"Ein ganzer Kerl"

Die Enthüllungen zum Missbrauch von Schutzbefohlenen erreichen eine weitere Kirche

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Bisher war vor allem die katholische Kirche von Enthüllungen über den sexuellen und anderweitigen Missbrauch von Schutzbefohlenen betroffen. Nun steht eine so genannte "Megachurch" in einem solchen Verdacht: Die New Birth Missionary Church, eine der bedeutendsten Baptistenkirchen in den USA.

Ihr Führer, Eddie Lee Long, predigt eine Art Vulgärkalvinismus, in dem er besonders die Gottgefälligkeit von Reichtum betont. Nicht nur verbal, sondern auch optisch: Der Prediger, der auf einem Album des Rappers Ludacris mitwirkte, behängt sich üppig mit Gold, Diamanten und Luxusmarken, residiert in einer riesigen Villa in der Nähe von Atlanta und pflegt einem Lebensstil, mit dem er gut in Tom Wolfes Roman A Man in Full ("Ein ganzer Kerl") passen würde.

Finanziert wurde all dies unter anderem durch eine steuerbefreite Stiftung, deren offizieller Zweck die Hilfe von Bedürftigen war. Diese Stiftung "entschädigte" Long alleine zwischen 1997 und 2000 mit Geld, Luxusautos und Immobilien im Wert von mindestens 3,07 Millionen Dollar. In einem 2005 geführten Interview rechtfertigte der Prediger dies damit, dass New Birth keine bloße Kirche, sondern ein "internationales Unternehmen" sei. Und er, so Long, taufe nicht nur Babys, sondern verhandle mit dem Weißen Haus und mit Staatsoberhäuptern weltweit.

Allerdings wurde dem gelernten Betriebswirt nicht seine Protzerei zum Verhängnis, sondern seine Kombination von gepredigter Homophobie und (möglicherweise) gelebter Homosexualität. Denn es gibt vier ehemalige Schützlinge, die den 57-Jährigen im Rahmen einer Klage beschuldigen, homosexuelle Handlungen an ihnen vorgenommen zu haben.

Im Mittelpunkt des Skandals steht ein Betreuungsprogramm seiner Kirche, an dem zwei der Vier teilnahmen - die LongFellows Youth Academy, die jungen Menschen sexuelle und finanzielle Disziplin lehren soll. Bestandteil dieses Programms ist unter anderem der Aufbau wohlgestalteter männlicher Körper durch Muskeltraining, das der Prediger auch mit religiöser Bedeutung auflud.

Einer der Kläger, Jamal P. gab an, dass Long sich ihm gegenüber als Ersatzvater präsentiert, homosexuellen Oralverkehr mit ihm durchgeführt und diesen anschließend mit Bibelzitaten gerechtfertigt habe. Auch bei Spencer L., einem vaterlosen Kläger, soll Long diese Karte ausgespielt haben. Als er den Heranwachsenden 2005 mit auf eine Afrikareise nahm, betäubte Long ihn angeblich mit Zolpidem und vollzog anschließend homosexuelle Handlungen an ihm. Einen anderen jungen Mann, Anthony F., bewegte Long der Klageschrift nach unter anderem mit teuren Geschenken wie einem Sportwagen zum Intimkontakt.

Am Sonntag sprach der Religionsführer, der einer der lautesten Unterstützer von George W. Bushs Übertragung sozialstaatlicher Aufgaben auf Religionsgemeinschaften war und dafür alleine von der U.S. Administration for Children and Families eine Million Dollar erhielt, vor seinem Anhänger über die Vorwürfe und meinte, er werde "kämpfen", weil das Bild, das im Fernsehen derzeit von ihm gezeichnet werde, nicht zutreffend sei. Allerdings räumte er ein, dass er nie von sich behauptet habe, er sei "perfekt" - was einige amerikanische Medien als ersten Schritt zu einem Geständnis interpretierten.

Pikant wirken die Vorwürfe unter anderem deshalb, weil der Beschuldigte einer Einschätzung des Southern Poverty Law Center nach eine der Gallionsfiguren der religiös begründeten Homosexuellenfeindlichkeit in den USA ist. 2004 führte der Prediger eine große Demonstration gegen die Homo-Ehe an und seine Kirche veranstaltet Seminare zur "Umorientierung" von Schwulen. Hinzu kommt, dass unter Longs vorwiegend schwarzer Anhängerschaft Homophobie noch weiter verbreitet ist als unter weißen Christen.


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