US-Regierung entschuldigt sich für Syphilis-Menschenversuche in Guatemala

Hunderte von Soldaten, Geisteskranken und Häftlingen wurden ohne ihr Wissen absichtlich mit der Geschlechtskrankheit infiziert, um die Wirksamkeit von Penicillin zu testen

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Beim Sichten von Nachlassmaterial an der University of Pittsburgh fand die Historikerin Susan M. Reverby heraus, dass US-Mediziner unter der Leitung von John C. Cutler in den Jahren 1946 bis 1948 etwa 700 Guatemalteken mit Syphilis infizierten. Zu diesem Zweck verwendete man Gelder des National Institute of Health (NIH) dazu, Strafgefangenen den Besuch bei einer infizierten Prostituierten zu spendieren. Obwohl man die Häftlinge nicht darüber aufklärte, welchem Risiko sie sich aussetzten, waren die Ansteckungsraten so enttäuschend, dass die Ärzte ihren Probanden Kratzer am Penis oder am Arm zufügten und dort Bakterien hineinrieben. In manchen Fällen bekamen die Testpersonen die Erreger auch mit Injektionsspritzen direkt ins Rückenmark verabreicht.

Anders als in der so genannten Tuskegee-Studie, die später ebenfalls unter der Leitung von John C. Cutler stattfand und in der Afroamerikanern mit Syphilis absichtlich eine Behandlung ihrer Erkrankung verweigert wurde, bekamen die Guatemalteken Penicillin verabreicht, wenn die Infektionsbemühungen anschlugen. Allerdings ist nicht bekannt, ob das Medikament in jedem Fall half. Abgebrochen wurden die Tests Reverby zufolge unter anderem deshalb, weil Cutler zu große Mengen des damals sehr teuren Wirkstoffs verbrauchte.

Syphilisgeschwür am Finger. Bild: United States Department of Health and Human Service.

Als Reverby ihre Erkenntnisse in einem Aufsatz zusammenfasste, der im Januar nächsten Jahres in der Fachzeitschrift Journal of Policy History erscheint, brachte der dafür kursierende Entwurf die US-Regierung in Zugzwang, weshalb diese selbst Nachforschungen anstellte. Nachdem diese Nachforschungen die Richtigkeit von Reverbys Forschungen bestätigten, entschuldigten sich letzte Woche Außenministerin Hillary Clinton und Gesundheitsministerin Kathleen Sebelius offiziell bei Überlebenden, Angehörigen und der Regierung des mittelamerikanischen Landes, wobei sie die Experimente als "eindeutiges Unrecht" bezeichneten. Auch, so Clinton und Sebelius, wenn dieses Unrecht bereits vor 64 Jahre geschah, sei man doch "schockiert, dass solch verwerfliche Forschungen in der Gestalt der Förderung der Volksgesundheit auftreten konnten". Details zu eventuellen Wiedergutmachungsleistungen, wie sie mittlerweile in lateinamerikanischen Medien lautstark gefordert werden, enthielt die öffentliche Stellungnahme nicht.

Der guatemaltekische Präsident Álvaro Colom Caballeros, der angeblich erstmals von den Experimenten hörte, nannte sie "haarsträubende [...] Verbrechen gegen die Menschlichkeit" und wies die Behörden des mittelamerikanischen Landes an, eigene Ermittlungen einzuleiten. Ob diese zu neuen Erkenntnissen führen, ist jedoch insofern fraglich, als die amerikanischen Ärzte Reverby zufolge die Details ihrer Experimente vor den örtlichen Behörden bewusst geheim hielten.

NIH-Direktor Francis S. Collins bezeichnete die Vorgänge in der New York Times als "dunkles Kapitel in der Geschichte der Medizin". Heute, so Collins, gäbe es jedoch Vorschriften, die verhindern würden, dass man solche Experimente mit Hilfe von US-Bundessteuern durchführt. Mark Siegler, der Direktor des Maclean Center an der University of Chicago stufte die nun ans Licht gekommenen Menschenversuche als noch verwerflicher ein als die Tuskegee-Studie - denn, so der namhafte Medizinethiker, dort hätten sich die Geschädigten wenigstens auf natürliche Weise infiziert.

Die Syphilis-Experimente in Guatemala waren nicht die letzten, bei denen Mediziner Menschen absichtlich Risiken aussetzten: Noch in den 1960er Jahren infizierten beispielsweise Forscher an der Willowbrook State School auf Staten Island für ihre Immunglobulinforschung zurückgebliebene Kinder mit Hepatitis und am Brooklyn Jewish Chronic Disease Hospital wurden älteren Patienten Leberkrebszellen injiziert, um zu sehen, ob daraus Tumore entstehen.

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