"Weil ich halt niemanden gehabt hab', dem ich vertrau"

"Tatort Internet" - das "neue investigative Format von RTL2" sieht sich einiger Kritik ausgesetzt - doch als Werbeformat funktioniert es und lässt einen wichtigen Aspekt der Thematik als Randbemerkung unter den Tisch fallen

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Über das Format "Tatort Internet - Schützt endlich unsere Kinder" wurde bereits viel geschrieben, was sich im Wesentlichen mit der reißerischen Aufbereitung der Thematik befasste. Dabei hat "Tatort Internet" durchaus funktioniert, wenn man es als Werbetrailer für den Verein "Innocence in Danger" ansieht. Hierbei gilt es die durchaus gelungene Choreografie zu betrachten.

Die in Wochenzeitschriften noch eher seriös anmutende Sendung wurde nicht nur vorgezogen, sie scheint auch gegenüber diversen Medien anders als tatsächlich umgesetzt angekündigt worden zu sein:

"Das World Wide Web, unendliche Weiten. Internethandel,- kommunikation und -anonymität dienen Usern und Betrügern. Wie Netzkriminelle Gutgläubigkeit und Sicherheitslücken für perfide Abzocke nutzen, zeigt die 10-tlg. Reihe über "Webverbrecher im Visier"

(TV-Spielfilm)

Während der Stern mit "Tatort Internet" als Titel aufwartete, entschloss man sich, so heißt es, die gleichnamige Sendung spontan in das Abendprogramm aufzunehmen. BILD konnte so tagesaktuell berichten und bemühte sich, die von der Freifrau von und zu Guttenberg quasi "geadelte" Sendung entsprechend reißerisch anzukündigen. Die Zusammenarbeit zwischen BILD und Frau von und zu Guttenberg hat eine lange Tradition. Die politische Redakteurin der BILD, Anna von Bayern, ist eine gute Freundin der von Guttenbergs, weshalb es naheliegt, zu vermuten, dass hier erneut der "Adel" (so man die "von-und-zu"-Personen so nennen mag) sich gegenseitig die Bälle zuwarf und auf diese Weise ein Vehikel für Frau von und zu Guttenberg und "Innocence in Danger" herauskam.

So ist es auch zu erklären, dass neben der Journalistin Beate Krafft-Schöning die Sendung wie eine fast schon satirisch anmutende Darstellung der Forderungen und Ansichten von "Innocence in Danger" erschien. Stephanie von und zu Guttenberg schien eher Staffage zu sein, ihre Kommentare, die wie auf Knopfdruck den Stichworten des hahnesk schauenden Udo Nagel folgten, waren weder aufschlussreich noch in irgendeiner Form von Fakten oder nachweisbaren Zahlen durchzogen, vielmehr gab es die üblichen Anmerkungen in Bezug auf immer grausamer werdende Bilder, vor der Kamera vergewaltigte Kleinkinder usw.

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Für besorgte oder interessierte Eltern sowie Jugendliche bot die Sendung keinerlei Erkenntnisse - doch die eingeblendeten Hilfsangebote sprachen eine klare Sprache: die des Geldes. So bietet die Hotline der Initiative "N.I.N.A." Hilfe für Erwachsene, die dem "Problem des sexuellen Missbrauchs nicht mehr hilflos gegenüberstehen wollen". Für 14 (Festnetz) bis zu 42 Cent (je nach Mobilfunkanbieter) pro Minute kann die 018- Nummer angerufen werden. N.I.N.A. - das steht für "Nationale Infoline, Netzwerk und Anlaufstelle zu sexueller Gewalt an Mädchen und Jungen" und ist eine Initiative des Bundesvereins zur Prävention von sexuellem Missbrauch an Mädchen und Jungen. Unterstützt wird sie von "Innocence in Danger". Gleiches gilt für die Web-Beratungsstelle Save me online. Vertretungsberechtigte ist die Geschäftsführerin von "Innocence in Danger", Julia von Weiler.

Auch der auf die Sendung folgende Chat bot lediglich die Gelegenheit, mit Julia von Weiler in Kontakt zu treten. Andere Experten vermisste man.

Abgesehen von den "Innocence-in-Danger"-Protagonisten durfte in "Tatort Internet" eine weitere Frau ihrem persönlichen Fetisch frönen: Beate Krafft-Schöning. Die Journalistin betreibt die Webseite "Kinder sind tabu" - und zeigt da bereits auf, wie sie sich investigativen Journalismus und den Einsatz zum Schutz der Kinder vorstellt:

NetKids recherchiert verdeckt im Internet, ermittelt den "Ist-Zustand" und macht sich Gedanken darüber, wie Kinder und Jugendliche vor den Gefahren des Internets präventiv geschützt werden können.

Die verdeckten Recherchen dürften so ähnlich wie bei "Tatort Internet" ablaufen - in Chaträumen usw. sich als minderjährig ausgeben und dann abwarten. Das Bedauerliche an "Tatort Internet" war, dass sich anscheinend weder die Damen von "Innocence in Danger" noch Frau Krafft-Schöning Gedanken darüber machten, wie die 13jährige Mandy, die in der Sendung von ihren Erfahrungen in Bezug auf sexuelle Belästigung usw. erzählte, vor sich selbst zu schützen sei.

Wer noch dachte, die offensichtlich eher schüchterne und ungelenke Mandy, die von Penisbildern, die man ihr schickte, von "Tittenbildern", die sie schicken sollte und von ihrer Angst erzählte, sei eine Laienschauspielerin, die den Part eines tatsächlichen Opfers übernehmen sollte, sieht sich eines Besseren belehrt. Der in der Sendung kurz aufgetreten Kriminalhauptkommissar Armin Bock ist zwar derzeit nicht mehr bei der Polizei zu erreichen, aber diese teilt mit, dass sie auf Anfrage "Fälle, die in die Sendung passten" [anonymisiert] geliefert hätten, wobei Mandys Fall deshalb herausgesucht wurde, weil sie und ihre Mutter sich bereit erklärt hätten, vor die Kamera zu treten. In anderen Fällen sei dies nicht der Fall gewesen, sodass diese nicht berücksichtigt worden wären.

Es zeigt von wenig Verantwortungsbewusstsein, wenn man ein 13jähriges Mädchen vor einem Millionenpublikum davon erzählen lässt, wie es Bilder vom Penis eines Erwachsenen etc. erhielt. Auch die Fragen, die Mandy gestellt wurden, ließen jedes Feingefühl außer Acht. So erzählte Mandy, dass sie Fotos erhielt, auf denen ... gezeigt wurde. Das Wort sprach sie nicht aus, doch das übernahm die Fragestellerin "Vom Penis?"

So verwundert auch wenig, dass auch Mandys Erklärung, dass sie niemandem davon hätte erzählen können, weil sie niemanden gehabt hätte, dem sie vertraut, nicht nur von Udo Nagel, sondern auch von den "Innocence-in-Danger"-Damen und Beate Krafft-Schöning ignoriert wurde. Eigentlich wäre diese Erklärung von immenser Wichtigkeit gewesen - zeigte sie doch einen wesentlichen Aspekt hinsichtlich der Belästigung von Minderjährigen im Internet und deren Hilflosigkeit bei Erpressungen. Hier wäre ein Moment gewesen, um einzuhaken, um Hilfsangebote vorzustellen, um Eltern Hinweise zu geben, woran sie erkennen können, dass ihr Kind belästigt wird. Doch der Moment verstrich ungenutzt, das Thema schien zu wenig spektakulär für das Format.

Dass Frau Krafft-Schöning in ihren Tipps für Minderjährige dann noch behauptet, diese würden sich strafbar machen, wenn sie ein "sexy" oder "sexuell provokantes" Foto von sich an den Freund verschicken würden, ist dann nur noch ein weiterer Grund, die Motive und die Expertise der "Kinderschützer" anzuzweifeln. Denn nicht nur macht sich der oder die Minderjährige keineswegs selbst strafbar - durch diese Falschaussage können gerade unsichere Kinder wie Mandy, die bereits von jemandem genötigt worden sind, weiter erpresst werden, indem ihnen gesagt wird, dass sie zu tun haben, was gewollt wird, sonst würden sie im Gefängnis landen, wegen der Fotos, die sie versandt haben. So wird der Würgegriff der Erpresser noch stärker. Aber darum scheinen sich weder Frau von und zu Guttenberg noch Frau von Weiler oder Frau Krafft-Schöning Gedanken zu machen. Bedenkt man, dass sich nach eigener Aussage Frau von Weiler und Frau Krafft-Schöning seit Langem mit der Thematik befassen, fällt es schwer, hier noch an "Innocence" zu glauben.

Update:Von TV Spielfilm kam mittlerweile folgende Antwort:

Die Sendung war eine kurzfristige Programmänderung, die alle Redaktionen ziemlich verwirrte. Geplant war ursprünglich die Sendung "Tatort Internet - Webverbrecher im Visier", zu der uns wie auch allen anderen Programmzeitschriften RTL II einen Pressetext schickte, auf Grund dessen wir den abgedruckten Tipp verfassten. Nach Drucklegung änderte RTL II den Titel der Sendung um in "Tatort Internet - Schützt endlich unsere Kinder" und lieferte Informationen nach, darunter, dass Stephanie zu Guttenberg als "Expertise dem Format zur Seite steht" und Udo Nagel moderiert. "Stern" und "Bildzeitung" hatten die Informationen eindeutig früher als andere Redaktionen, da sie ihre Titelgeschichten damit schmückten, bevor Programmzeitschriften sie überhaupt bekamen. Das ist eindeutig nicht übliche Praxis und bleibt hoffentlich ein Einzelfall, der prompt eine für RTL II gute PR-Maschinerie in Gang gesetzt hat.

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