Ungarisches Giftschlammgulasch

Der Verursacher der Bauxitschlammlawine spielt die Verantwortung für den Unfall und die Schäden herunter. In den betroffenen Dörfern rund um das Aluminiumwerk herrscht Endzeitstimmung

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Ungarn halten manche, die sich für rechtsextremistische Strömungen interessieren, für das schlimmste Laboratorium in Europa. Möglicherweise gilt dies nicht nur parteipolitische Entwicklungen. Nachdem obskure Finanztransaktionen das Land in internationale Schlagzeilen brachte, ist es nun ein Unfall in der Aluminiumhütte MAL AG bei dem Ort Kolontar, dessen rote Bauxitschlammlawine weltweit für Nachrichten aus Ungarn sorgt.

Dass Nachrichten und Videoreportagen der gulaschfarbigen Überschwemmungen oft von Google-Anzeigen für Zahnkliniken begleitet werden, ist ein Hinweis darauf, wofür das Land beim Durchschnittskonsumenten im Westen vor allem bekannt ist. Der Speicherbeckenbruch in der Aluminiumhütte bestätigt Vorurteile: Dass Umweltschutzvorschriften in osteuropäischen Ländern und eben auch in Ungarn sehr lax gehandhabt werden: „Wir sind zum Land der Mülldeponien geworden.“ Und dass die Privatisierung von ehemaligen Staatsbetrieben nach der Wende den neuen Besitzern mit guten Verbindungen zur Politik-Elite größte Freiheiten gab, notwendigen Regulierungen auszuweichen.

Der Bauxitschlamm wurde von dem Aluminiumwerk in offenen Speichern gelagert. Als am Anfang der Woche einer brach, traten schätzungsweise eine Million Kubikmeter Schlamm aus. Möglicherweise kamen nach manchen Schätzungen bis zu zehn Menschen um; mehr als Hundert wurden verletzt. Spektakuläre Bilder von rötlich gefärbten Fluten, die ganze Ortschaften umspülen, unterstrichen geäußerte Befürchtungen, dass dies der Anfang einer großen Umweltkatastrophe sei (das Ausmaß des Dammbruches am Speicher ist hier, Danke an Leser im Forum!, besonders gut zu erkennen).

Doch wird mittlerweile abgewiegelt. Zwar habe der giftige Schlamm, wie befürchtet, Nebenläufe der Donau erreicht, aber es sei nicht so schlimm, heißt es heute unter Berufung auf „ungarischen Katastrophenschutzbehörden“:

Eine unmittelbare Gefahr für die Donau bestehe jedoch nicht (...). Die laugenhaltige Masse sei durch den Zusatz von Gips bereits so weit verdünnt worden, dass sie nicht mehr derart gefährlich sei.

Allerdings, so berichtet die Deutsche Welle weiter, „habe in dem Fluss Marcal, in den die giftige Brühe zuerst gespült wurde, bereits ein Fischsterben eingesetzt“. Das wird auch von anderen Meldungen bestätigt, die Beobachtungen des Donau-Karpaten-Büro des WWF wiedergeben. Demzufolge seien Tonnen an Dünger in die Marcal gekippt worden, um die ätzende Lauge zu binden. Nach Aussagen des WWF-Vertreters Andreas Beckmann wollen „mehr als 90 Prozent der Bevölkerung von Kolontar“ wegsiedeln. In den Dörfern rund um das Aluminiumwerk herrsche Endzeitstimmung.

Klub der reichsten Ungarn

Ungarischen Pressemeldungen zufolge, die von deutschen Medien zitiert werden, ist der Aluminiumhersteller MAL nicht in der Lage für die Schäden aufzukommen. Angeblich ist er für Schäden von maximal 35000 Euro versichert. Den betroffenen Haushalten habe man angeblich Hilfszahlungen von 400 Euro angeboten. Die Kosten für die Aufräumarbeiten werden derzeit auf mindestens 36 Millionen Euro geschätzt. Nicht ausgeschlossen, dass sich diese Zahl noch um einiges erhöhen wird. Wie in solchen Fällen nicht untypisch versucht der Konzern, seine Verantwortung herunter zu spielen: Der „ungewöhnlich starke Regen sei für das Unglück verantwortlich“.

Laut Informationen des österreichischen Zweigs von Greenpeace sind die Hauptaktionäre der MAL AG weniger arm als die Versicherungen des Konzerns und ihre Schadensersatzangebote vorgeben:

Bei den beiden Hauptaktionären handelt sich um den bekannten Ungarn Lajos Tolnay und die Industriellen-Familie Bakonyi, deren Sohn Zoltan Bakonyi auch als Geschäftsführer der MAL AG tätig ist. Gemeinsam haben Tolnay und die Familie Bakonyi die ehemals staatliche ungarische Aluminiumindustrie im Jahre 1995 zu günstigen Konditionen übernommen und sind seit damals in den Klub der reichsten Ungarn aufgestiegen.

Nach Angaben der Konzernleitung sind „95 Prozent des Schlamms im Becken verblieben“ und können auch "nicht als gefährlicher Abfall" eingestuft werden. Greenpeace ist da selbstverständlich anderer Meinung. Heute will die Umweltschutzorganisation genaue Untersuchungsergebnisse präsentieren.