. Seit den Wahlen im März dieses Jahres konnte noch keine neue Regierung gebildet werden. Die Arbeitslosigkeit liegt offiziell bei 50 Prozent, ist aber in Wirklichkeit viel höher. 7 Jahre nach der Invasion haben noch immer 70 Prozent der Menschen keinen Zugang zu sauberem Wasser, das Bildungs- und Gesundheitssystem ist sehr mangelhaft, weiterhin gibt es meist nur eine zeitweise Stromversorgung.

Die irakische Regierung weist den Bericht als übertrieben zurück. Es gäbe in den Gefängnissen keine politischen Häftlinge, alle Gefangenen seien aufgrund terroristischer Aktionen oder krimineller Vergehen verhaftet worden. Folter könne in vereinzelten Fällen vorkommen, sei aber nicht verbreitet. Es gebe nicht 30.000, sondern etwa 12.000 Häftlinge, die meisten seien angeklagt und würden auf den Prozess warten. Beschuldigungen würde nachgegangen, Misshandlungen nicht geduldet. Das Pentagon stellt sich hinter die irakische Regierung. Ein Sprecher, Oberstleutnant Bob Owen, erklärte am Montag, dass die Häftlinge "wahrscheinlich" nicht Folter und Misshandlungen in irakischen Gefängnissen erwarten müssten. Die Gefängnisse würden oft kontrolliert und würden internationalen Maßstäben folgen. Und man weist auch jeden Vorwurf an die eigene Adresse zurück: "Die USA verletzen keine internationalen Abkommen im Irak im Hinblick auf Gefangene."