Israel: Einwanderer sollen einen Treueeid auf den "jüdischen und demokratischen Staat" ablegen

Kritiker warnen vor einem faschistischen Staat, allerdings gehören solche Extreme zur Idee vom Nationalstaat

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Israel versteht sich als Nationalstaat, aber die Regierung hält an einem besonderen Konzept dieser neuzeitlichen Idee fest: der israelische Staat soll ein jüdischer Staat sein und bleiben, zudem soll er ein demokratischer sein – und beides sei untrennbar miteinander verbunden. Der israelische Ministerpräsident Netanjahu machte auch letztes Jahr die unbedingte Anerkennung von Israel als "Nationalstaat der Juden" zu einer der Grundvoraussetzungen für einen Friedensprozess, da hier die Juden seit 3.500 Jahren leben würden (Netanjahu schlägt palästinensischen Phantomstaat vor).

Die Forderungen der rechten israelischen Regierung sollen nun nach einem Kabinettsbeschluss, gegen den vergeblich alle 5 Minister der Arbeiterpartei und 3 der Likud-Partei gestimmt haben, auch in einen Eid münden, den alle abzulegen haben, die in Israel einwandern wollen und keine Juden sind. Sie sollen dem "israelischen Staat als jüdischem und demokratischem Staat" die Treue schwören. Die Einführung des Treueschwurs ist eine Einlösung von Versprechen, die Netanjahu der rechtsnationalistischen Partei Yisrael Beitenu.

Netanjahu begründet den Eid damit, dass der israelische Nationalstaat dual sei, nämlich eben ein jüdischer und demokratischer Staat sei. So sei der Staat Israel der Nationalstaat der Juden und gleichzeitig sei er "ein demokratischer Staat für alle seine Bürger. Juden und Nicht-Juden sind gleich und haben dieselben Rechte." Er hebt hervor, dass es im Nahen Osten keine weitere Demokratie gebe, es gebe weltweit aber auch keinen weiteren jüdischen Staat: "Die Kombination dieser beiden erhabenen Werte drückt die Grundlage unseres nationalen Lebens aus. Jeder, der sich uns anschließen will, muss dies anerkennen." Netanjahu warnt davor, dass es viele Menschen gebe, die versuchen würden, "nicht nur die einzigartige Verbindung des jüdischen Volks mit seinem Heimatland, sondern auch die Verbindung des jüdischen Volkes zu seinem Staat zu verwischen". Das hat etwa der israelische Historiker Shlomo Sand bestritten und seine Thesen haben eine intensive und anhaltende Diskussion darüber ausgelöst, wie sich der israelische Staat definieren soll (Sind Palästinenser die echten "Kinder Israels"?).

Allerdings soll so auch bewusst die Frage ausgeklammert werden, ob die Juden ein Volk sind, das letztlich von den Erzvätern abstammt, oder ob es keinen gemeinsamen ethnischen bzw. genetischen Hintergrund gibt. Schließlich gilt als Jude, wer eine jüdische Mutter hat, die aber nur vor der Empfängnis zum Judentum konvertiert sein muss. Das würde Juden nicht zu einem ethnischen Volk, sondern zu einer Religionsgemeinschaft machen, was auch die Möglichkeit war, in der Diaspora weiter zu bestehen. Nach dem Zionismus gehört jeder Jude auf der Welt zum jüdischen Volk, dessen Nationalstaat Israel ist. Auf der anderen Seite gelten die Angehörigen der keineswegs homogenen arabischen Minderheit, mittlerweile etwa ein Fünftel der Gesamtbevölkerung, überdies nicht nur Muslime, sondern auch Christen und Drusen, im Sinne des dualen Staatsverständnisses zwar als israelische Bürger, aber sie haben keine israelische Nationalität. Das alles sind schwierige und auch bei den Juden umstrittene Begründungen für einen jüdischen Nationalstaat, der von vielen Angehörigen der in Israel lebenden arabischen Minderheit aber als diskriminierend abgelehnt wird, als eine ethnische Demokratie.

In Israel herrscht die Angst vor, dass trotz der zunehmenden Abschottung von den palästinensischen Gebieten und der gleichzeitigen Vergrößerung des israelischen Staatsgebietes durch den Weiterbau von Siedlungen das Land überfremdet werden könnte, weil die arabische Bevölkerung eine höhere Geburtenrate hat als die jüdische Bevölkerung hat. Man will, um den jüdischen Nationalstaat zu sichern, auch dafür sorgen, dass es eine jüdische Mehrheit im Land gibt und schürt die Angst vor der demografischen Zeitbombe (die allerdings auch von israelischen Demografen bestritten wird). Die religiösen Nationalisten führt ihr Eifer, wie hierzulande Sarrazin, den Retter Deutschlands, zu einigen Wirrungen, beispielsweise zur Behauptung, es gebe ein orthodoxes Gen, das irgendwie auch die haben sollen, die zum Judentum konvertieren.

Die wird allerdings nicht nur durch die Geburtenrate der arabischen Minderheit bedroht, sondern etwa auch durch die Zuwanderer. Die meisten der russischen Zuwanderer gelten nämlich nicht als Juden. Vielleicht aber auch durch die Siedler, die das Territorium des jüdischen Staats im Westjordanland erweitern wollen und damit eine Zwei-Staaten-Lösung verhindern könnten. Das könnte, wenn Israel den Bogen soweit überhaupt überspannen darf, dazu führen, dass die Palästinenser in einem größeren Staat integriert werden müssen, dessen jüdische Nationalität dann höchst fragwürdig wäre.

Warnung vor einem ethnokratischen Staat

Nicht nur im Kabinett stößt der Beschluss auf Kritik, am Sonntag kam es auch zu sofort nach Bekanntwerden zu einer Demonstration von Künstlern, Schriftstellern und Intellektuellen in Tel Aviv. Auf der Kundgebung warnte Professor Yaron Ezrachi, dass Israel sich von der Vision eines demokratischen Staates abkehre und zu einem faschistischen Staat werden könne: "Unsere Kinder werden diesen schrecklichen Ort entweder verlassen, ins Gefängnis kommen oder in den Straßen wie im Iran kämpfen." Man könne die Menschen in einem Land wie Israel, das in Unsicherheit lebe und keine feste Identität habe, leicht aufhetzen. Prof. Gavriel Solomon, ein Psychologe, verglich den Eid als Beginn von Entwicklungen, wie sie auch mit den Rassengesetzen 1935 in Deutschland eingesetzt haben. Der Schriftsteller Yoram Kaniuk warf der Regierung vor, sie hätte die 350.000 Menschen einfach beiseite geschoben, die eine Petition gegen den Eid unterschrieben haben.

Die frühere Außenministerin und Kadima-Chefin Tzipi Livni wies den Eid als Schnapsidee zurück. Allerdings nicht, weil sie das Konzept des jüdischen Staats kritisiert, sondern weil dieser Beschluss als Provokation aufgefasst werden wird. Kritik kommt auch von den Abgeordneten der arabischen Minderheit. Kein anderer Staat würde von Einwanderern einen Eid auf eine Ideologie verlangen, zudem habe Israel bewiesen, dass es nur eine Demokratie für Juden sei. Der palästinensische Führer Mustafa Barghouthi sagte, das Gesetz sei eine "offene Erklärung der Apartheid".

Gideon Levy kommentierte den Beschluss in der Zeitung Haaretz. Er sagt, dass damit Israel in die Fußspuren einer Theokratie gerate, wie es sie in Saudi-Arabien gebe. Man müsse sich an diesen Tag erinnern, der Israel für alle, nicht nur für Einwanderer verändern werde: #

Von heute an werden wir in einem neuen, offiziell anerkannten ethnokratischen, theokratischen, nationalistischen und rassistischen Land leben. Jeder, der meint, das berühre ihn nicht, begeht einen Fehler. Es gibt eine schweigende Mehrheit, die das mit einer beängstigenden Apathie so akzeptiert, als würde man sagen: "Mir ist es egal, in welchem Land ich lebe." Und auch jeder, der meint, die Welt werde sich weiterhin zu Israel als einer Demokratie verhalten, versteht nicht, um was es geht. Es ist ein weiterer Schritt, der ernsthaft dem Image von Israel schadet.

Gideon Levy

Das Dilemma der Idee des Nationalstaats

Israel führt nur in exemplarischer Weise einige der Paradoxien vor, die Nationalstaaten auszeichnen. Nationalstaaten sind eine aus der Befreiung vom Feudalismus entstandene Erfindung der europäischen Neuzeit, vor allem im Laufe des 19. Jahrhunderts, die im Zuge des Kolonialismus exportiert und zum Weltstaatensystem erhoben wurden. Sie sind ein Konstrukt geblieben, oft genug ein höchst explosives, da die Nationalisierung implizit auf die Autonomie auch kleinerer Minderheiten übergreift, die Souveränität beanspruchen und sich von Fremdherrschaft befreien wollen.

In aller Regel sind Nationalstaaten Vielvölkerstaaten, zumindest wohnten in den Staaten Menschen unterschiedlicher Sprache mit verschiedenen Kulturen und Religionen sowie ethnischen Herkünften. Oft genug setzte sich im Zuge der Bildung eines Nationalstaats schlicht eine herrschende Bevölkerungsgruppe durch, nicht immer, aber meist die Mehrheit, um dann die der Idee des Nationalstaats inhärente Vereinheitlichung und Homogenisierung zu betreiben, bis hin zu dem totalen Nationalstaat der Faschisten, der den vermeintlichen Nationalkörper von allem Fremden zu reinigen suchte. Ethnische Reinigung bis hin zum Völkermord ist ein inhärentes Extrem nationalstaatlicher Entwicklung und Ideologie. Entgegen den Imperien und Feudalstaaten, die nur eine politische Integration fordern, ist dem Nationalstaat auch die Forderung nach einer sozialen Integration der Anderen eingeschrieben – mit dem Ideal der Assimilation.

Der Geburtsfehler des Nationalstaats als junger Erfindung ist, dass er durch eine meist fingierte Geschichte als natürliches Gebilde gegenüber den alten Imperien und feudalen Staaten gerechtfertigt werden sollte, die Behauptung einer gemeinsamen biologischen oder gar genetischen Abstammung von Menschen, die dadurch ihr vermeintliches Recht auf ein Territorium einfordern, gehört zur Grundschicht des nationalen Gedankens. Wie gegenwärtig werden gemeinsame Religion, Kultur und Sprache als Kennzeichen einer Nation angeführt, was eigentlich darauf hinauslaufen müsste, neben jeder ethnischen Abstammung auch allen religiösen, kulturellen und/oder sprachlichen Minderheiten einen Nationalstaat zusprechen zu müssen und eine entsprechende ethnische, kulturelle, religiöse oder sprachliche Reinigung zu betreiben.

Das auch durch die Revolution weiterhin zentralistische Frankreich gilt gemeinhin als der erste Nationalstaat, der aber zeigt, dass er eher das Produkt einer (macht)politischen Geschichte ist, weniger einer ethnischen oder kulturellen. Und selbst in Ländern, in denen der Nationalstaat durch eine nationalistische Befreiungsbewegung entstand, standen dahinter auch immer machtpolitische und wirtschaftliche Interessen. 1790 stellte sich aufgrund einer offiziellen Untersuchung heraus, so der Historiker Jürgen Osterhammel in seiner Geschichte des 19. Jahrhunderts (Die Verwandlung der Welt), dass die Mehrheit im Land keineswegs Französisch sprach, sondern beispielsweise katalanisch, italienisch, deutsch, okzitanisch oder flämisch. Noch Ende des 19. Jahrhunderts sollen mehr als 12 Prozent der Schulkinder Französisch nicht beherrscht haben. In Italien sprachen Mitte des 19. Jahrhunderts gerade einmal 10 Prozent die Nationalsprache Italienisch. Die Durchsetzung der "Nationalsprache", die dann auch noch über die "Hochsprache" mit der Degradierung der Dialekte uniformiert und standardisiert wurde, geschah dann vorwiegend durch Verschulung und Alphabetisierung.