SPD-Parteitag: Links angetäuscht

Foto: S. Duwe

Die SPD ist nicht bereit für eine Abkehr von der erfolglosen Politik der Vergangenheit, sieht sich aber trotzdem als Gewinner der nächsten Bundestagswahl

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Vergleicht man die SPD mit einem Haus und die Schrödersche Agenda-Politik mit einer Umbaumaßnahme, so lässt sich feststellen, dass das Haus durch den Umbau Schaden genommen hat. Auch in der Großen Koalition konnten die Genossen keinen Boden gutmachen. Das Ergebnis: bei der Bundestagswahl 2009 fuhren die Sozialdemokraten mit 23 Prozent das schlechteste Ergebnis der Nachkriegszeit ein.

Trotz der eklatanten Schwäche der schwarz-gelben Regierung konnte sich die SPD davon bisher nicht wirklich erholen. In jüngsten Umfragen erreicht sie gerade einmal einen Punkt mehr als bei der Bundestagswahl und liegt damit gleichauf mit den Grünen. Durch die offensive Pro-Atom-Politik der Regierung könnten die Grünen die SPD sogar überholen. Das ehemals große und stabile Haus SPD aber hat Risse bekommen – da ist es geradezu symbolisch, dass das Dach des Parteitagsgebäudes stellenweise undicht ist, hier und da der Berliner Regen hineintropft. Auf ihrem Bundesparteitag will die SPD diese Risse in ihrem sozialen Profil wieder stopfen.

Dafür muss die SPD allerdings hart arbeiten – deshalb sei man auch nicht im Hotel Estrel, sondern in der Station Berlin, wie die Parteilinke Andrea Nahles zu Beginn erklärte. Der "Arbeitsparteitag" solle die SPD bis 2013 wieder da hinbringen, wo sie hingehöre – in der Bundesregierung, am liebsten zusammen mit den Grünen. Dazu solle die SPD wieder zur Heimat von demokratisch engagierten Bürgern werden, sagte Nahles im Hinblick auf die Proteste gegen Stuttgart 21 und die Volksabstimmungen zur Schulreform in Hamburg und zum Nichtraucherschutz in Bayern.

Generalsekretärin Andrea Nahles sieht die SPD als "linke Volkspartei". Foto: S. Duwe

Auch die politische Linke soll künftig wieder mehr an die SPD angebunden werden. So sprach sich Nahles für eine Bürgerversicherung aus und versprach, dass die Zukunft junger Menschen, die derzeit durch "unbezahlte Praktika, Kettenverträge und andere Sauereien abgespeist" würden, ein Schwerpunkt der nächsten Jahre sei. Außerdem ruderte sie bei der Rente mit 67, die die SPD erst 2007 zusammen mit der Union beschlossen hatte, zurück. Es gebe nicht genug Arbeitsplätze für Ältere, so Nahles. Die Generalsekretärin bezeichnete die SPD als "die linke Volkspartei". Es sei nicht nur die Schwäche der Regierung, sondern auch die Stärke der eigenen Partei, dass die SPD wieder eine wachsende Macht sei. Einen Linksruck stelle die Kurskorrektur allerdings nicht dar, stellte Nahles bereits einen Tag vor dem Parteitag klar. Es gehe vielmehr um eine Weiterentwicklung.

Zwar haben die Sozialdemokraten Eckpunkte beschlossen, die die Partei auch für stärker links orientierte Wähler wieder attraktiv erscheinen lassen sollen, so beispielsweise die Anhebung des Spitzensteuersatzes auf 49 Prozent, die Wiedereinführung einer Vermögenssteuer und eine Steuererhöhung auf Kapitaleinkünfte. Zudem fordert die SPD einen bundesweit gültigen gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro, Leiharbeiter sollen spätestens nach einer "kurzen Einarbeitungszeit" die gleiche Entlohnung erhalten wie ihre regulär beschäftigten Kollegen. Zudem will sich die SPD im Falle eines Wahlsieges gegen den Ausstieg aus dem Atomausstieg einsetzen, in jedem Fall aber gegen die Laufzeitverlängerung vor das Verfassungsgericht ziehen.

SPD-Chef Sigmar Gabriel meint, die Linkspartei müsse sich ändern, nicht die SPD. Foto: S. Duwe

Von einer Annäherung an die Linkspartei allerdings hält man in der SPD nichts. Um mit den Linken zusammenzuarbeiten, müsse sich nicht die SPD ändern, sondern "die müssen sich ändern, um mit uns arbeiten zu dürfen", rief der Parteivorsitzende Sigmar Gabriel in seiner Rede den Genossen zu. Bei der Bundespräsidentenwahl habe die Linke gezeigt, dass sie nicht politikfähig sei, damit sei die Partei dabei, sich überflüssig zu machen, so Gabriel.

Dass die Linke einem rot-grünen Kandidaten Gauck, der inhaltlich eher schwarz-gelbe Positionen vertritt, nicht wählen kann, ohne ihre eigenen Inhalte zu verraten, weiß die SPD – und nutzt Gauck deshalb bis heute, um sich von den Linken abzugrenzen. So trat Gauck, dessen Nominierung eine Idee von Welt-Chefredakteur Thomas Schmid war, auf dem Parteitag erneut auf. Besondere Anziehungskraft übte er auf die Delegierten jedoch nicht aus, was vielleicht auch an der bemerkenswert langen Rede lag, die Gabriel kurz zuvor gehalten hatte. So sah sich der Parteichef gar veranlasst, seine Genossen wieder zurück in den Saal zu rufen, damit Gauck nicht vor halb leeren Reihen sprechen musste.

SPD schmückt sich mit Joachim Gauck. Foto: S. Duwe

Immerhin war auf den links, liberal und konservativ ausgerichteten Gauck inhaltlich Verlass. Er lobte die Politik des Forderns und Förderns. Es sei gut gewesen, dass die SPD nicht auf den kurzfristigen Wahlerfolg geschielt habe. Verantwortung sei von allen Schichten der Gesellschaft zu verlangen, das Fordern helfe dabei. Zugleich warnte Gauck davor, auf die Linken zu schielen, bei denen "irgendwelche Populisten Heilsversprechen" machten.

Wer einen Blick auf das Personal wirft, mit welchem sich die Sozialdemokraten weiterentwickeln wollen, wird auch unabhängig von Gauck zu dem Schluss kommen, dass die SPD noch in ihrem alten Denkmuster verhangen ist. So durfte auch der ehemalige Finanzminister Peer Steinbrück auf dem Parteitag sprechen – angekündigt von Olaf Scholz, der erklärte, Steinbrück mache deutlich, dass Sozialdemokraten etwas von Wirtschaft verstünden. Dabei machte Steinbrück während seiner Amtszeit eklatante Fehler, hielt die Finanzkrise zu lange für ein Problem der USA. Während Steinbrück in den Vereinigten Staaten zügelloses Renditestreben ohne ausreichende Regulierung ausmachte, hatte er mit seinem Staatssekretär Jörg Asmussen einen Mann an seiner Seite, der immer wieder der Deregulierung der Märkte das Wort redete (Schattenmann unter Beschuss). Auch auf dem Parteitag war von Steinbrück kaum etwas über eigene Fehler bei der Finanzmarktregulierung zu hören, wohl aber der altbekannte Spruch, die Finanzkrise habe ihren Ausgang in der US-Hypothekenkrise gehabt.

Der ehemalige Finanzminister Peer Steinbrück als Vertreter der alten Denke. Foto: S. Duwe

Eigentlich, so kann man den Parteivorsitzenden Gabriel auch verstehen, geht es den Sozialdemokraten auch gar nicht um die Schärfung des linken Profils der SPD, welches in den vergangenen Jahren immer wieder abgeschliffen wurde. Die Chance der SPD sei es, dass Merkel derzeit Platz in der Mitte der Gesellschaft mache. Wenn Gabriel jedoch die "Mitte" sucht, so stellt er sich damit unweigerlich in die Tradition von Altkanzler Schröder, der schon in seinem Wahlkampf 1998 um die "neue Mitte" kämpfte, gewann und die Partei mit seinen inhaltlichen Umbaumaßnahmen derart stark beschädigte, dass die Genossen noch heute mit den Bauschäden zu kämpfen haben.

Einiges jedoch spricht dafür, dass sich die SPD wieder auf den alten Weg begibt, sollte sie tatsächlich ihr Ziel, eine rot-grüne Mehrheit bei der kommenden Bundestagswahl, erreichen. Auch Gabriel spricht von "verantwortungsbewussten" Gewerkschaften – ein Loblied auf die im europäischen Vergleich starke Lohnzurückhaltung in Deutschland, die mit ursächlich ist für die riskante, da einseitige Exportorientierung der Bundesrepublik. Mit Steinmeier und Steinbrück erklärt er ausgerechnet zwei Architekten der Agenda-Politik zu dem Grund, warum die Bürger der SPD zustimmen sollten. Ob eine derart vorsichtige Weiterentwicklung jedoch die verlorenen Wähler wieder für die SPD begeistern kann, ist höchst fraglich.