Zu schön, um wahr zu sein?

Finanzämter piesacken Gastwirte wegen zu großer Schnitzel und zu gut eingeschenkter Gläser

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Auf dem Münchener Oktoberfest müssen sich Wirte immer wieder den Vorwurf des schlechten Einschenkens gefallen lassen, der entsprechend angetrunkene Gäste teilweise sogar zum Randalieren brachte. Andernorts sind die größten Sorgen von Gastronomen dagegen nicht zu sparsam, sondern zu generös bemessene Portionen.

Ein talentierter Finanzbeamter hat viel mit Dr. House gemeinsam: Er glaubt daran, dass jeder ihn anlügt. Ist er nicht nur talentiert, sondern auch fleißig, dann versucht er, den ihm zugewiesenen Steuerzahlern diese Lügen nachzuweisen. Bei Wirten geht das zum Beispiel dadurch, dass man die eingekauften Mengen an Getränken und Nahrungsmitteln mit den verkauften Portionen vergleicht. Ergibt sich dabei ein Missverhältnis, dann hat der Finanzbeamte einen Anhaltspunkt dafür, dass der Gastwirt entweder die Steuerbehörde oder seine Kunden übervorteilt - je nachdem, in welche Richtung die Abweichung geht.

Foto: Jochen Laier. Lizenz: CC-BY-2.0.

Das Problem dabei ist, dass diese Abweichung nur ein Anhaltspunkt für eine Lüge ist und sich durchaus auch durch andere Faktoren erklären kann - etwa durch besonders ungeschicktes Küchen- und Schankpersonal oder durch Portionen, die von Standards nach oben abweichen. Solche Erklärungen mögen seltener vorkommen als die Lügen - aber es gibt sie durchaus. So sah sich beispielsweise ein Haidhausener Wirt, dessen großzügige Einschenkpolitik der Autor aus eigener Erfahrung kennt, ebenso mit einem solchen Vorwurf konfrontiert wie ein Münchener Innenstadtclub, dessen Barkeeper mit den Mixgetränken weniger knauserig umging als viele seiner Kollegen.

Ebenfalls zuzutreffen scheint die Erklärung für Gerhard Kaltscheuer, einem Wirt aus dem sächsischen Hammerbrücke. Wäre das nämlich nicht der Fall, dann hätte er sich mit seinem Anliegen kaum an die Medien gewandt. Kaltscheuer betreibt ein Lokal mit dem aussagekräftigen Namen "Futter- und Schnitzelstube", in dem seinen eigenen Angaben nach vor allem Arbeiter verkehren.

Würde er nach den Vorgaben des für ihn zuständigen Plauener Finanzamts kochen und servieren, so der Wirt, dann liefe ihm die Kundschaft weg. Denn die will Kaltscheuer zufolge vor allem "satt werden", weshalb sein Schnitzel Hawaii auch 200 bis 230 Gramm wiege, mit zwei Ananasscheiben versehen und mit Käse überbacken sei. Das Finanzamt meint dagegen in seinen Berechnungen, dass ein solches Schnitzel höchstens 165 Gramm wiegen und nur mit einer Ananasscheibe ausgestattet sein darf. Auch das Überbacken mit Käse nimmt die Behörde dem Wirt nicht ab.

Die Diskrepanz in den Vorstellungen zur Größe und Ausstattung von Schnitzeln und Steaks sowie Nudel- und Wurstgerichten führte nach einer Steuerprüfung im Juli zu einer Nachforderung in Höhe von stolzen 38.000 Euro, die den Wirt seinen eigenen Angaben nach in die Pleite führen würde, wenn sie aufrechterhalten wird. Allerdings enthält der Nachforderungsbescheid angeblich auch abseits der Portionsproblematik Fehler. So soll sich der Prüfer beispielsweise bei einer simplen Addition um 200 Kilo verrechnet und falsche Verkaufspreise angesetzt haben. Das Plauener Finanzamt nahm eine Gelegenheit, Telepolis seine Sicht auf diese Vorwürfe darzulegen, nicht wahr und verwies stattdessen auf das Steuergeheimnis in § 30 Absatz 4 Nummer 3 der Abgabenordnung.

Weil sich die Behörde auch mit Kaltscheuer nicht auf Diskussionen einlassen wollte, rief der Wirt für den heutigen Montag um 16 Uhr zu einer Demonstration am Plauener Altmarkt auf. Durch das überregionale Medienecho könnte diese Demonstration nicht nur seine Gäste mobilisieren, sondern auch andere Bürger, die mit dem Finanzamt schlechte Erfahrungen gemacht haben oder aus anderen Gründen unzufriedenen damit sind. In manchen Kreisen wird der Schnitzelfall sogar schon als möglicher Startschuss einer deutschen Tea-Party-Bewegung gesehen, was auch den Mitteldeutschen Rundfunk (MDR) bewog, heute ein Kamerateam in die Stadt im Vogtland zu entsenden.