Die Schattenregierung

Während die Minister im Licht der Scheinwerfer stehen, regieren die Staatssekretäre im Hintergrund. Noch nie war die Macht von Beamten wie Jörg Asmussen so groß wie heute

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Innerhalb der schwarz-gelben Koalition gärt es. Nein, es geht nicht um Stuttgart 21, miserable Umfrageergebnisse oder die Staatsfinanzen - man streitet sich stattdessen darüber, ob ein Staatssekretär mit SPD-Parteibuch die Bundesrepublik auf internationalem Parkett vertreten darf. Finanzminister Schäuble laboriert immer noch an den Spätfolgen eines operativen Eingriffs im letzten Jahr und muss für vier Wochen das Bett hüten. Dabei stehen im Oktober zwei wichtige G-20-Treffen in Washington und Südkorea an. Ginge es nach Schäuble, so würde ihn sein Staatssekretär Jörg Asmussen vertreten. Das wäre eigentlich auch nur logisch, schließlich ist Asmussen der eigentliche Herr im Hause, wenn es um Fragen internationaler Finanzmarktpolitik und -regulierung geht. Doch Asmussen hat ein entscheidendes Manko - er ist Mitglied der SPD.

Der Kern der Regierung

Manchmal sagen spontane Worte mehr als ausgefeilte Regierungserklärungen: Als Jörg Asmussen einmal auf einer Pressekonferenz danach gefragt wurde, wie die Bundeskanzlerin zu seinen Plänen der Finanzmarktregulierung stünde, erzählte er den Journalisten lieber, dass er in diesen Fragen mit seinem Kollegen Jens Weidmann einer Meinung sei und würzte dies mit dem Ausspruch:

Sie sehen, der Kern der Regierung ist intakt.

Der Kern der Regierung? In der Tat. Während die Öffentlichkeit sich stets auf Kanzlerin, Finanz- und Wirtschaftsminister konzentriert, werden die eigentlichen Fragen von einer kleinen Gruppe politischer Beamte beantwortet. Doch wer kennt schon die Namen Diwel, Otremba, Asmussen oder Weidmann?

Postenschieber

Es gibt in Deutschland zwei Arten von Staatssekretären - verbeamtete Staatssekretäre und parlamentarische Staatssekretäre. Letztere werden in der Regel bei einem Regierungswechsel ausgetauscht und durch treue Parteisoldaten ersetzt, die im Idealfall auch zumindest ein wenig fachliche Neigung für das entsprechende Amt mitbringen. Oft wird das Amt auch als eine Art Trostpflaster oder Praktikumsstelle vergeben - so dürfen momentan Nachwuchspolitiker wie Daniel Bahr, Cornelia Pieper oder Eckart von Klaeden als parlamentarische Staatssekretäre in ihren Wunschministerien noch ein wenig üben, bevor sie verantwortungsvollere Posten bekommen.

Wirkliche Macht haben parlamentarische Staatssekretäre jedoch nicht - sie sind in den Ministerien schlecht - oder gar nicht - vernetzt, haben keine direkte Weisungsbefugnis und bleiben daher bei der eigentlichen Arbeit auch meist außen vor. Vollkommen zu Recht bezeichnete der ehemalige parlamentarische Staatssekretär Ludger Vollmer diesen Posten einst mit den markigen Worten: „Dieser Job ist ein Unding“.

Aktuell hält sich die Regierung 30 parlamentarische Staatssekretäre - durchschnittlich zwei pro Ministerium. Jeder dieser Posten kostet den Staat nach Angaben des Bundes für Steuerzahler eine halbe Million Euro pro Jahr - dieser Job ist somit auch ein sehr teures Unding. Als Guido Westerwelle noch selbsternannter Oppositionsführer war, geißelte er diese „Verschwendungssucht an der Spitze“ noch mit markigen Worten. Als Regierungsmitglied wollte er von seinem „Geschwätz von gestern“ freilich nichts mehr wissen - kein einziger Posten wurde abgebaut.

Die Macht in der zweiten Reihe

Anders als die parlamentarischen Staatssekretäre, verfügen die verbeamteten Staatssekretäre über sehr reale Macht. Sie sind in den jeweiligen Ministerien die Amtschefs und koordinieren die gesamte Arbeit in ihren Häusern. Wenn ein Ministerium eine Gesetzesvorlage erarbeitet, so trägt diese meist die Handschrift des zuständigen Staatssekretärs. Sie sind Hirn und Hand der Regierung, die Minister meist nur das Gesicht. „Uns ist egal, wer unter uns Minister ist“, so lautet die Parole.

Als Joseph Fischer beispielsweise sein Amt als erster grüner Außenminister antrat, glich dies einem Gang nach Canossa. Auflösung der NATO, Pazifismus, Alternativen zur transatlantischen Ausrichtung - all diese „urgrünen“ Forderungen waren schnell vom Tisch, nachdem Fischer von seinen Staatssekretären „auf Linie“ gebracht wurde. Nicht Fischer, sondern Personen wie Gunter Pleuger, Jürgen Chrobog oder Klaus Scharioth - allesamt alte Spitzenbeamte aus der Genscher-Ära -, bestimmten die Leitlinien, innerhalb derer Fischer Politik verkaufen konnte. Auch Guido Westerwelle wurde im Auswärtigen Amt sehr schnell „eingenordet“ - Kontinuität ist das oberste Gebot des Hauses, egal, wer ihm formell vorsteht.

Neben dem auswärtigen Amt ist vor allem das Finanzministerium ein Paradebeispiel für eine sich selbst regulierende Behörde in der Hand der Staatssekretäre. Theo Waigel, Oskar Lafontaine, Hans Eichel, Peer Steinbrück und Wolfgang Schäuble haben eins gemeinsam - sie waren und sind erfolgreiche Parteipolitiker, die sich zwar mit Haushaltsfragen auskennen, aber ganz sicher keine ausgemachte Experten auf dem Gebiet der Finanzmärkte oder gar der Finanzmarktregulierung sind. Neben externen Fachleuten, die (mit Ausnahme von Oskar Lafontaine) beinahe ausschließlich aus dem Dunstkreis der Finanz- und Bankenwelt kamen und kommen, gehören vor allem die Spitzenbeamten aus „dem eigenen Haus“ zu den engsten Beratern der Minister.

Es mag Peer Steinbrücks Ego - und seiner Geldbörse - schmeicheln, wenn er dem Volk in seinem jüngst erschienen Buch erzählt, wie er Deutschland - und damit die ganze Welt - auf dem Höhepunkt der Finanzkrise vor dem „Untergang“ gerettet haben will. Insider können da nur schmunzeln, war Steinbrück doch lediglich das Gesicht, das die Vorgaben aus dem Ministerium artig in die Mikrophone aufsagte. Ohne seinen Staatssekretär Asmussen traute sich Steinbrück seinerzeit ohnehin nicht in eine Pressekonferenz - wurden die Fragen detaillierter, verwies Steinbrück damals gleich an Asmussen, der stets an seiner rechten Seite Platz nahm.

Jörg Asmussen - Schaltstelle des Finanzministeriums

Jörg Asmussen wird von seinen Sympathisanten als „pragmatisch und unideologisch“ beschrieben - im neoliberalen Sprachgebrauch sind dies echte Qualitätsmerkmale. Als „unideologisch“ kann man Asmussen jedoch nur dann bezeichnen, wenn man negiert, dass der Neoliberalismus eine Ideologie ist. Jörg Asmussen war nicht nur einer der Brandstifter bei der Finanzkrise, er war vielmehr in Personalunion auch der Zündholzlieferant.

Zusammen mit seinem Freund Jens Weidmann war Asmussen nach dem Studium der Volkswirtschaftslehre Mitarbeiter am Lehrstuhl des damals noch jungen und unbekannten Bonner Professors Axel Weber. Asmussen wurde bereits zu Waigels Zeiten ins Finanzministerium geholt und arbeitete sich von Jahr zu Jahr auf der Karriereleiter empor. Einen kleinen Rückschlag musste er lediglich während der kurzen Amtszeit Oskar Lafontaines hinnehmen.

Als „Überbleibsel aus der Waigel-Zeit“ wurde er seinerzeit dem Ökonomen Heiner Flassbeck, der damals Asmussens heutiges Amt innehatte, zugewiesen. Flassbeck bezeichnete Asmussen damals als „mittelmäßigen Ökonomen“, der „für höhere Aufgaben ungeeignet sei“ - „zum Koffertragen aber gerade recht“. Mit Lafontaine musste allerdings auch Flassbeck sein Amt räumen und unter Lafontaines Nachfolger Hans Eichel begann der kometenhafte Aufstieg des „mittelmäßigen Ökonomen“ Asmussen.

Jens Weidmann - Merkels neoliberales Mastermind

Asmussens Freund Weidmann machte ebenfalls eine steile Karriere. Zunächst durfte er für den IWF afrikanischen Ländern bei der Liberalisierung ihrer Märkte helfen, danach arbeitete er vier Jahre lang als Generalsekretär beim Sachverständigenrat, den „fünf Wirtschaftsweisen“. Dort galt er als einer der Initiatoren eines Vorschlags der Wirtschaftsweisen zum grundlegenden Umbau der Sozialhilfe und zur Einrichtung eines sozial abgesicherten Niedriglohnsektors - Weidmann schuf somit den theoretischen Rahmen, den Schröder in seiner Agenda 2010 später umsetzen sollte.

Nach einem kurzen Intermezzo bei der Bundesbank holte Angela Merkel Jens Weidmann nach Berlin. Seit 2006 ist Weidmann dort Leiter der Abteilung IV (Wirtschafts- und Finanzpolitik) im Bundeskanzleramt - Chefunterhändler der Regierung bei internationalen Treffen, oberster Wirtschaftsberater der Kanzlerin.

Das Trio Asmussen-Weidmann-Weber ist eine Seilschaft im besten Sinne. Asmussen war es, der im Jahre 2004 seinem damaligen Chef Hans Eichel empfahl, Axel Weber für das Amt des Präsidenten der Deutschen Bundesbank vorzuschlagen. Es kommt sicher nicht allzu oft vor, dass ein Professor von seinen ehemaligen Studenten auf dem Weg nach oben protegiert wird. Axel Weber sorgte wiederum für den Aufstieg Weidmanns - er holte ihn zur Bundesbank und empfahl ihn schließlich auch der Kanzlerin.

Weidmann will nun als „Flüsterer in Merkels Ohr“ dafür sorgen, dass Weber im nächsten Jahr Jean-Claude Trichet im Amt des mächtigen EZB-Präsidenten folgen wird. Asmussen schreibt im Finanzministerium Gesetze und gibt die deutsche Linie bei internationalen Finanzfragen vor, Weidmann sorgt dafür, dass die Kanzlerin Asmussens Linie vertritt und Weber gibt den „externen Experten“, der all dies mit der Empfehlung der Bundesbank adelt.

Neoliberale Seilschaften im Dunkeln

Die neoliberale Seilschaft funktionierte prächtig und blieb stets im Dunklen. Die Öffentlichkeit weiß natürlich nicht, wer beispielsweise hinter den Plänen steckt, die Bundesbank zu Lasten des BaFin zur „Allfinanzaufsicht“ zu machen. Warum die jüngst beschlossenen Maßnahmen zur Finanzmarktregulierung weit hinter den kommunizierten Zielen zurückbleiben, wird ebenfalls nicht hinterfragt - stammen die Pläne doch allesamt „aus dem Finanzministerium“, und das hat weder einen Namen noch ein Gesicht. Das Hirn des Ministeriums hält hingegen nach wie vor nicht viel von wirksamen Finanzmarktregulierungen.

Mit dem Regierungswechsel zogen allerdings die ersten Wolken über dem „Kern der Regierung“ auf. Der Grund für die Unstimmigkeiten ist freilich banal - Jörg Asmussen hat ein Parteibuch der SPD. Mit Sozialdemokratie hat Asmussen natürlich nichts am Hut, sein kometenhafter Aufstieg wäre ohne Parteimitgliedschaft allerdings unmöglich gewesen, schließlich gibt es bei den Sozialdemokraten - anders als bei Union und FPD - nicht viele politische Beamte, die profunde Kenntnisse vom Finanzsektor haben und bestens vernetzt sind. Vor allem die FDP hatte sich als Oppositionspartei mit Vorliebe an Asmussen abgearbeitet. Sowohl der liberale Obmann im Finanzausschuss, Volker Wissing, als auch der Parteivorsitzende Guido Westerwelle verlangten noch im letzten Jahr lautstark Asmussens Kopf. Welch Ironie der Geschichte, dass Asmussen trotz des Widerstands der FDP und trotz seines SPD-Parteibuchs immer noch in Amt und Würden ist.

Sein Freund Jens Weidmann hat es da besser - er besitzt gar kein Parteibuch. Jörg Asmussen zieht immer noch die Fäden im Hintergrund, formuliert Gesetzesvorhaben und ist Ghostwriter der deutschen Position bei internationalen Finanzabkommen. Warum sollte er dann nicht gleich auch als Verhandlungsführer an internationalen Treffen wie dem G-20-Finanzministertreffen teilnehmen? Viel mehr als für das gemeinsame Gruppenfoto zu posieren, haben die Minister Steinbrück und Schäuble auf solchen Treffen eh nie getan.

Die Arbeitsfassung des Abschlusskommuniques wird in der Regel bereits im Vorfeld auf Arbeitsebene - also unter Leitung der Staatssekretäre - ausgearbeitet und auch bei den letzten Änderungen feilen weniger die Minister, sondern mehr die Staatssekretäre am endgültigen Wortlaut. Warum sollte man also Merkel und Schäuble zu Treffen schicken, bei denen sie nicht viel mehr als den „Grüßaugust“ für die Kameras der internationalen Medien zu machen haben? Die Antwort ist ebenso einfach wie banal: Wie soll man dem Wähler vermitteln, dass seine Volksvertreter wesentlich weniger Macht haben, als man vermutet?

Gruppenbild mit Brüderle

Doch die emsige Regierung hat für den kranken Wolfgang Schäuble bereits einen wahrhaft „würdigen“ Vertreter gefunden. Rainer Brüderle wird Schäuble während dessen Krankheitspause auf internationalen Treffen vertreten. Rainer Brüderle? Der Brüderle, der gänzlich unbeschlagen auf dem Gebiet der Finanzmärkte ist und selbst sein eigenes Ministerium ohne Hilfe der wirkmächtigen Staatssekretäre nicht führen könnte? Die internationalen Finanzmärkte können jedoch aufatmen. „An Brüderles Seite“ wird natürlich nach wie vor Jörg Asmussen die Verhandlungen führen, Brüderle reist lediglich als Staffage für das Gruppenbild mit, um Volk und Partei zu versichern, dass die deutsche Finanzmarktpolitik „in guten Händen“ ist. Kontinuität ist nach wie vor das oberste Primat deutscher Politik.

Sollten Asmussen und Co. doch einmal entlassen werden, so fallen sie weich. Ein verbeamteter Staatssekretär ist zwar unkündbar, darf aber natürlich - ohne Angabe von Gründen - in den vorzeitigen Ruhestand versetzt werden. Aber vom Ruhegehalt (71,75% der Bezüge) wird auch ein Jörg Asmussen nicht leben müssen. Sein Vorgänger Cajo Koch-Weser wechselte direkt zur Deutschen Bank, sein ehemaliger Mitstreiter und Kanzleramtsminister Hans Martin Bury wechselte - welch Pech - zu Lehman Brothers. Es bleibt nun einmal alles in der Familie und die Profiteure der Finanzmarktderegulierung haben sich stets als großzügig erwiesen. Auf dem Schaden, den Beamte wie Asmussen anrichten, bleibt jedoch der Bürger sitzen.

Am letzten Freitag ließ Jörg Asmussen aus Brüssel verkünden, dass die Folgen der HRE-Pleite die Staatsschuldenquote um 8,5% auf 84% des Bruttoinlandprodukts steigern würden, wenn man die Papiere erst einmal konsolidiert. Auf jeden Euro Staatsschulden werden also demnächst 10 Cent für die „Rettung der HRE“ kommen. Der Kern der Regierung macht wahrlich einen wunderbaren Job.