Tatort Internet oder: Warum all die Kritik?

Zu viele Fragen bleiben offen und unbeantwortet

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Da von Seiten der TI-Protagonisten die Kritik eher als „Schmutzkampagne“ gegen den Sender bzw. als „Pro-Kinderschänder“-Argumentation wahrgenommen wird, bietet es sich an, noch einmal die wichtigsten Kritikpunkte aufzuführen.

Die Sendung soll helfen, über Gefahren für Kinder (im Internet) aufzuklären

Die Sendung widmet sich lediglich einer Gefahr, nämlich der, dass sich Erwachsene Minderjährigen im Chat nähern, um sich mit den Minderjährigen zu treffen und mit ihnen sexuelle Handlungen auszuführen. Hierzu wird jene Methode angewandt, die Beate Krafft-Schöning (BKS) schon seit Jahren anwendet: Sie betritt Chaträume, gibt sich als Minderjährige aus und wartet ab, bis sich jemand an sie als vermeintlich minderjährige Chatteilnehmerin heranmacht. Da die Sendung nie den gesamten Chatverlauf aufzeigt, ist nicht ersichtlich, ob der Chatverlauf aktiv von BKS in diese Richtung gesteuert wird.

In der Sendung zeigte sich die vermeintlich 13jährige Chatteilnehmerin gegenüber den sich an sie heranmachenden Herren eher aufgeschlossen und willigte selbst, als der chattende Herr ihr Videos von sich beim Masturbieren und Bilder seines Penis sandte, in ein Treffen ein. Hier ist die Frage, ob nicht das falsche Signal gegeben wird, da es sinnvoll wäre, aufzuzeigen, wie Kinder in solchen Fällen reagieren sollten – den Chat abbrechen, den Chattenden melden, die Eltern oder andere Vertrauenspersonen auf die Bilder ansprechen usw. usf.

Die Sendung hilft, Täter zu überführen

Während im ersten Teil noch ausgesagt wurde, dass das Material den Strafverfolgungsbehörden übergeben worden sei, stellte sich dies im Nachhinein als Falschinformation heraus. Es gibt diesbezüglich einige Informationen, die aber nicht wirklich darüber Aufschluss geben, ob das Material teilweise übergeben und nicht für eine Ermittlung/Verurteilung ausreichend war oder ob es gar nicht erst übergeben wurde. Laut Udo Nagel, der die Sendung moderiert, hat man sich nunmehr entschlossen, das Material direkt an die Strafverfolgung zu übergeben. Da im ersten Teil suggeriert wurde, die „Überführten“ seien bei der Polizei gemeldet worden, entstand die Ansicht, es würde hier um private Ermittlungen mit dem Ziel, die Strafverfolgung zu unterstützen, gehen. Da die Strafverfolgung nicht unterrichtet wurde, liegt nahe, den Sendungsmachern eigennützige Ziele zu unterstellen.

Problematisch ist die Frage, ob es an RTL2, „Innocence in Danger“ oder BKS gewesen wäre, die Arbeitgeber der „Überführten“, so bekannt, zu informieren. Die Caritas, bei der einer der „Überführten“ (der derzeit als vermisst gilt) als Heimleiter tätig war, beklagte, dass sie nicht darüber informiert worden war, was RTL2 über den Mann erfahren hatte – RTL2 teilte nunmehr mit, dass es ab jetzt die Arbeitgeber informieren würde. Dies ist letztendlich eine Gratwanderung. Wird der Arbeitgeber nicht benachrichtigt, müssen sich die Kinderschützer die Frage gefallen lassen, ob ihnen tatsächlich daran gelegen ist, Kinder vor den „Überführten“ zu schützen. Wird der Arbeitgeber benachrichtigt, so könnten etwa falsche Formulierungen durchaus Anlass zu einer Anzeige wegen Verleumdung oder Diffamierung mit sich bringen.

Udo Nagel teilte mit, dass man die Informationen nicht an den Arbeitgeber weitergegeben habe, weil man die Privatsphäre des „Überführten“ höher bewertet hätte. Angesichts der eher unzureichenden Anonymisierung der Personen (es werden stets etliche Informationen, die oft zu einer Identifikation führen können, herausgegeben) stößt diese Ansicht bzw. Auskunft auf Skepsis.

Die Sendung soll auch Hilfestellung bieten

Insbesondere auch die begleitende Berichterstattung des Senders RTL2 auf dessen Homepage sowie in der Sendung selbst konzentrierte sich in Bezug auf Hilfeangebote auf jene, die direkt oder indirekt mit „Innocence in Danger“ oder BKS in Verbindung stehen. Diese Hilfsangebote sind teilweise kontraproduktiv. Die von „Innocence in Danger“ unterstützte Hotline „N.I.N.A.“ für Erwachsene ist mit 14 bis 42 Cent pro Minute recht kostspielig. Für Kinder wurde im ersten Teil gar nicht erst eine Telefonhotline, sondern lediglich eine Onlinehilfestelle beworben, die ebenfalls zu den „Innocence in Danger“-Angeboten zählt.

Die Tipps von BKS in Bezug auf das Verhalten von Minderjährigen im Chat sind teilweise auf falschen rechtlichen Grundlagen aufgebaut und kontraproduktiv. So wird behauptet, dass sich Minderjährige strafbar machen, wenn sie „sexy Photos“ von sich versenden. Dies ist rechtlich nicht haltbar, weiterhin setzt es Kinder, die auf Grund des Versendens solcher Photos vom Empfänger bereits unter Druck gesetzt werden, unter zusätzlichen Druck, da sie vermuten könnten, dass sie vom Empfänger tatsächlich bei der Polizei angezeigt und ins Gefängnis gesteckt werden.

Die Sendung soll Kinder schützen

Insbesondere die nichtanonymisierte Darstellung eines Opfers von sexueller Belästigung und Nötigung im ersten Teil lässt Fragen offen, inwiefern hier Kinder geschützt werden. Zur Frage, wer die Entscheidung traf, Mutter und Tochter unanonymisiert inclusive Wohnort usw. zu zeigen, gab es bisher keine Antwort.

Das Verhalten der vermeintlich Minderjährigen wird in eher unrealistischer Weise gezeigt, so zeigt sich die Protagonistin erstaunlich offen, lädt den Täter ins Elternhaus zur Übernachtung ein oder trifft sich mit ihm und will sein Hotelzimmer sehen, wissen, ob er eine Freundin hat, willigt trotz vorheriger Zusendung von Masturbationsvideos und Penisphotos in ein Treffen ein... Es ist fraglich, ob 13jährige tatsächlich so reagieren würden.

Sind die Fälle echt?

Angesichts der zunehmenden Zahl von „Scripted Reality“-Shows stellt sich die Frage, ob es sich tatsächlich um echte Fälle handelt, ob diese nachgespielt wurden und ob sich die Bilder im Fernsehen tatsächlich so ereigneten. Skepsis erweckt die Art und Weise, wie sich die „Überführten“ mit dem Kamerateam unterhalten, die Tatsache, dass ein Kamerateam sowohl dem „Überführten“ wie auch den Passanten um ihn herum hätte auffallen müssen. Mittlerweile wurden Stimmen laut, die davon sprachen, dass den „Überführten“ Handys oder Gepäck weggenommen wurden, um sie am Verlassen des „Tatortes“ zu hindern.

Hierfür gibt es bisher keine weiteren Belege. Es bleibt die Frage offen, wieso die „Überführten“ das Gespräch mit dem Kamerateam und BKS führen und inwiefern es gelang, das Kamerateam zu verbergen. Angaben zu den Vorwürfen, es handele sich um gestellte Fälle oder nachgestellte Fälle, wurden von den Sendungsmachern bisher nicht gemacht.

Wie kam RTL2 an die Fälle tatsächlich Betroffener?

Weiteren Grund zur Skepsis bot die Frage, wie RTL2 die Informationen über Fälle wie im ersten Teil gezeigt bekam. Laut Auskunft der Polizei gab es hier eine Anfrage an die Polizei direkt – noch nicht klar ist, ob die Anfrage von RTL2 kam oder von anderen. Die Polizei hätte daraufhin „Fälle zugeschickt, die passten“. Dies ist eine unübliche Vorgehensweise, da normalerweise für bestimmte Formate Menschen, die bereit sind vor der Kamera zu sprechen, nicht über die Polizei gesucht werden.

Auch bleibt offen, wie der Kontakt zu den Betroffenen zustande kam – die Fälle wurden von der Polizei sicherlich nicht unanonymisiert weitergegeben, so dass sich die Frage stellt, wer letztendlich den Direktkontakt herstellte bzw. wie er die entsprechenden Daten erhielt. Anfragen diesbezüglich bleiben derzeit unbeantwortet.

Wieso wurde die Serie vorverlegt?

Die erste Sendung war für einen Montag angekündigt, stattdessen wurde sie auf den Donnerstag vorverlegt. Anfangs hieß es noch, dass die Sendung vorverlegt worden sei, weil zeitgleich der „Stern“ eine Titelstory mit dem Thema veröffentlichte, das auch Thema der Sendung ist. Diese Schilderung ist nicht nachvollziehbar, da Programmzeitschriften zudem eine völlig andere Sendung angekündigten. Erst nach Drucklegung wurde über das veränderte Format informiert, so dass der „Stern“ sowie die BILD mit Exklusivgeschichten aufwarten konnten.

Es liegt nahe zu vermuten, dass nicht die Titelgeschichte des „Stern“ zur Vorverlegung führte, sondern eher das veränderte Format und der frühere Sendetermin mit dem „Stern“ und der BILD abgesprochen waren. Gerade auch die Fixierung auf Stephanie von und zu Guttenberg, die lediglich im ersten Teil zu sehen war, weiterhin aber als „auf Pädojagd gehende Ministergattin“ von diversen Medienträgern bezeichnet wird, lässt darauf schließen, dass hier gezielt vorgegangen wurde.

Andere Sender haben das Thema gemieden

Weiterhin unklar ist, welche Sender das Thema abgelehnt haben und warum. Es ist bisher nicht darauf Bezug genommen worden, ob das Format oder das Thema im Allgemeinen abgelehnt wurden, Anfragen diesbezüglich wurden bisher nicht beantwortet.

Bei „TI“ bleiben derzeit zu viele Fragen offen und unbeantwortet. Selbst wenn die Kritik in Bezug auf „Fernsehsender als Privatermittler“ und „Prangermethoden“ herausgenommen wird, gibt es genügend Kritikpunkte, die von den Sendungsmachern schlichtweg ignoriert werden. Stattdessen bleibt man bei der Ansicht, man habe alles richtig gemacht und geht den üblichen Weg, indem man, wenn auch subtil, suggeriert, dass die Kritik doch eher von „Pädophilen“ käme.

Früher gab es ebenfalls viel Zuspruch von Eltern, Jugendlichen etc. Aber die „Pädophilen“ bedrohten, initiierten Rufmord-Kampagnen, riefen Medienwächter an und nach dem Staatsanwalt, um gegen Krafft-Schöning vorzugehen. Krafft-Schöning initiiert Konfrontationen dieser Art seit 2003. Seit zehn Jahren arbeitet sie zu diesem Thema, vor allen Dingen präventiv. Öffentlichkeit für diesen Themenbereich zu bekommen ist sehr schwer, dennoch absolut notwendig. Wir haben lange überlegt, ob man diese Form der Öffentlichkeit schaffen darf und sind zu dem Schluss gekommen, dass es nicht anders möglich ist, aufzurütteln, zu verdeutlichen, zu warnen und damit letztlich zu schützen! Es wäre notwendig, endlich mal zur Sache zu kommen!

Reden wir über die Opfer, die täglich durch Menschen, wie man sie bei „Tatort Internet“ antrifft, oft lebenslang geschädigt werden. Reden wir über Menschen, die bereit sind für ihre fünf Minuten Spaß - das Leben eines Kindes zu Opfern – eiskalt, völlig empathiefrei. Männer und Frauen „bedienen“ sich aus dem Internet, setzen Kinder ihren sexuellen Fantasien aus, bis hin zu solchen Situationen, wie sie nun gezeigt werden. Tun wir endlich etwas gegen die täglich tausendfach an Kindern verübten sexuellen Gewalt – via Internet.

Netkids