"I am the heart and soul of this organization"

Nach dem überraschenden Rücktritt von Daniel Domscheit-Berg (alias Daniel Schmitt) gibt es Neuigkeiten darüber, wie Julian Assange und sein ehemaliger Mitstreiter aneinandergerieten.

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Der Rücktritt von Daniel Domscheit-Berg, bisher nur als „Daniel Schmitt“ bekannt, hat auch in Deutschland zu kontroversen Diskussionen geführt. Neben Julian Assange war Daniel Schmitt der zweite „öffentliche Kopf“ des sonst eher im Dunkeln operierenden Personals von Wikileaks. Umso überraschender war es, dass Daniel Domscheit-Berg, der seinen Realnamen erstmals im Spiegel-Interview bekanntgab, so plötzlich Wikileaks verließ. Insbesondere verwunderte, dass sehr schnell eine Gegendarstellung per Twitter verlautbart wurde, in der Julian Assange mitteilte, dass Daniel Domscheit-Berg bereits einen Monat zuvor suspendiert wurde, er somit keinesfalls zurückgetreten sei.

Spiegel report Schmitt resigned which is misleading. Schmitt was suspended a month ago.

Wikileaks auf Twitter

Wer auf der Homepage von Wikileaks eine offizielle Stellungnahme zur Angelegenheit sucht, der sucht vergeblich. Auch findet sich nirgendwo eine Ankündigung in Bezug auf die Suspendierung.

Nun hatte Julian Assange in den letzten Wochen genug mit den in Schweden erhobenen Anschuldigungen gegen ihn zu tun, dennoch bleibt zu erwähnen, dass er auch in dieser Zeit per Twitter kommunizierte, jedoch in keiner Weise mitteilte, dass Daniel Domscheit-Berg nicht mehr für Wikileaks sprechen würde. Dies verwundert, insbesondere ob Domscheit-Bergs Status als deutscher Pressesprecher. Es ist für Initiativen, Firmen usw. stets ratsam, die Suspendierung oder den Rücktritt eines Pressesprechers zu veröffentlichen, auch um zu verhindern, dass etwaige Privatkontakte Material an den ehemaligen Mitarbeiter senden, weil sie im Glauben sind, er würde noch für die Firma, die Gruppierung... sprechen.

Doch bis heute steht eine offizielle Verlautbarung aus, entsprechende Presseanfragen bleiben unbeantwortet. Das englischsprachige Magazin wired.com hat heute einen Artikel zum Thema veröffentlicht, in dem unter anderem davon gesprochen wird, dass ein halbes Dutzend Mitarbeiter von Wikileaks das Projekt verlassen haben. Ebenso teilt Wired mit, Informationen über eine Chatunterhaltung zwischen Daniel Domscheit-Berg und Julian Assange zu besitzen, welches aufzeigt, dass es Diskrepanzen hinsichtlich der Rolle Julian Assanges und dessen Verhalten gab.

You are not anyone's king or god. And you're not even fulfilling your role as a leader right now. A leader communicates and cultivates trust in himself. You are doing the exact opposite. You behave like some kind of emperor or slave trader.

Daniel Domscheit-Berg im Chat mit Julian Assange

Laut Daniel Domscheit-Berg habe Julian Assange diese Worte mit den knappen Worten gekontert:: „You are suspended for one month, effective immediately, If you wish to appeal, you will be heard on Tuesday.” Diese Einspruchsmöglichkeit sei jedoch nie umgesetzt worden, was dazu führte, dass Daniel Domscheit-Berg Wikileaks verließ.

Zu viel, zu schnell

Stein des Anstoßes war allem Anschein nach die Entscheidung Julian Assanges gewesen, im Oktober erneut eine große Anzahl von Dokumenten zu veröffentlichen, die im Zusammenhang mit dem Irakkrieg stehen. Auch habe Julian Assange mit einigen Medien Vereinbarungen geschlossen, so dass diese Zugriff auf die entsprechenden Datenbanken hätten. Als Veröffentlichungsdatum wird der 18 Oktober angepeilt, für etliche Mitstreiter Julian Assanges eine Fehlentscheidung.

The release date which was established was completely unrealistic. We found out that the level of redactions performed on the Afghanistan documents was not sufficient. I announced that if the next batch did not receive full attention, I would not be willing to cooperate.

Herbert Snorrason, ein isländischer Student, der bis vor kurzem beim Wikileaks-Chat half

Glaubt man dem Artikel, so stieß Snorassons Kritik auf taube Ohren. Als er die Suspendierung Daniel Domscheit-Bergs ebenfalls kritisierte, sei Julian Assange ihm gegenüber ausfallend geworden und habe seine Führungsrolle in Bezug auf Wikileaks stark betont.

I am the heart and soul of this organization, its founder, philosopher, spokesperson, original coder, organizer, financier and all the rest. If you have a problem with me, piss off.

Julian Assange

Wer den Wortlaut des Chats zwischen Julian Assange und Daniel Domscheit-Berg im Artikel nachliest, der findet einen stark inquisitorisch agierenden Julian Assange, der Daniel Domscheit-Berg unterstellt, dieser habe die Bedenken, die einige Wikileaksmitarbeiter hinsichtlich Julian Assanges Rolle hegen, an den Blogger Mark Hosenball (Newsweek) weitergegeben, was Domscheit-Berg zuerst abstreitet, sich dann jedoch mehr und mehr den Fragen eines Julian Assange, der seinerseits nicht zu Antworten bereit ist, ausgesetzt sieht und am Schluss eine weitere (einsame) Entscheidung Julian Assanges noch mit ungläubigem Gelächter quittiert, welches ihm mittlerweile vergangen sein sollte.

Assange: You are suspended for one month, effective immediately.

Domscheit-Berg: haha

Domscheit-Berg: right

Domscheit-Berg: because of what?

Domscheit-Berg: and who even says that?

Domscheit-Berg: you? another adhoc decision?

Assange: If you wish to appeal, you will be heard on Tuesday.

Projekt vs. Person

Die Wikileaks-Idee an sich ist wichtig, doch genauso wichtig ist, dass sie von möglichst demokratischen und nicht von öffentlichkeitswirksamen Entscheidungen getragen wird. Gerade um die Idee auch dann am Leben zu erhalten, wenn einer der Hauptpersonen ausscheidet, bedarf es eines gewissen Personals, sonst setzt sich Wikileaks der großen Gefahr aus, dass sich Wikileaks nur noch auf Julian Assange konzentriert und damit keinerlei „Nachfolger“ oder „Vertretung“ zur Verfügung steht, wenn er ausfällt.

Da Julian Assange selbst beispielsweise die Anschuldigungen in Schweden mit seiner Rolle als Wikileaks-Frontfigur sieht, wäre es sinnvoll, diese Rolle nicht als „wohlmeinender Diktator“, der „für die Sache kämpft“ auszufüllen, sondern tatsächlich im Sinne „der Sache“ zu agieren, was bedeutet, das eigene Ego zurückzunehmen und Zusammenarbeit zu lernen. Damit würden sich auch Angriffe auf ihn als Wikileaks-Frontfigur als weniger erfolgreich erweisen. Bleibt Julian Assange aber eher seinem Ego zugeneigt, dann steht zu befürchten, dass Wikileaks mit ihm gemeinsam steht und fällt.