Urzeitliche Apokalypse durch kosmischen Gammablitz?

Zu allen Zeiten sehr sensibel: das zarte Band der Erdatmosphäre. Bild: NASA

Ein erdnaher Gammastrahlenausbruch könnte vor zirka 450 Millionen Jahren ein Massensterben auf der Erde ausgelöst haben

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Paläontologische Funde belegen, dass es Ende des Ordoviziums (488–444 Millionen Jahre v. Chr.) erstmals zu einem archaischen Massensterben kam. Der Grund hierfür ist bis heute unbekannt. Zwei US-Forscher haben nunmehr eine alte Theorie aktualisiert, der zufolge einst ein innergalaktischer Gammastrahlenblitz die Erdatmosphäre stark veränderte und schädigte, worauf die Erde von einer Eiszeit heimgesucht wurde. Ihr fielen mehr als 60 Prozent der irdischen Flora und Fauna zum Opfer.

Gammastrahlenblitz als Kunstwerk. Bild: NASA/Swift/Cruz de Wilde

Gestein schmilzt glasartig auf und wird hochgeschleudert. Gewaltige Feuerstürme ziehen über die Erde. Milliarden Tonnen Gesteinstrümmer, Asche, Ruß und Gase steigen in einer riesigen Rauchsäule bis in die obersten Schichten der Stratosphäre. Große Staub- und giftige Schwefelwolken umhüllen den Globus und bilden einen Wolkenteppich, der Sonnenstrahlen, Licht und Wärme abschirmt. Eisige Kälte hält Einzug. Pflanzen und Tiere sterben.

Fünffacher Artentod

Mit größter anzunehmender Wahrscheinlichkeit hat es vor zirka 65 Millionen Jahren auf unserem Planeten einmal dergestalt ausgesehen, nachdem sich ein 10 bis 14 Kilometer großer Asteroid mit einer Aufprallgeschwindigkeit von 15 Kilometer pro Sekunde in den Erdboden gebohrt hat.

Heute deutet alles darauf hin, dass der Chicxulub-Krater vor der Halbinsel Yucatán in Mexiko jene Stelle ist, wo einst der todbringende kosmische Brocken niederging, der mit der fünfmilliardenfachen Kraft der Hiroshima-Atombombe einen 180 Kilometer langen und 10 Kilometer tiefen Krater sprengte. Der Aufprall zog gewaltige Erdbeben, massive vulkanische Aktivität und das Umkippen des gesamten Ökosystems nach sich. Drei Viertel der damals lebenden urzeitlichen Flora und Fauna verendete – unter ihnen die vielleicht spektakulärsten Kreaturen, die unseren Planeten jemals bewohnt haben: die Dinosaurier.

Retrospektiv gesehen konnte also die Evolution nur deshalb einen so radikal neuen Weg einschlagen, weil die Reptilien-Ära durch ein Impaktereignis (Impakt=Einschlag) so abrupt endete und eine Massenextinktion (Extinktion=Aussterben/Auslöschung) nach sich zog, wie Geologen und Paläontologen ein lokal großflächiges oder globales Massensterben von Flora und Fauna nennen.

In der Ur- und Frühgeschichte der Erde hat es solche immer wieder gegeben. Wie die fossile Überlieferung dokumentiert, wurde unser Planet während der letzten 500 Millionen Jahre mindestens von fünf großen geologischen und biologischen Katastrophen eklatanten Ausmaßes heimgesucht, bei denen jeweils (durchschnittlich) mehr als die Hälfte aller vorhandenen Arten zugrunde ging. "Fünfmal innerhalb der letzten 500 Millionen Jahre hörten die meisten irdischen Lebensformen einfach auf zu existieren", erklärt der bekannte US-Geologe Peter D. Ward von der Universität in Washington in Seattle. Und dennoch kam es in der Evolution des Lebens stets zu der paradoxen Situation, dass die Natur langfristig gesehen aus solchen Desastern Kapital geschlagen und eine nächsthöhere, komplexere Ebene erreicht hat.

Das Impakt-Ereignis vor 65 Millionen Jahren markierte den Anfang vom Ende der Dinosaurier … Bild: NASA

So verwundert es nicht, dass – wie beim Ende der Dinosaurier – auch die anderen großen vier Massenextinktionen interdisziplinär im Fokus und zugleich im Wettstreit stehen. Wenngleich eine deutliche Mehrheit der Wissenschaftler mittlerweile den Asteroiden- bzw. Kometeneinschlag, der (u.a.) das Ende der Riesenechsen besiegelte, für schlüssig und plausibel erachtet, liegen die Gründe für die (mindestens) vier verbliebenen Extinktionen noch völlig im Dunkeln. Was das vierfache "urplötzliche" Aussterben der urzeitlichen Lebensformen verursachte, versuchen fantasievolle und kreative Theorien zu erklären und zu beschreiben, wobei auch hier die Impakt-Theorie immer wieder gerne als Erklärungsmodell zitiert wird. "Als Ausnahme blieb nur das große Artensterben im Ordovizium. Diese Katastrophe schrieben die Forscher einem Stern zu, der nicht weit vom Sonnensystem explodiert sein sollte", verdeutlicht Peter D. Ward.

Modell 2003/04

Einer, der die Supernova-These aufgreift, sie aber gleichzeitig in einem völlig anderen Kontext stellt, ist Adrian L. Melott. Dass die Erde bereits in grauer Vorzeit Bekanntschaft mit einem sterbenden Stern gemacht hat, davon ist der US-Physiker von der Universität in Kansas (USA) überzeugt. Er glaubt, dass der erste massenhafte Artentod am Ende des Ordovizium (ca. 488 bis 444 Millionen Jahre vor unserer Zeitrechnung) auf die Aktivität eines erdnahen Gammastrahlenblitz (engl.: Gamma Ray Bursts/GRB) zurückzuführen ist, der selbst beim Tod eines massereichen Sterns generiert worden ist (näheres zu dem GRB-Phänomen siehe Exkurs im nächsten Unterabschnitt). Damals wurde die Erdatmosphäre von extrem starker Gammastrahlung überflutet, mit der Folge, dass fast 60 Prozent aller Pflanzen- und Tierarten, insbesondere die im Meer lebenden wirbellosen Tiere, das Zeitliche segneten.

Unter Berücksichtigung der Daten, aufgezeichnet von verschiedenen Weltraumteleskopen, rechneten Melott und seine Kollegen im Computerexperiment hoch, welche Auswirkungen ein erdnaher Gammastrahlenausbruch auf die Erdatmosphäre gehabt haben könnte. Das Ergebnis ließ nur eine Interpretation zu:

Eine Gammastrahlenexplosion im Umkreis von 6000 Lichtjahren würde katastrophale Folgen für das Leben haben. Wir wissen nicht, wann sich genau ein solcher Ausbruch ereignet hat, aber wir sind ziemlich sicher, dass es ihn gegeben hat.

Adrian Melott

Bereits 2003 berichtete das englische Fachmagazin NewScientist von seinem Modell, das Melott mit seinem Team ein Jahr später im International Journal of Astrobiology der Fachwelt näher vorstellte.

Wie die Computersimulation offenlegte, könnte dereinst eine erdnahe Gammaeruption in der irdischen Atmosphäre einen Teufelskreislauf in Gang gesetzt haben. Zuerst zerlegte die eintreffende Gammastrahlung des GBRs den molekularen Stickstoff in seine Atome, danach reagierten diese mit molekularem Sauerstoff und erzeugten Stickoxid. Als Folge davon löste sich das wichtige Ozon in der Erdatmosphäre langsam in seine Bestandteile auf. Das dabei entstandene Stickstoffdioxid wiederum reagierte mit atomarem Sauerstoff und bildete erneut Stickoxid, der sich in der Atmosphäre noch stärker konzentrierte und das Ozon noch schneller abbaute.

Aufgrund dieser chemischen Kettenreaktion dezimierte sich die Ozonschicht innerhalb weniger Wochen um die Hälfte. Was nun folgte war eine höchst tödliche biologische Kettenreaktion. Da in dieser Phase die starke solare ultraviolette Strahlung die Atmosphäre ungefiltert passieren konnte, waren viele Lebensformen dem UV-Strahlenbombardement ungeschützt ausgeliefert. Davon am stärksten betroffen war die in den oberen Schichten der Ozeane und Seen beheimatete maritime Flora und Fauna. Sie ging zugrunde – wie etwa der Großteil des Planktons, das die Grundlage der marinen Nahrungskette bildete.

Exkurs: Gammastrahlenblitze

Gammastrahlenblitze sind die leuchtkräftigsten und energiereichsten Phänomene im All. Sie gelten als eines der größten Rätsel in der Astrophysik. Scheinbar aus dem Nichts kommend und zufällig über den Himmel verteilt durchfluten sie völlig unerwartet das Universum binnen eines Wimpernschlages mit hochenergetischer Gammastrahlung. In einem Zeitraum von 10 Sekunden setzen sie mehr Energie als unser Heimatstern in seinem ganzen Leben frei. Manche versprühen ihr kosmisch-grelles Feuerwerk binnen 0,01 Sekunden, andere lassen sich hierfür 100 Sekunden Zeit.

Eine Gammablitz, der sich 7,5 Milliarden Lichtjahre von der Erde ereignete. Für eine knappe Minute strahle dieser Stern so hell wie 10 Millionen Galaxien. Hubble-Aufnahme vom 7. April 2008. Bild: NASA; ESA; N. Tanvir (University of Leicester); A. Fruchter (STScI)

Dabei emittieren GRBs ihre gesamte Energie nicht in alle Richtungen gleichzeitig, sondern leuchtturmartig entlang zweier dünner Strahlen (Jets) – auch im Röntgenlicht. Selbst ein Stern von der hundertfachen Masse unserer Sonne würde neben einem Gammablitz gänzlich verblassen. Ja, die strahlenreichsten unter ihnen präsentieren sich sogar für die Dauer des Ausbruchs heller als alle Sterne im Universum.

Gammastrahlen werden von der irdischen Atmosphäre vollständig absorbiert und lassen sich daher nur mit Weltraumteleskopen nachweisen. Sie sind extrem kurzwellige und energiereiche elektromagnetische Wellen von einem Zehntel bis zu einem Millionstel Ångström. Sie entstehen hauptsächlich bei radioaktiven Vorgängen in Atomkernen – wie etwa beim Zerfall radioaktiver Stoffe. Neuesten Beobachtungen zufolge entstehen Gammablitze mit kurzer Dauer (0,01 bis 2 Sekunden) bei der Geburt von schnell rotierenden Schwarzen Löchern, bei der Verschmelzung von Neutronensternen oder schlichtweg dann, wenn ein Schwarzes Loch einen Stern absorbiert, besser gesagt zerfetzt. Längere hingegen treten in Erscheinung, wenn ein sehr massereicher Stern stirbt und sich zu einer Supernova oder Hypernova aufbläht und danach kollabiert.

Da ein GRB mitunter einige Tage im Röntgenbereich, noch länger aber im sichtbaren und ultravioletten Licht nachglüht, detektierten Forscher mit Weltraumobservatorien bislang mehr als 6000 solcher Strahlenschockwellen – durchschnittlich zwei- bis drei Ultra-Blitze pro Tag. Mehr als 500 davon hat allein das NASA-Weltraumteleskop Swift lokalisiert. Am 21. Juni 2010 registrierte es sogar in fünf Milliarden Lichtjahren Entfernung den mit Abstand hellsten extragalaktischen Gammablitz. Der Ausbruch war derart energiereich, dass selbst der hochsensible "Photonenzähler" des Teleskops für kurze Zeit seinen Dienst quittierte. "So viele Photonen bombardierten den Detektor jede Sekunde, dass er sie einfach nicht schnell genug zählen konnte", gestand seinerzeit Phil Evans von der Universität Leicester, der für die Programmierung von Swift verantwortlich ist.

Mehrheitlich tragen sich Eruptionen dieses Kalibers fernab der Milchstraße in anderen Galaxien zu. Dennoch könnte auch unsere Heimatgalaxie jederzeit von einem GRB heimgesucht werden. Schlimmstenfalls könnte sich ein GRB sogar in relativer Nähe zum Sonnensystem strahlenreich in Szene setzen. Käme es innerhalb eines Radius von 6000 Lichtjahren zu solch einer Explosion, wäre für die Erde eine biologische Apokalypse unausweichlich:

In nur ein paar tausend Lichtjahren Entfernung würde uns ein GRB so hell wie die Mittagssonne erscheinen. Er würde die Erde mit enorm viel Strahlung bombardieren und fast alles Leben auslöschen.

GRB-Experte und italienische Astrophysiker Luigi Piro
Ein Gammablitz, so wie ihn sich ein Künstler ausgemalt hat … Bild: ESA

Modell 2009

2009 verfeinerten Melott und sein Kollege Brian C. Thomas von der Washburn Universität in Topeka (Kansas) das alte Atmosphärenmodell, indem sie sich stärker auf die langfristigen Folgen eines Gammablitzes konzentrierten. Basierend auf astrophysikalischen und paläontologischen Daten, nicht zuletzt aber mithilfe einer optimierten computergestützten Simulation, kamen beide zu dem Ergebnis, dass ein bis zu 6500 Lichtjahre entfernter Gammastrahlenausbruch in der Erdatmosphäre eine starke Zunahme von stickstoffreichen Gasen bewirken kann, die den Abbau von Ozon begünstigen und somit ein ungehindertes Eindringen solarer UV-Strahlung ermöglichen. Dieser Effekt kam im Computerexperiment jedenfalls nur auf einer Seite des Globus zum Tragen; die GRB-Emissionen hinterließen zunächst nur auf einer Erdhälfte ihre Spuren.

Wir fanden heraus, dass ein Ausbruch in der Nähe des Südpols zu den Daten passt. Daher blieb die Atmosphäre in der nördlichen Atmosphäre größtenteils verschont vom Ozonabbau. Die Extinktionsraten, zumindest zum Anfang des großen Massensterbens im Ordovizium, sollten dort wesentlich geringer gewesen sein.

Aus der in der Zeitschrift Paleobiology erschienenen Studie

Auf der Südkugel schirmten jedoch die dunkelbraunen giftigen Stickstoffgase die eingehende Wärmestrahlung der Sonne wirksam ab. Auch wenn die Daten untermauern, dass sich der Ozonanteil in der südlichen Atmosphäre binnen 10 Jahre wieder erholen und die Konzentration der DNA-schädlichen UV-Strahlen bereits nach einigen Monaten oder Jahren spürbar sinken würde, wäre gemäß Melotts und Thomas Modell eine globale Abkühlung auf der Erde programmiert.

In der Simulation zeigte sich auch, dass starker saurer Regen als Abfallprodukt des Stickstoffteppichs einsetzen und das irdische Ökogleichgewicht noch weiter in Unordnung bringen würde. Und da die hochkonzentrierten Stickstoffgase das Sonnenlicht über Jahre hinweg effektiv abblockten, mündete die anfängliche Abkühlung in eine Eiszeit, die gemäß den geologisch-paläontologischen Daten damals 500.000 Jahre währte. In diesem Zeitraum verabschiedeten sich 60 Prozent der irdischen Flora und Fauna von der Erdgeschichte.

Immer Ärger mit den Trilobiten

Von den Ausführungen Melotts und Thomas zeigt sich insbesondere der Paläontologe Bruce Lieberman von der Universität in Kansas recht angetan, liefert doch deren Theorie eine plausible Erklärung dafür, warum am Ende des Ordoviziums fast alle nahe der Wasseroberfläche lebenden Trilobiten verendet sind. "In anderen Epochen gab es Eiszeiten ohne Massensterben als Folge." Vor 450 Millionen Jahren jedoch, so der Experte für Fossilien und Triboliten, könnte starke UV-Strahlung, die über den Südpol durch die Atmosphäre einströmte und die darauf folgende Eiszeit, den Trilobiten den Garaus gemacht haben.

Ein fossilierter Trilobit. Bild: University of Chicago/ Dan Dry

Trilobiten waren krabbengroße Kreaturen (Vorfahren der Spinnen), die geologisch und zoologisch zu den wichtigsten Tieren des Kambriums zählten. Von ihnen sind heute sage und schreibe 6.000 Arten katalogisiert. Charakteristisch für diese Gliederfüßler (Arthropoden) war ein harter Chitinpanzer, der sie ganz ummantelte. Als schlechte Schwimmer bevorzugten sie meist flaches Wasser, wo sie völlig ohne Hilfe von Fangwerkzeugen und Scheren auf dem Meeresboden entlang krochen, um aus ihm kleinste Nahrungsmengen zu saugen. Ihr "Lebenswandel" machte sie daher besonders anfällig für starke UV-Strahlung und Kälte.

Youtube-Video: Peter Ward über Massenextinktionen