Roboter entwickeln Neurosen

Auch eine künstliche Persönlichkeit braucht ein Unbewusstes

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Ein Roboter, der einen Verfolger auf eine falsche Fährte lockt, wirkt auf den ersten Blick wie das erste Aufblitzen eines Maschinenbewusstseins, jedenfalls ganz schön verschlagen. Bei dem Experiment am Georgia Institute of Technology war dem Roboter die Absicht der Täuschung allerdings schon einprogrammiert. Um selbst auf so eine Idee zu kommen, reicht ein Bewusstsein aber wohl ohnehin nicht aus. Für solche Kreativität braucht es komplexere kognitive Strukturen mit Unterbewusstsein und Unbewusstem. Auch daran wird bereits geforscht.

Alan Wagner und Ron Arkin berichten im International Journal of Social Robotics von einem Versteckspiel für zwei Rovio-Roboter. Es gab drei Orte, an denen sich der erste Roboter verstecken konnte. Auf den Wegen zu diesen Verstecken standen drei Buntstifte aufrecht auf ihren schmalen Enden. In einer Vorbereitungsphase lernten die Roboter, dass die Stifte umfielen, wenn ein Roboter dagegen fuhr.

Genau das nutzte der Rovio, der sich verstecken sollte aus: Er fuhr gezielt einen Stift um und machte sich dann auf den Weg zu einem anderen Versteck. Der Verfolger dagegen suchte genau dort, wo der Stift umgefallen war. Für die Forscher ist das ein Zeichen, dass der verfolgte Roboter sich in die Gedankenwelt des Verfolgers hineinversetzen konnte. In der Kognitionswissenschaft wird diese Fähigkeit auch auf deutsch als "Theory of Mind" bezeichnet. Menschen entwickeln sie gewöhnlich im Alter von vier bis fünf Jahren.

Ronald Arkin und Alan Wagner mit ihren Robotern. Bild: Georgia Tech Photo: Gary Meek

Ob die Roboter bei diesem Experiment tatsächlich auch eine Theory of Mind entwickelt haben, ist indessen umstritten. "Mir scheint, dass die Theory of Mind mehr im Experimentator angesiedelt ist als im Roboter", sagte Sara Mitri, Evolutionsbiologin und Robotikforscherin an der Harvard University, dem New Scientist. Ohne entsprechende Programmierung durch den Menschen wäre der Roboter wohl kaum auf das Täuschungsmanöver gekommen.

Kevin Gold (Rochester Institute of Technology) warnt ebenfalls davor, das Experiment zu hoch zu hängen. Gold, der vor drei Jahren zusammen mit Brian Scasselatti einem humanoiden Roboter beibrachte, sich selbst im Spiegel zu erkennen, sieht die Studie aber als einen Schritt in die richtige Richtung. Das meint auch Liane Young, Kognitionsforscherin am Massachusetts Institute of Technology, die der New Scientist mit den Worten zitiert: "Jeder Computercode, der die Verhaltensmerkmale von Theory of Mind und Täuschung hervorbringt, kann uns helfen zu verstehen, was im menschlichen Geist abläuft."

Den menschlichen Geist besser verstehen möchte auch Andrei Khrennikov, der sich an der schwedischen Linnaeus University mit mathematischer Modellierung in Physik und Kognitionswissenschaften beschäftigt. In einem Beitrag für die neue Zeitschrift Paladyn erläutert Khrennikov, wie er die Dynamik unbewusster Denkprozesse im Computer nachbilden will. Die Regeln der Vernunft spielten dabei keine Rolle, schreibt er: "Das Unbewusste ist eine Ansammlung dynamischer Systeme (Denkprozessoren), die praktisch automatisch neue geistige Zustände erzeugen. Das Bewusstsein arbeitet lediglich mit den Resultaten (Attraktoren im Raum der Ideen) dieser unbewussten Prozessoren."

Khrennikov stützt sich auf psychoanalytische Konzepte wie Lust- und Realitätsprinzip und lässt in seinem Modell Wünsche, Verbote und verbotene Wünsche miteinander wechselwirken. Die Einführung einer "Domäne der Zweifel" führt dabei zu psychischen Problemen und Geisteskrankheiten. Ideen werden unterdrückt, können aber je nach Höhe der blockierenden Schwellenwerte wieder wirksam werden.

Es gehe ihm nicht darum, freundliche Roboter zu schaffen, um deren Effizienz zu erhöhen, schreibt Khrennikov. Er möchte eine künstliche Intelligenz mit den wesentlichen Elementen der menschlichen Psyche ausstatten. Die dabei auftretenden Macken und Neurosen sind kein Fehler, sondern erwünscht, können sie doch das Verständnis psychischer Probleme vertiefen und Behandlungsmethoden verbessern.

Khrennikov erwartet zukünftig aber auch einen wachsenden Bedarf für Haushaltsroboter, die nicht nur simple Aufgaben erledigen können, sondern über eine sich mit der Zeit entwickelnde komplexe Persönlichkeit verfügen. Wahrscheinlich ist ein Roboter, der beim Putzen und Aufräumen zu gelegentlichen hysterischen Anfällen neigt, auf Dauer auch einfach interessanter und angenehmer im Umgang als ein leise summender Langweiler, der nur redet, wenn er gefragt wird.