Die Prüfinstanz im Gehirn

Das für die Introspektion kennzeichnende Gewebe in der anterioren präfrontalen Hirnrinde aus verschiedenen Perspektiven

Warum manche Menschen eigene Entscheidungen effizienter überprüfen können als andere

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Ob sich jemand mit großer Überzeugung irrt oder unsicher auf dem richtigen Weg ist, kann im Alltag enorme Auswirkungen haben. Forscher haben die Gehirnstrukturen gefunden, die zwischen den beiden Fällen entscheiden: Hier findet die Introspektion statt, der wichtige Check, ob eigene Überlegungen und Entscheidungen denn tatsächlich richtig sind.

Die Fähigkeit zur effizienten Introspektion ist kein rein akademisches Forschungsgebiet - sie ist ein weitgehend unerforschtes, dabei aber ökonomisch und politisch ungemein bedeutendes Phänomen. Den meisten fällt sie erst durch ihr Fehlen auf - zum Beispiel beim Chef. Es gehört zu den typischen Karrieren in unserem Wirtschaftssystem, dass genau die Menschen auf der Karriereleiter nach oben klettern, die von sich und ihren Entscheidungen grenzenlos überzeugt sind. Zweifel, gar Selbstzweifel, sind verdächtig - fehlt es dem Betreffenden gar an Entscheidungskompetenz?

Doch nicht nur Angestellte müssen darunter leiden, auch Angeklagte in Gerichtsprozessen bekommen mangelnde Introspektion zu fühlen. Wenn zwei Zeugen vor dem Richter stehen, die gegensätzliche Aussagen machen, kommt es in der Regel sehr darauf an, wie überzeugt die beiden von ihrer eigenen Wahrnehmung sind. Geglaubt wird oft dem Zeugen, der sich selbst am wenigsten in Frage stellt - dabei ist der Überzeugungsgrad doch kein Kennzeichen dafür, wie richtig oder falsch eine Wahrnehmung ist. In solchen Fällen müsste man nun eigentlich den Zeugen ins Gehirn schauen - denn aus dessen Struktur ist ablesbar, wie ausgeprägt die Fähigkeit eines Menschen zur Introspektion ist. Das berichten jedenfalls Biologen des University College of London in der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins Science.

Die Forscher haben dazu 32 Probanden einem Experiment unterworfen, das die Wahrnehmungsfähigkeiten der Testpersonen überprüfte. Doch nicht diese standen im Fokus der Studie, sondern vielmehr das Potenzial der Probanden, die eigenen Entscheidungen zu überprüfen und gegebenenfalls als fehlerbehaftet darzustellen. Dazu hielten die Wissenschaftler die tatsächliche Performance der Studienteilnehmer durch Veränderung der Experimentierbedingungen konstant bei 71 Prozent. Dabei zeigte sich nicht nur ein enormer individueller Unterschied in der Fähigkeit, die eigene Leistung einzuschätzen - bei Aufnahmen mit dem Magnetresonanztomografen erwies sich auch, dass die Größe eines bestimmten Gebietes im anterioren präfrontalen Kortex direkt mit dieser Fähigkeit korrelierte. Eine Beziehung konnten die Forscher auch zur Mikrostruktur der mit diesem Bereich verbundenen weißen Gehirnmasse ausmachen.

Das Problem des allzu von sich selbst überzeugten Chefs sollte sich auf diese Weise zumindest unter dem MRT belegen lassen. Zudem scheinen die Ergebnisse auch zu belegen, dass es diese Art von Meta-Kognition (also Gedanken über andere Gedanken) überhaupt gibt - man könnte ja auch argumentieren, dass Selbstkontrolle funktioniert, indem einfach nur über die Schwierigkeit der Aufgabe reflektiert wird, nach dem Prinzip: Je komplizierter ein Problem, desto eher irre ich mich. Die von den Forschern gefundene Hirnstruktur spricht für eine echte Meta-Kognition, weil sie selbst keinen Input von unseren Sinnen erhält und nur von anderen, nachweislich mit Entscheidungen befassten Arealen gespeist wird.

Allerdings ist durch die Untersuchung eine andere wichtige Frage noch nicht geklärt - handelt es sich um eine fixe Eigenart der Anatomie des menschlichen Gehirns, oder lässt sich die Größe des Introspektions-Areals (und damit die Fähigkeit zur Selbstüberprüfung) eventuell durch Training erhöhen? Das wäre eine wichtige Qualifikation für Personen, die diese Fähigkeit besonders dringend benötigen - vom Richter bis zum Politiker.