Wir schätzen, wofür wir uns entschieden haben

Selbst wenn wir gar nicht wissen, wofür wir uns entschieden haben, stehen wir dazu, wie Psychologen mit einem Experiment demonstrieren konnten

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Aufklärung ist schon schwierig genug, aber wenn es um das Selbstbild geht, wird die Ent-Täuschung (desesgano) noch weitaus stärker durch den Hang zur Selbsttäuschung ersetzt. Das mag auch ganz lebenspraktisch sein und ist daher vermutlich auch evolutionsbiologisch begünstigt, um kognitive Dissonanz zu vermeiden. Sie kann vernünftig sein, muss aber keineswegs lebenspraktisch erfolgreich sein.

Das dürfte die Begründung dafür sein, warum Menschen einmal getroffene Entscheidungen gewissermaßen verklären, um nicht ins Zweifeln und Zögern zu geraten, was die Unsicherheit vermehrt und damit die Handlungsfähigkeit erschwert. Das könnte eine erfolgreichere Strategie sein, auch wenn sie manchmal direkt in die Katastrophe führen kann. Schließlich muss man sich fortlaufend entscheiden, ohne wissen zu können, ob diese richtig sind. Und oft genug muss man sich zwischen Optionen entscheiden, die alle Berechtigung zu haben scheinen. Weil aber das Leben stets eine Richtung hat, weil auch der menschliche Körper keine amöbenhafte Struktur hat, so dass man gleichzeitig in verschiedene Richtungen gehen könnte, muss fortlaufend über die Richtung entschieden werden, um die Orientierung nicht zu verlieren und das prekäre Gleichgewicht nicht zu verlieren. Skepsis ist lebenspraktisch wichtig, aber zuviel Skepsis oder Unsicherheit lähmt. Wer jedes Mal überlegen muss, ob er den rechten oder den linken Fuß bewegt, hat schon verloren und bewegt sich hin zu einer tiefen, wenn auch hoch überlegten Depression.

Diese Sturheit als Methode hat selbst philosophische Weihen. Bekanntlich hatte schon Descartes die Beharrlichkeit zur Maxime erhoben, wenn man sich in einer unübersichtlichen Situation befinden und nach einer Lösung bzw. einem Ausweg sucht. Bevor man immer wieder neu zu suchen beginnt, umkehrt, vor Angst erstarrt, sei es besser, von vorneherein bei der einmal getroffenen Entscheidung zu bleiben:

Ein zweiter Grundsatz war, in meinen Handlungen so fest und entschlossen zu sein wie möglich und den zweifelhaftesten Ansichten, wenn ich mich einmal für sie entschieden hätte, nicht weniger beharrlich zu folgen, als wären sie ganz gewiss. Hierin ahmte ich die Reisenden nach, die, wenn sie sich im Walde verirrt finden, nicht umherlaufen und sich bald in diese, bald in jene Richtung wenden, noch weniger an einer Stelle stehen bleiben, sondern so geradewegs wie möglich immer in derselben Richtung marschieren und davon nicht aus unbedeutenden Gründen abweichen sollten, obschon es vielleicht im Anfang bloß der Zufall gewesen ist, der ihre Wahl bestimmt hat; denn so werden sie, wenn sie, wenn sie nicht genau dahin kommen, wohin sie wollten, wenigstens am Ende irgendeine Gegend erreichen, wo sie sich wahrscheinlich besser befinden als mitten im Wald.

René Descartes

Was Descartes zu einer Vernunftentscheidung macht, scheint jedoch eine schon tiefer angelegte Verstärkung einer einmal beschlossenen Entscheidung zu entsprechen, die man auch als positives Denken bezeichnen könnte, weil sie Zweifel und Alternativen verdrängt. Aber man könnte natürlich sagen, dass eine Person sich für dies oder das entscheiden hat und deswegen dahinter steht, weil sie sowieso dafür eine Vorliebe hatte. Die Psychologen Tali Sharot und Raymond Dolan vom University College London und Cristina Velasquez vom Lake Forest College haben deswegen, wie sie in ihrem Artikel in der Zeitschrift Psychological Science schreiben, einmal ein Experiment ausgedacht, um zu zeigen, dass solche Vorlieben keine Rolle spielen, sondern der Mechanismus der cartesianischen Methode auch dann greift, wenn die Person, die sich entscheidet, gar nicht weiß, wozu sie sich entschieden hat.

Das ist natürlich ein raffinierter Ansatz, bei dem die Versuchspersonen überlistet werden müssen, um deren Selbsttäuschung zu demonstrieren. Zunächst wurden die Versuchspersonen von den Psychologen gebeten, eine Liste von Reisezielen zu bewerten, zu denen sie nächstes Jahr gerne fahren würden, und sich innerhalb von sechs Sekunden dann zwischen Paaren von Reisezielen zu entscheiden.

Dann sollten sie bei einem subliminalen Test mitmachen. Ihnen wurde gesagt, sie müssten sich zwischen zwei Reisezielen entscheiden, die nur für zwei Millisekunden auf einem Bildschirm erscheinen. Gezeigt wurde den Versuchspersonen aber keine Namen von möglichen Reisezielen, sondern unsinnige Zeichenkombinationen wie "%^!x *&()%". Obgleich die Versuchspersonen wegen der Kürze der aufblitzenden Schrift sowieso nichts erkennen konnten, wurde so die Bedingung geschaffen, dass die Entscheidung der Versuchspersonen völlig blind geschah. Sie mussten sich innerhalb von 2 Sekunden für das rechte oder das linke "Reiseziel" entscheiden, wussten aber gar nicht, wofür sie sich entschieden. Nach dem Test wurde ihnen ein angeblich von ihnen bevorzugtes Reisziel genannt und die Versuchspersonen mussten nun erneut (bewusst) zwischen den Reisezielen entscheiden.

Die Hypothese wurde durch das Experiment bestätigt. Wenn die Versuchspersonen sich blind für Thailand entschieden haben, dann fanden sie Thailand als Reiseziel später auch besser. Zwar formen Vorlieben Entscheidungen, aber auch ohne alle Kenntnis getroffene Entscheidungen können Vorlieben hervorbringen. Allerdings wurde die Studie nur mit 21 Versuchspersonen durchgeführt, aber verglichen mit einer Testgruppe von 19 Versuchspersonen, bei denen der Computer zufällig eine Entscheidung traf. In diesem Fall wurde die nicht selbst getroffene Entscheidung nicht verstärkt.

Das Ergebnis der Studie ist jedenfalls interessant, auch wenn es sicher nicht für alle Entscheidungen Geltung beanspruchen kann. Wir treffen nicht nur Entscheidungen aufgrund von Vorlieben oder eigenen Bedürfnissen, wenn wir uns irgendwie und auch ganz zufällig entscheiden müssen, passen wir uns an diese an und übernehmen sie, so dass wir dann auch Entscheidungen aufgrund vermeintlicher "eigener" Wünsche treffen. Die Geschichte bestimmt uns, auch die Geschichte von selbst getroffenen, aber eigentlich unbekannten Entscheidungen. Das ist wieder einmal eine Einschränkung des Glaubens an den freien Willen, denn wir werden getrieben von den Entscheidungen, dir wir ständig treffen müssen. Das engt allmählich die Optionen ein, da die persönliche Entscheidungsgeschichte immer weitere Alternativen ausschließt.