Geht es den Bachelor-Absolventen "besser als gedacht"?

Arme Bildungspolitik: Nicht einmal auf die Studien, die man selbst bezahlt hat, ist noch Verlass

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"Mit dieser Studie wird den notorischen Kritikern an der Bologna-Reform der Wind aus den Segeln genommen", behauptete Bundesbildungsministerin Annette Schavan in der vergangenen Woche, als sie eine Untersuchung kommentieren durfte, die endlich einmal ihren Vorstellungen entsprach. Was das Internationale Zentrum für Hochschulforschung (INCHER -Kassel) auf einer in Berlin anberaumten Konferenz über die Situation von Bachelor-Absolventen mitzuteilen hatte, interpretierte die Ministerin als klare Widerlegung der "zahlreichen Alarm-Meldungen", die den so ambitionierten Bildungsreformen der vergangenen Jahre ein obligatorisch schlechtes Zeugnis ausgestellt hatten.

Mobilität

Auf den ersten Blick deutet tatsächlich einiges darauf hin, dass es den Bachelor-Absolventen in Deutschland "besser geht als gedacht“, auch wenn diese Formulierung im Titel der Pressemeldung eines Bundesministeriums reichlich seltsam anmutet. Die Befragung wurde von 50 Hochschulen mit knapp 70.000 Nachwuchsakademikern durchgeführt, die ihr Studium in den Jahren 2007 und 2008 abgeschlossen haben und somit bereits Aussagekräftiges über die wichtigen Themen Mobilität, Folgestudium und Berufsperspektiven berichten können.

Laut Studienautor Harald Schomburg erleben die Bachelor-Absolventen in allen drei Bereichen eine überraschend positive Entwicklung. 16 Prozent von ihnen studieren mindestens ein Semester im Ausland und tragen mit den Masterstudenten, die auf komplizierte Weise addiert wurden, zu einer Mobilitätsquote von rund 27 Prozent bei. Jeder vierte Nachwuchsakademiker im Bachelor-Master-System verfügt also bereits über die vielfach gewünschte Auslandserfahrung.

Auch die weitere wissenschaftliche und berufliche Qualifikation scheint für die überwiegende Mehrheit gesichert zu sein. 78 Prozent der Bachelor-Absolventen studieren nach ihrem Abschluss weiter – neun von zehn in den Master-Studiengängen. Aus dem Bereich der Fachhochschulabsolventen nehmen 43 Prozent der Bachelor-Absolventen ein weiteres Studium in Angriff. Und damit immer noch nicht genug: Denn allen Unkenrufen und manchen Arbeitgeberprotesten zum Trotz sind auch die Arbeitsmarktchancen „besser als gedacht“.

Ohne Erwerbstätigkeit sind nur vier Prozent der Bachelor-Absolventen von deutschen Universitäten und sechs Prozent von deutschen Fachhochschulen geblieben. Die durchschnittliche Dauer der Suche der Bachelor-Absolventen von deutschen Hochschulen nach einer ersten Berufstätigkeit unterscheidet sich nicht von der Suchdauer der Absolventen des alten Abschlusssystems.

Harald Schomburg: Employability and Mobility of Bachelor Graduates in Germany

Für Annette Schavan kamen die Zahlen nicht ganz unerwartet. Schließlich hatte ihr Haus die Studie selbst in Auftrag gegeben. Doch angesichts der vielen guten Nachrichten musste die Ministerin Prioritäten setzen und entschied sich für das klangvolle Thema Mobilität.

Eines der Ziele des Bologna Prozesses lautet, dass bis 2020 mindestens 20 Prozent der Studierenden ein Auslandssemester oder ein Praktikum in einem anderen Land absolviert haben sollen. Dieses Ziel haben wir schon zehn Jahre früher erreicht.

Annette Schavan

Diese Erfolgsmeldung ist allerdings nur eine relative und das nicht nur aus dem einsehbaren Grund, dass in den Kreisen der politischen Entscheidungsträger vor vielen Jahren auch schon einmal von 30 Prozent die Rede gewesen sein soll. Im Vergleich zu den Diplom- oder Magisterstudenten trauen sich ihre Bachelor-Kollegen nämlich ohnehin kaum vor die Tür.

Eine Studie der Hochschul-Informations-System GmbH zeigt, dass die Auslandsmobilität deutscher Studierender zwischen 2007 und 2009 zwar von 23 Prozent auf 26 Prozent gestiegen, die Mobilität in den alten Studiengängen aber deutlich höher ist. In die Rubrik "Studienbezogene Auslandsaufenthalte deutscher Studierender nach Abschlussart“ konnten sich 2009 nur 15 Prozent der Bachelor-Studenten, aber 35 beziehungsweise 49 Prozent der Kommilitonen eintragen, die einen Diplom- oder Magisterabschluss anstrebten.

Die Forscher vermuteten seinerzeit, dass diese eklatanten Unterschiede auf die höhere Fachsemesterzahl der Studenten in den alten Studiengängen zurückzuführen sei. Allerdings hatte sich das Mobilitätsverhalten der Bachelor-Kollegen im Verhältnis zum Vergleichsjahr 2007 nicht verändert. Es lag auch damals bei gerade einmal 15 Prozent.

Berufsperspektiven

Auch die erstklassigen Berufsperspektiven stellen sich bei genauerer Betrachtung nicht mehr ganz so rosig dar. Vollzeitbeschäftigt, so die Studie des INCHER, sind nämlich gerade einmal 57 Prozent der Bachelor-Absolventen von deutschen Universitäten - im Vergleich zu 67 Prozent der Absolventen der alten universitären Langstudiengänge.

Dass viele von ihnen weiter studieren, mag da ein Trost sein, doch auch die Bezahlung hält nicht mit dem Einkommen der Diplom-, Magister- oder Staatsexamens-Inhaber Schritt. Während das Brutto-Jahreseinkommen von Absolventen des "alten Systems" eineinhalb Jahre nach Studienabschluss im Durchschnitt auf 36.500 Euro geschätzt wird, müssen Bachelor-Absolventen von Universitäten mit geringeren Entlohnungen auskommen.

- 21 Prozent geringer in Mathematik und Naturwissenschaften,
- 15 Prozent geringer in den Ingenieurwissenschaften,
- 12 Prozent geringer in den Wirtschaftswissenschaften,
- 11 Prozent geringer in den Kultur- und Sozialwissenschaften,
- 8 Prozent geringer in den Agrar-, Ernährungs- u. Forstwissenschaften,
- vier Prozent geringer in der Informatik.

Harald Schomburg: Employability and Mobility of Bachelor Graduates in Germany

Den Fachhochschulabsolventen geht es in dieser Hinsicht offenbar besser. Ihr Verdienst ist

- acht Prozent geringer in den Kultur- und Sozialwissenschaften,
- vier Prozent geringer in den Wirtschaftswissenschaften,
- 6 Prozent geringer im Ingenieurwesen,
- drei Prozent höher in Mathematik und Naturwissenschaften,
- fünf Prozent höher in der Informatik.

Harald Schomburg: Employability and Mobility of Bachelor Graduates in Germany

In größte Erklärungs- und Interpretationsnöte gerät die Studie bei den Fragen, ob die Tätigkeit dem studierten Qualifikationsniveau entspricht und ob das ebenso schnell wie mühsam erworbene Wissen im Beruf "weitgehend" verwendet werden kann. Hier mochten sich nur 69 beziehungsweise 35 Prozent der Bachelor-Absolventen zustimmend äußern und verlangten den Autoren so eine beachtliche Verbalakrobatik ab.

Die Absolventen von universitären Bachelor-Studiengängen in Deutschland beurteilen die Beziehung von Studium und Beruf nicht ganz so positiv wie die Absolventen der alten universitären Langstudiengänge.

Harald Schomburg: Employability and Mobility of Bachelor Graduates in Germany

“Nicht ganz so positiv”, aber doch viel “besser als gedacht“!

Der Bachelor als Zwischenstation

Junge Menschen sollten ermutigt werden, "ihre Bildungs- und Berufsbiographie nach ihren Neigungen und ihrer persönlichen Eignung zu planen", meinte Margret Wintermantel, die Präsidentin der Hochschulrektorenkonferenz, anlässlich der Vorstellung der neuen Studie. Dabei sei der Bachelor "ein solides Fundament".

Was sich hinter dieser einfachen und doch so kryptischen Formulierung verbirgt, bleibt der Phantasie des Betrachters überlassen. Hochschulrektorenkonferenz und Bildungsministerium begrüßen ausdrücklich, dass 78 Prozent (Universitäten) beziehungsweise 43 Prozent (Fachhochschulen) der Bachelor-Absolventen ein weiteres Studium aufnehmen.

Die Kultusministerkonferenz hatte mit dem neuen Format allerdings anderes im Sinn. In den ländergemeinsamen Strukturvorgaben für die Akkreditierung von Bachelor- und Masterstudiengängen wurde es unmissverständlich als "Regelabschluss eines Hochschulstudiums" definiert, der "für die Mehrzahl der Studierenden zu einer ersten Berufseinmündung" führen sollte.

Er hat ein gegenüber dem Diplom- und Magisterabschluss eigenständiges berufsqualifizierendes Profil, das durch die innerhalb der vorgegebenen Regelstudienzeit zu vermittelnden Inhalte deutlich werden muss. Als Studiengänge, die zu berufsqualifizierenden Abschlüssen führen, müssen die Bachelorstudiengänge wissenschaftliche Grundlagen, Methodenkompetenz und berufsfeldbezogene Qualifikationen vermitteln.

Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 10.10.2003 i.d.F. vom 18.09.2008

Doch Verlässlichkeit ist im Bologna-Prozess bekanntlich kein Kriterium. Schließlich konnte sich Annette Schavan auch schon für den Vorschlag der neun führenden Technischen Hochschulen erwärmen, den vermeintlich attraktiveren Diplom-Abschluss wieder einzuführen (Rückkehr zum "Qualitätsbegriff" des Diplom-Ingenieurs). Wenn nun aber drei von vier Bachelor-Absolventen einen Masterabschluss anstreben: Warum gibt es eigentlich noch immer keine Untersuchung über die Anzahl der verfügbaren Studienplätze und die tatsächliche Nachfrage?

Geringer Aussagewert

Wie diese Studie notorischen Kritikern der Bologna-Reform Wind aus den Segeln nehmen soll, wird die Bildungsministerin wohl noch einmal genauer erklären müssen. In den drei zentralen Themenfeldern ergeben sich aus dem Datenmaterial der Untersuchung selbst erhebliche Zweifel an den positiven Schlussfolgerungen der Interpreten. Darüber hinaus bildet sie die Situation der Bachelor-Absolventen nur in bestimmten Bereichen ab. Von den strittigen Finanzierungsfragen ist ebenso wenig die Rede wie von der Umstrukturierung der Studien- und Prüfungspläne und vielen anderen – vorsichtig formuliert: suboptimalen – Entwicklungen.

Überdies spielt die signifikant hohe Abbrecherquote, die nach der jüngsten Berechnung der Hochschul-Informations-System GmbH bei rund 30 Prozent liegt, bezeichnender Weise keine Rolle, wenn es um "Employability and Mobility" geht. Ein Drittel der Bachelor-Studenten fällt so aus der Betrachtung heraus, weil es im wesentlichen nur um die Absolventen geht, die in der Bilanz der Bologna-Befürworter naturgemäß eine bessere Figur machen.

Diese Art der statistischen Bereinigung geschieht heute übrigens sehr viel schneller als in den vergangenen Jahren. Die HIS-Studie weist nach, dass sich Studierende in den Bachelorstudiengängen durchschnittlich schon nach 2,3 Fachsemestern entschließen, diese akademische Laufbahn zu beenden. In den alten Studiengängen fällt die Entscheidung erst nach 7,3 Fachsemestern.

Wo der frühe Studienabbruch mit steigenden Abbruchquoten einhergeht, scheitern im Bachelorstudium offensichtlich mehr jener Studierenden schon beim Studieneinstieg, denen es in den bisherigen Diplom- oder Magisterstudiengängen gelungen ist, nach einer unter Umständen längeren Einstiegsphase noch im Studium Fuß zu fassen und erfolgreich einen ersten Hochschulabschluss zu erwerben.

Ulrich Heublein, HIS GmbH, Projektleiter der Studie "Ursachen des Studienabbruchs in Bachelor- und in herkömmlichen Studiengängen"

Aktuelle Zahlen des Deutschen Studentenwerks scheinen außerdem darauf hinzudeuten, dass die neuen Studiengänge immer häufiger psychische Probleme verursachen. Die 42 Studentenwerke in Deutschland, die eine Psychologische Beratungsstelle anbieten, führten im Jahr 2009 insgesamt 82.600 Beratungsgespräche durch. Rund 25 Prozent mehr als 2007. Auch die Zahl der Sozialberatungen nahm in diesem Zeitraum deutlich zu – von 56.500 auf 69.600.

Im Hause Schavan wird man es womöglich leicht nehmen und den Anstieg mit den zunehmenden Studentenzahlen in Verbindung bringen. Aber vielleicht geht es den Nachwuchsakademikern auch gar nicht "besser als gedacht".